Von Andreas Poltermann
Überlast an unseren Hochschulen allerorten, aber eine besonders große Last tragen die nebenberuflich tätigen Hochschullehrer – vor allem die Lehrbeauftragten, PrivatdozentInnen, HochschuldozentInnen, ProfessorInnen auf Zeit und applizierten ProfessorInnen. Ohne sie sind Lehre und Prüfungen an kaum einer Universität vorstellbar. Am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin werden geschätzte 40 Prozent der Lehr- und Prüfungsleistungen von ihnen erbracht. Allein die Gruppe der Habilitierten in solchen nebenberuflichen Arbeitsbeziehungen könnte, so Schätzungen auf unsicherer Datengrundlage, in Deutschland 30.000 Personen umfassen. Etwa hundert von ihnen kamen zur Berliner Hochschuldebatte am 6. Februar und demonstrierten auf diese Weise, dass die Arbeitsbedingungen dieser Art Nebenberuflichkeit aufgedeckt und zum Politikum werden müssen.
Nebenberufliche HochschullehrerInnen
Die ursprüngliche Idee, dass Lehrbeauftragte außerhalb der Hochschule einer hauptberuflichen Beschäftigung nachgehen und die dort erworbenen Erfahrungen per nebenberuflichem oder ehrenamtlichem Lehrauftrag als Bereicherung des Lehrangebots an die Hochschulen weitergeben, stimmt mit der Wirklichkeit heute kaum mehr überein. Einem Großteil dieser nebenberuflichen Hochschullehrer und Prüfer fehlt heute nämlich das hauptberufliche Standbein außerhalb der Hochschule. Wer aber aus ökonomischen Gründen auf vergütete Lehraufträge angewiesen, ist erhält für seine oder ihre Arbeit einen durchschnittlichen Stundenlohn, mit dem man kaum eine Putzfrau schwarz beschäftigen könnte. Arbeitsrechtlich als Selbstständige anzusehen, sind diese Lehrbeauftragten für ihre Sozialversicherung allein verantwortlich. So werden sie beispielsweise mit horrenden Forderungen der Krankenkassen konfrontiert, die sich Selbständige grundsätzlich nur als gut verdienende Rechtsanwälte und Ärzte vorstellen können, als natürliche Feinde des Sozialversicherungssystems also, die es ordentlich zu schröpfen gilt. Ohne Tricks käme viele die Krankenversicherung teurer als der Lehrauftrag einbringt.
Prekäre Intellektuelle
Nebenberufliche HochschullehrerInnen gehören zur wachsenden Gruppe der „prekären Intellektuellen“. An ihrer sozialen Situation werden zunächst größere Trends unserer Gesellschaft deutlich: der Umbau von der Kernbeschäftigung zugunsten von Randbeschäftigung ohne oder mit nur geringer sozialer Sicherheit. Prekarisierung der Arbeitsbeziehungen. Innerhalb dieses Umbaus weisen die „prekären Intellektuellen“ aber auch eine Reihe von Besonderheiten auf, vor allem dort, wo staatliche Institutionen wie Hochschulen und Forschungseinrichtungen das Monopol auf den Zugang zu gesicherter Beschäftigung haben und deshalb auch die Regeln für die prekären Beschäftigungsverhältnisse festlegen können. Ihnen kommt bei der Nutzung prekarisierter Arbeitskraft, so Anne und Marine Rambach in ihrem Bestseller Les intellos prècaires, die „Goldmedaille“ zu. Sonst nicht eben bekannt für flexible und unbürokratische Regelungen - bei der Schaffung flexibler, ungesicherter Arbeitsbeziehungen sind sie Spitze, wo immer sich Bedarf an Arbeitskraft ohne das erforderliche Budget abzeichnet. Mittels der Herrschaft über die symbolische Anerkennung regeln sie ihre institutionelle Reproduktion. Damit sind sie in der Lage, dem beträchtlichen Personenkreis der mit viel Geld und viel Zeit qualifizierten WissenschaftlerInnen, der in der Warteschleife gehalten wird, Arbeitsleistungen nahezu ohne Entgelt zu entlocken. Ohne „freiwillige“ Lehre von zwei oder vier Stunden im Jahr droht beispielsweise die Aberkennung der Lehrbefugnis und damit individuell der Verlust der Hoffnung, dass die Statuspassage eines Tages doch noch glücken wird.
Symbolische Anerkennung der Produkte / Unsichtbarkeit der Produktionsverhältnisse
Wie andere „prekäre Intellektuelle“ – KünstlerInnen, AutorInnen, ÜbersetzerInnen etc. – leben auch nebenberufliche HochschullehrerInnen von der Anerkennung ihrer Produktionen: der Qualität und Originalität ihrer Artikel, Bücher, Vorträge und, so sie denn der institutionellen Aufmerksamkeit für würdig gehalten werden, ihrer Lehrveranstaltungen, mit denen sie teilnehmen am sozialen Leben der Institutionen Hochschule und Wissenschaft. Der übergroßen Bedeutung der Produkte entspricht auf der anderen Seite die Unsichtbarkeit der Produktionsverhältnisse, jener prekären Selbstständigkeit mit großen Freiheitsgraden, hinter deren Fassade tiefe Abhängigkeit und auch materielles Elend herrschen. Die Bereitschaft der Betroffenen, sich in Berlin oder Frankfurt in Initiativen zu organisieren und in öffentlichen Veranstaltungen die Unsichtbarkeit ihrer prekären Produktionsverhältnisse zu durchbrechen, deutet den Willen an, es dabei nicht zu belassen. Bleibt nur die Frage, ob man sich Abhilfe verspricht von einer Konfrontation derjenigen „draußen“ mit denen, die „drinnen“ sind, oder von einer Professionalisierung, und das heißt auch Differenzierung innerhalb des akademischen Systems. Statuspassagen müssen in jedem Fall institutionell vorgesehen bleiben, die Differenzierung zwischen einer exklusiven Mitgliedschaft „drinnen“ und einer Übergangszone „draußen“ sichert Freiheit und Autonomie, an der in gesicherten Arbeitsbeziehungen teilzuhaben, das Ziel aller qualifizierten WissenschaftlerInnen ist. Aber Wissenschaft braucht auch Unabhängigkeit, und das bedeutet im Prinzip auch dauerhafte Beschäftigung im Anschluss an den mit der Promotion erbrachten Qualifikationsnachweis. Erfolgversprechende Reformen werden also die Statuspassage als Differenzierung innerhalb eines dauerhaft beschäftigen einheitlichen Lehrkörpers an den Universitäten oder innerhalb der dauerhaft beschäftigten WissenschaftlerInnen an den Forschungseinrichtungen ausgestalten. Gefragt ist also ein umfassender Reformansatz, nicht ein kurzfristiges Sonder- und Reparaturprogramm. Die Lage der prekär beschäftigten WissenschaftlerInnen ist Ausdruck einer Krise der Institution Universität/Wissenschaftssystem, nicht nur eine Frage fehlender Mittel oder des Missbrauchs der Spielregeln für die personelle Reproduktion.
Professionelle Personalpolitik für Hochschulen
Professionelle Personalentwicklung an Hochschulen kann sich nicht darin erschöpfen, dass nach Ende der 12-Jahresfrist einige „drinnen“ sind und alle anderen prozessfrei wieder „draußen“. Zu Recht werden heute an die Personalpolitik der Hochschulen die Maßstäbe angelegt, die für sie als Teil des professionellen Systems gelten sollten, nämlich die Gesellschaft mit AbsolventInnen zu versorgen, die in komplexen Situationen folgenreiche und riskante Entscheidungen treffen können. Das gilt für die QualifikantInnen, die sich darüber im klaren sein müssen, dass sie sich beim Versuch, in die Exklusivität des „drinnen“ vorzustoßen, auf ein risikoreiches Unterfangen einlassen. Mehr aber noch für die Hochschulen, allen voran die Universitäten, die für die gesamte Personalpolitik Verantwortung übernehmen müssen unter Einschluss des Risikos von Fehlentscheidungen im Bemühen, überdurchschnittliche Qualifikation anzuwerben. Dazu gehört auch, dass sie für ihre QualifikantInnen Personalentwicklung betreiben, zum Beispiel durch Programme, die von vorneherein die Polyvalenz der Qualifikationen für berufliche Karrieren außerhalb und verschiedene Laufbahnen innerhalb der Hochschule sicherstellen. Wegweisend könnten zum Beispiel die Empfehlungen der Universität Heidelberg „Zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“ sein, die ihr Rektor, Professor Hommelhoff, auf der Hochschuldebatte vorstellte: Verkürzung der Habilitationsphase, Memorandum zwischen Habilitand, Mentorat und Fakultät inklusive der Vereinbarung von Zwischenevaluation und Lehrqualifikation, Qualifizierungspläne für Juniorprofessuren, die auch die Option auf „tenure-track“ enthalten können, und die Anerkennung der Leitung einer (meist naturwissenschaftlichen) Nachwuchsgruppe als eigenständiger Karriereweg, der zu einer Professur führen kann. Daneben denkt die Universität Heidelberg an die Einführung neuer Personalkategorien wie der „Forschungs-„ und der „Lehrprofessur“. Dahinter stehen, wie in Zeiten von Globalhaushalten nicht anders zu erwarten, zunächst ökonomische Überlegungen: Um 10 Stunden mehr Lehre zu erhalten, muss die Universität für einen neuen Lehrstuhl rund 500.000 EUR ausgeben, für eine Lehrprofessur hingegen nur etwa 140.000 EUR. Dasselbe könne auch für eine Forschungsprofessur gelten, die etwa als Bestandteil eines größeren Forschungsteams und internationalen Kooperationsnetzwerks eingerichtet wird. Es muss ja kein Schaden sein, wenn die dringend benötigte bessere Ausstattung der Lehre möglichst effizient erreicht wird.
Eine andere Frage ist freilich, ob damit hochschuldidaktisch und wissenschaftssystematisch ein sinnvoller Weg eingeschlagen wird, stellt er doch, wenigstens auf den ersten Blick, mit der Einheit von Forschung und Lehre eine Grundlage des professoralen Selbstverständnisses und auch der Habilitation in Frage. Nicht selten, besonders an westdeutschen Universitäten, wird die Einheit von Forschung und Lehre als Freibrief für schlechte Lehre und Ignoranz gegenüber der für die Professionalisierung der Lehre erforderlichen Hochschuldidaktik verstanden. Viele ProfessorInnen haben hier den Übergang zu Massenhochschulen und gestiegenen Ausbildungsverpflichtungen nicht akzeptiert. Demgegenüber greift die Differenzierung in Lehr- und Forschungsprofessur Anregungen von Gerhard Neuweiler auf, der Ende der 90er Jahre Vorsitzender des Wissenschaftsrats war. Im Anschluss an Vorarbeiten der Carnegie Academy for the Scholarship of Teaching and Learning (CASTL) stellte Neuweiler die These auf, dass nicht nur Spitzenforschung von der Lehre, sondern auch gute Lehre um ihrer Professionalität willen von der Forschung emanzipiert werden müsse: „Den notwendigen Paradigmenwechsel vom Sachkatalog zur Problemorientierung werden wir im Studium nur bewältigen, wenn wir ‚scholarship’ als gleichrangige wissenschaftliche Aufgabe neben ‚research’ akzeptieren. […] Nur mit einem Wissenschaftlerkreis, der seine fachliche Kompetenz mit ganzer Kraft der Lehre widmet, werden wir die rasante Verschulung der Studien, sprich aus Anonymität erwachsene Paukerei, Passivität und Unselbständigkeit zurückdrängen können.“ Diesem neuen Selbstverständnis zufolge würden LehrprofessorInnen ihre Sorgfalt und Kreativität in die Gestaltung der Lehr- und Lernprozesse investieren und diese mittels systematischer Reflexion auch forschend weiter entwickeln.
Institutionelle Differenzierungen
Eine solche Zweiteilung in Lehr- und Forschungsprofessur lässt sich nun als Differenzierung auf Zeit, als in der Fakultät verabredete Schwerpunktsetzung und Bündelung von Ressourcen oder als dauerhafte Einrichtung ausgestalten, die auch noch mit einer Differenzierung in stärker lehr- und forschungsorientierte Fachbereiche oder sogar ganzer Universitäten kombiniert werden kann. In diesem Sinne hat sich der Wissenschaftsrat in seinen „Empfehlungen zur künftigen Rolle der Universitäten im Wissenschaftssystem“ für eine eher auf Dauer angelegte Differenzierung in lehr- und forschungsorientierte Fachbereiche und ganzer Universitäten ausgesprochen. Er trägt damit der Tatsache Rechnung, dass die Berufsqualifizierung in wissenschaftsbasierten Berufsfeldern noch nie allein Sache der Fachhochschulen war, sondern immer schon mehr oder weniger auch von den Universitäten wahrgenommen wurde, ohne dass diese sich eigens darauf eingestellt hätten. Mit dieser Kritik korrigiert der Wissenschaftsrat auch seine bisher vertretene eigene Position, wonach die Differenzierung zwischen Fachhochschulen und Universitäten verlaufe, die Universitäten aber im Prinzip gleich seien und dasselbe leisteten. Um hier zu besseren und realitätsgerechteren Ergebnissen zu kommen, plädiert der Wissenschaftsrat für eine Aufgabenteilung zwischen Universitäten, die in einigen Bereichen ihren Schwerpunkt in guter Lehre und Ausbildung haben, solchen Universitäten, die in der Breite der Fächer forschend lehren und wissenschaftlich qualifizieren und Forschungsuniversitäten, deren Schwerpunkt in Spitzenforschung und wissenschaftlicher Qualifikation liegt. Er lässt dabei offen, wie die Verteilung zwischen diesen institutionellen Typen aussehen soll. Der Exzellenzwettbewerb deutet aber immerhin an, dass vorerst 10 der 100 staatlichen deutschen Universitäten als Forschungsuniversitäten in Betracht kommen. Auf der anderen Seite deutet der Wissenschaftsrat aber auch an, dass Hochschullehrer und ganze institutionelle Bereiche Aufgaben der Nachwuchsausbildung nur im Rahmen eines Qualitätsmanagements wahrnehmen sollen, dass sie also, sollte die Qualitätskontrolle nachlassendes Engagement für den Nachwuchs oder ein fehlendes wissenschaftliches Umfeld ausweisen, von Aufgaben der Nachwuchsbildung entbunden werden können.
Scientific Worker
In enger Verbindung mit den genannten Differenzierungen steht auch der neuerdings diskutierte Vorschlag zur Eröffnung dauerhafter Beschäftigungsperspektiven für qualifizierte WissenschaftlerInnen unterhalb der Professur. Bezeichnenderweise kommt der Wissenschaftsrat auf diesen Vorschlag im Zusammenhang seiner neuesten „Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften in Deutschland“ erneut zurück. Denn in diesem Bereich ist das Missverhältnis zwischen Habilitationen und Juniorprofessuren auf der einen und freien Professuren auf der anderen Seite am größten. Auch empfiehlt er den Hochschulen, ihre Personalverantwortung in dem Sinne wahrzunehmen, dass die „Entscheidung für Berufswege außerhalb der Universität grundsätzlich spätestens mit dem Abschluss der Promotion fallen sollte“. Das kann natürlich nicht bedeuten, die Zahl der Habilitationen und Juniorprofessuren ausschließlich an den zur Verfügung stehenden Professuren auszurichten. Mit Stellen unterhalb der Professur könnte sich die Universität die Eignung für eine Tätigkeit im Lehrkörper, die aufgrund der in einem zweiten Buch evaluierbaren Forschungsleistung festgestellt wird, auch dann sichern, wenn keine Berufung auf eine Professur erfolgt. Hierzu sind zurzeit Personalkategorien wie der lecturer und der senior lecturer im Gespräch. Für Forscher könnte ein analoger und in anderen Ländern auch beschrittener Weg darin bestehen, dass entsprechend Qualifizierte einzeln oder im Team und meist in Kooperation mit Universitätsinstituten oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen nach dem Vorbild des französischen CNRS bei einem Nationalfonds Mittel für Forschungsvorhaben beantragen. Erforderlich hierzu wäre, dass die Befristungsregelung fällt und im Rahmen eines Wissenschaftstarifs für scientific worker durch die flexible Möglichkeit der betriebsbedingten Kündigung für den Fall des Wegfalls von Drittmitteln ersetzt wird. Das dauerhafte Risiko der Befristung würde durch die Möglichkeit kompensiert, in der Gemeinschaft der Forschenden weiterhin anerkannt zu werden. Zusätzliche Bedingung wäre, dass auch wissenschaftlich qualifizierte Nicht-ProfessorInnen bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft antragsberechtigt werden. Ein geeigneter Zwischenschritt zu diesem Ziel könnte das von Professor Hommelhoff vorgeschlagene Antragsrecht einer Hochschule sein, für ihre Habilitierten oder anders Qualifizierten bei der DFG Forschungsanträge zu stellen. Der unübersehbare Nachteil dieser Regelung, nämlich dass die Betroffenen nicht in eigenem Namen Anträge stellen könnten und ihrer Universität ein Steuerungs- und Selektionsinstrument an die Hand geben müssten, wird durch das größere Gewicht der über ein Rektorat eingebrachten Anträge aufgewogen, die sich gegen die Anträge etablierter LehrstuhlinhaberInnen behaupten müssen.
Pakt für die Hochschulen
Demographische Prognosen sagen den Hochschulen bis 2015 eine um 20 bis 30 Prozent steigende Nachfrage nach Studienplätzen voraus. Erst danach wird sich der Rückgang der jährlichen Geburtenraten auch an den Hochschulen bemerkbar machen. Zugleich stellen die Hochschulen schon heute fest, dass die flächendeckende Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen auch bei gleich bleibender Anzahl der Studienplätze zusätzliche Lehrkapazitäten erforderlich macht. Die Herausforderungen sind also gewaltig, die Ausgangsbedingungen hingegen sind schlecht. Schon heute suchen die Bundesländer, die Anzahl der Studienplätze an ihren Hochschulen abzubauen – teils zugunsten der Forschung an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, was durch die Exzellenzinitiative eher prämiert wird, teils zugunsten der um Begrenzung der Haushaltsdefizite bemühten Finanzminister. Unter dieser Politik, die deutlich vor Augen führt, dass den Ländern wirksame Anreize zum Ausbau von Studienkapazitäten fehlen, leidet das deutsche Hochschulsystem als ganzes. Die geplante Reform der föderalen Ordnung, die nahezu alle bundesstaatlichen Kompetenzen für die Hochschulen an die Länder abtreten soll, könnte das deutsche Hochschulsystem weiter schwächen. Denn bei diesem System kommt es doch gerade nicht darauf an, dass ein Bundesland eine dem eigenen Bedarf entsprechende Anzahl an Studienplätzen vorhält, sondern dass alle Bundesländer gemeinsam zum „Ziel eines nachfragegerechten Ausbaus des Hochschulsystems“ beitragen. Nur so können Mobilität und Berufsfreiheit der Studienberechtigten, die Steigerung der Qualität der Ausbildung und die Senkung der Studienabbrüche erreicht werden.
Trotz dieser eher ungünstigen Voraussetzungen stehen die Chancen heute nicht schlecht, dass die zwischen Bund und Ländern eingeleiteten Verhandlungen über einen Hochschulpakt 2020 ein Erfolg werden könnten. Auch nach der Reform der föderalen Ordnung könnte der Bund in Bereichen wie Forschung und Hochschulbau, in denen er (vorerst) Kompetenzen behalten wird, zusätzliche Aufgaben übernehmen und dadurch die Länder zu mehr Engagement für den Ausbau des Hochschulsystems in die Lage versetzen – in Verbindung mit Anreizen, die es den Ländern auch attraktiv erscheinen lassen, in einen Wettbewerb um die kommenden starken Studierendenpopulationen einzutreten.
Kommt es zum Hochschulpakt, wird er sich in einem deutlichen Ausbau der Lehrkapazitäten an den Hochschulen niederschlagen. Die besprochenen prekären Beschäftigungsverhältnisse an und um die Hochschulen könnten damit durch Ausbau der öffentlichen Beschäftigung verringert oder überwunden werden. Damit ist schließlich noch eine grundsätzliche Frage angesprochen: löst der geforderte und durch den Hochschulpakt anzustrebende „demographiegerechte Ausbau des Hochschulsystems“ ein Generationenproblem oder ein Institutionenproblem?
Zunächst einmal soll natürlich ein Kapazitätsproblem gelöst werden, das durch steigende Nachfrage ausgelöst wird. Daneben aber schwingt immer wieder der Vorwurf mit, die Generation der gegenwärtigen Inhaber unbefristeter Professuren habe von der Phase der Bildungsexpansion in den 70er Jahren – zudem nicht selten sogar ohne Habilitation - profitiert und „verstopfe“ seitdem den Zugang für die nachwachsenden Generationen. Das ist auch die These von Anne und Marine Rambach in „Les intellos précaires“. Wie wenig haltbar diese Ansicht ist, lässt sich allein schon daran ablesen, dass alle Spekulationen auf neue Stellen durch die nun allfällige Pensionierungswelle der in den 70er und 80er Jahren bestallten ProfessorInnen fehlgegangen sind. Verantwortlich dafür ist nicht die universitäre Reproduktionsordnung, die das Verhältnis zwischen ProfessorInnen und Qualifizierten „draußen“ zu Lasten des Letzteren regelt, sondern die doppelte Schwäche der Institution Hochschule/Universität. Zum einen wurden ihr nach dem rasanten Ausbau der 70er Jahre relativ und absolut die Ressourcen entzogen. Die Erbringung öffentlicher Dienstleistung und die Bereitstellung öffentlicher Güter als Instrument staatlich organisierter Umverteilung und Beschäftigungspolitik trat zurück hinter den Ausbau staatlicher Transfers an die Privathaushalte auf der einen und steuerlicher Entlastungen und Privatisierungen auf der anderen Seite. Das ist die finanzielle Seite der Schwächung der Universitäten. Im Zuge dieser Entwicklung geriet die Universität innerhalb der spannungsreichen Beziehung zwischen der Institution freier Forschung, Lehre und Qualifikation auf der einen und der demokratisch-sozialstaatlichen Konstitution auf der anderen Seite in Abhängigkeit vom sozialstaatlichen Prinzip chancengerechter Teilhabe an staatlichen Leistungen: es entstand die demokratische Massenuniversität als Stätte des freien und gleichen Zugangs zu staatlichen Ausbildungsangeboten. Sie diente mehr dem Erwerb individuellen Humankapitals im Rahmen der grundgesetzlich verbürgten Berufsfreiheit als dem Aus- und Aufbau der Universität als republikanischer Institution. Gründungsurkunde dieser demokratischen Massenuniversität ist das Numerus Clausus-Urteil des Bundesverfassungsgericht von 1972, das in bis heute gültiger Weise festlegt, dass die Universität prinzipiell „unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten“ allen Berechtigten Zugang verschaffen muss und dass die Universität hierbei zur „selbständigen Entscheidung über die anzuwendenden Auswahlkriterien weniger [als andere staatliche Organe, A.P.] berufen [sei], weil bei diesen Kriterien in der Regel auch sozialstaatliche Belange berücksichtigt werden, die keine innere Beziehung zum Lehrauftrag der Universität aufweisen […].“ Demokratisch legitimiert, so das Verfassungsgericht, sind bei der Entscheidung über die Verteilung staatlicher Leistungen Parlamente und Regierungen, also letztlich die Bürokratie. In den Worten Niklas Luhmanns hat das Soziotop Universität seitdem „gegen Institution und für Organisation optiert“. Auf diese Weise ließ sich das demokratische Projekt Massenuniversität auf den Weg bringen, das sozialen Aufstieg durch Zugang zu wissenschaftlicher Ausbildung ermöglichen sollte. Auf der Strecke blieb dabei das Eigenrecht der Institution Universität, ihre gesellschaftliche Autorität als öffentliche Stätte einer reflexiv, handlungsentlastet auf die Gesellschaft bezogenen demokratischen Wissenselite: Massenfächer ohne ausreichende Personalausstattung, die die Verantwortung für ihre Studierenden ebenso wie für ihr gesellschaftliches Ansehen ablehnten, wurden zur Norm, kleine Fächer mit guten Betreuungsverhältnissen wurden zu „Orchideen“ und gerieten unter Rationalisierungsdruck. Darin besteht die zweite Schwächung der Universität, vertieft noch durch die Blockade der inneren Demokratisierung in der Folge des Mitbestimmungsurteils des Bundesverfassungsgerichts von 1973.
Mit dem Verlust ihrer öffentlichen „Ankerfunktion“ entließen die Universitäten ihre AbsolventInnen in die Industriegesellschaft und verloren die ohnehin unter Globalisierungsdruck geratenden Eliten an die globale Informations- und Netzwerkgesellschaft mit ihren Benchmarks wie Harvard, Cambridge oder der ETH Zürich. Sie entließen diese Elite in Privatheit und Desengagement, was sich wiederum politisch auf deren Bereitschaft auswirkte, die Funktionsfähigkeit der Universitäten finanziell zu sichern. Die finanzielle Schwächung der Universitäten dürfte nicht zuletzt auch mit diesem Desinteresse und Desengagement der Eliten zu tun haben.
Die sich abzeichnenden institutionellen Differenzierungen unserer Hochschulen könnten helfen, dieses Desengagement schrittweise zugunsten einer wiederentdeckten Autorität und Sichtbarkeit zumindest einiger unserer Universitäten rückgängig zu machen. Dass dies auf dem Weg zu kleinen Forschungsuniversitäten nach US-Vorbild geschehen wird, ist eher fraglich. Immerhin sind die bisher im Exzellenzwettbewerb vorausgewählten Universitäten allesamt Massenhochschulen mit der ganzen Breite der Fächer. Zu erwarten ist also eher eine innere Differenzierung dieser wenigen Universitäten, die trotz besonderer Programme oder spezieller Center for Advanced Studies ihre Rolle als Massenhochschulen nicht aufgeben müssen. Und zu sichern ist, dass die anderen Hochschulen dem steigenden Bedarf nach Hochschulausbildung gezielter durch mehr und entsprechend ausgebildetes und dauerhaft beschäftigtes Personal gerecht werden können. Mit solchen Zielen stellt der Hochschulpakt 2020 eine historische Chance dar. Er muss zum Ausbau und zur Differenzierung unserer Hochschulen führen und dafür sorgen, dass unsere Hochschulen ihre institutionellen Aufgaben besser erfüllen und ihrem demokratischen Auftrag durch Gewährleistung von Teilhabe- und Bildungsrechten nachkommen. Als aktionistisches Sonderprogramm zur erneuten „Untertunnelung“ des bevorstehenden „Studentenbergs“ bliebe er hingegen eine Episode in einer langen Reihe kurzsichtiger Reparaturmaßnahmen.