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Über politisches Reden

Joscha Schmierer. Foto: Joachim Loch

Barack Obama und die Schulmeister

18. Dezember 2009
Von Joscha Schmierer
Von Joscha Schmierer

Barack Obama ist ziemlich jung für ein Staatsoberhaupt und im Unterschied zu den meisten seiner Kollegen ein mitreißender Redner. Da kommen sich manche deutsche Kommentatoren wie alte Hasen vor. Der junge Mann muss auf den Boden runter geholt und zurecht gestaucht werden. Man will Taten und schnelle Resultate  sehen, wo doch die erste Tat jedes demokratischen Regierungschefs die öffentliche Darlegung überzeugender Argumente für das Handeln seiner Regierung sein muss. Nicht umsonst hat sich die Kunst der politischen Rede mit der griechischen Polis und der römischen Republik entwickelt und knüpften die amerikanischen Gründerväter bewusst an diese Tradition wieder an. Öffentliches Reden war und ist eine unerlässliche Seite republikanischen Handelns.

Von Anfang an wurde der frühere Kandidat und jetzige Präsident Obama in das urdeutsche obrigkeitsstaatliche Dilemma von Geist und Tat verwickelt, während Obamas Reden doch immer den Willen zum Wechsel und zu einer anderen Politik ausdrückten. Sie wurden zu Recht als Signale des Wechsels verstanden. Der Kandidat wollte den Sieg und er sagte klar, was seiner Ansicht nach zu machen ist. In einer Demokratie muss man für jeden Aufbruch zunächst in vernünftiger Rede die Stimmen und dann immer  erneut die Kräfte sammeln. Und so begründete Obama Anfang Dezember auch seine Entscheidung, die Truppen in Afghanistan zu verstärken, mit einer Rede in West Point vor jungen Soldaten, denen der Einsatz zugemutet wird. Stets hatte er seine Kritik an dem Krieg im Irak verbunden mit dem Hinweis, er sei zu Lasten der notwendigen Stabilisierung Afghanistans vom Zaun gebrochen worden.

Das Privileg des Journalismus
Der naive, idealistisch von Verständigung und Frieden säuselnde, statt entschieden für eine Friedensordnung engagierte Obama ist eine Erfindung von Kommentatoren, die seine angeblich unvermeidliche "Ernüchterung" als Ergebnis ihrer realistischen Belehrung preisen oder als voraussehbaren Verrat an nur vorgetäuschten Idealen geißeln wollen. Obama aber war immer ein Mann der sofortigen Umkehr, der keinen Zweifel ließ, wie schwer sie fallen und wie lange sie dauern würde. Nie hielt er das Angebot von Verständigung schon für die Verständigung selbst. Den Schwierigkeiten beim Wenden in Sackgassen galten schon Zwischenrufe im letzten Jahr.

"Obama handelt nach langer Bedenkzeit in Afghanistan richtig" erklärte Josef Joffe in Die Zeit vom 11. Dezember 2009. Die Reifeprüfung war seine Kolumne überschrieben. Die lange Bedenkzeit brachte zwar Abzüge und die halbwegs befriedigende Note bezog sich nur auf Afghanistan, doch erteilte Joffe dem amerikanischen Präsidenten zur Abwechslung mal ein bisschen Lob, nachdem einen Monat zuvor Leser Detlef Holtermann Widerspruch eingelegt und Mehr Geduld! gefordert hatte (Die Zeit, 5.11.09). Obama brauche jetzt vor allem Zeit. Seit Wochen verfolge Joffe in seiner Kolumne die Mission, das Denken und Handeln von Barack Obama klein zu schreiben und das Scheitern des Präsidenten publizistisch vorwegzunehmen. "Mit der Attitude des konservativen Sehers (,Realisten’), der ja nur schreiben, aber nicht handeln muss, meint er uns Lesern klarmachen zu müssen, wie sehr Obama von Anfang an überschätzt wurde und wie klar jetzt schon abzusehen ist, dass er sich mit all seinen Vorhaben gewaltig übernimmt."

Diese Kritik trifft nicht nur Josef Joffe, sondern eine ganze Reihe von Kommentatoren in der deutschen Presse. Wenn Obama mal besser weg kommt und ihm von Josef Joffe zugestanden wird, „"komplizierter" zu sein, als es das schlichte Schema von links und rechts, Pazifismus und Bellizismus zulasse, ist immer wieder Arroganz und Hochnäsigkeit aus den Kommentaren heraus zu hören. Da hat der Zeitleser schon recht: Diese Arroganz entspringt dem Privileg des Journalisten auf dem Papier immer schon besser entschieden zu haben als die verantwortlichen Politiker entscheiden, ohne selbst je wirklich entscheiden zu müssen.

Gelegentliche Grenzgänge zwischen Publizistik und Exekutive, wie sie in den USA nicht selten sind, könnten für diese allzu leicht überspielte Problematik sensibilisieren.

"Realismus" pauken
Auffällig schon in der Überschrift sind Kommentare, die Obama auf den "Prüfstand" schicken, ihn auf "Bewährung" oder vor einem "Test" sehen und ihn metaphorisch auf die Schulbank setzen, um die Reifeprüfung zu bestehen. "Nette Idee, schöner Traum" war ein Kommentar von Michael Rühle in der Süddeutschen Zeitung (11.4.09) zu Obamas Atomabrüstungsvorhaben überschrieben. Setzen und Realismus pauken empfahl der stellvertretende Leiter der Politischen Planungseinheit der NATO in Brüssel. Die Präsidentschaft sause dahin, meinte Stefan Kornelius im September (Süddeutsche Zeitung, 24.9.09): "Ein unbeholfen wirkender Fototermin mit den Nahost-Kontrahenten, ein zaudernder Obama in den Klimaverhandlungen, herausgefordert vom Kongress und vom Militär. Obama, ein Ankündigungsminister, kein Mann der Tat." Die Zeit der großen Reden und der hehren Appelle sei vorbei. "Eine UN-Rede voller Pathos wirkt lächerlich, wenn zu Hause der Dachstuhl brennt." Obama werde Härte und Mut beweisen müssen, wenn er glaubwürdig bleiben wolle. "Obamas Zauber wirkt nicht mehr", verkündete Gabor Steingart auf Spiegel-online am 2. Dezember 2009. Man weiß nicht recht, was als Vorwurf mehr zählen soll: der frühere Zauber oder dass er angeblich nicht mehr wirkt.

Die Jury des Friedensnobelpreises hatte Obama eine Aufgabe gestellt, die sie vielleicht so gar nicht stellen wollte: Wie kriegt er seine aktuelle Entscheidung, die Truppen in Afghanistan aufzustocken, auf einen Nenner mit der Verpflichtung durch den Friedensnobelpreis. Der Kriegsnobelpreisträger titelte Gabor Steingart auf Spiegel-online (2.12.09).

Obama ist nicht ausgewichen. Gleich zu Beginn seiner Rede sagte er, die Ehrung nehme er voll tiefer Dankbarkeit und in großer Demut an, wolle sich aber der Kontroverse um diese großzügige Preisvergabe stellen. Schließlich stehe er erst am Anfang seiner Bemühungen auf der Weltbühne. Verglichen mit den Taten der großartigsten Preisträger – er nannte Schweitzer und King, Marshall und Mandela – fiele, was ihm bisher gelungen sei, kaum ins Gewicht. Leute, die bekannt oder auch nicht, für ihre mutigen und engagierten Taten gelitten hätten, verdienten den Preis mehr als er. Die meiste Kritik an der Preisverleihung  entspringe freilich der Tatsache, dass er Oberkommandierender einer Nation sei, die sich in zwei Kriegen befinde. Schließlich sei er verantwortlich für den Kampfeinsatz von Tausenden junger Amerikaner in einem fernen Land. "Einige werden töten und einige werden getötet werden." Nach Oslo sei er im vollen Bewusstsein der Kosten bewaffneter Konflikte gekommen. Ganz beschäftigt sei er mit all den schwierigen Fragen nach dem Verhältnis von Krieg und Frieden und mit den Bemühungen, den Krieg durch den Frieden abzulösen.

Eine abwägende Moral
Obama sei in Oslo als "Prediger des gerechten Krieges" aufgetreten, stand in der Berliner Zeitung über einem Kommentar von Jutta Kramm (11.12.09) Tatsächlich aber hat er das Spannungsverhältnis ausgeleuchtet zwischen dem Prinzip der Gewaltlosigkeit, für die Martin Luther King und Mahatma Gandhi stehen, und den politischen Erfordernissen, vor die sich ein Staatschef gestellt sieht. Ohne Martin Luther Kings gewaltlosen Widerstand, wäre die Präsidentschaft eines Schwarzen sicher noch immer ausgeschlossen. Er selbst sei insofern ein lebendes Beispiel für die moralische Kraft der Gewaltlosigkeit. "Ich weiß, dass keine Schwäche, keine Passivität, keine Naivität im Engagement und  in Gandhis und Kings Leben zu finden sind." Aber als Staatschef könne er nicht allein durch ihr Beispiel geleitet werden. Wenn aber auf militärische Gewalt nicht unter allen Umständen verzichtet werden könne, müsse diese Wahrheit auch die andere anerkennen, dass im Krieg, so gerechtfertigt er sein möge, die menschliche Tragödie lauert.

Soll "Obamas Krieg" also, wie Jutta Kramm meint, die "Prinzipien der Gewaltlosigkeit und des friedlichen Miteinanders mit dem Mittel der äußersten Aggression zur Geltung bringen"? Die jetzige Aufstockung der Bodentruppen ist zwar für die US-Bevölkerung eine Eskalation der möglichen menschlichen Kosten, für Afghanistan selbst bedeutet sie die Möglichkeit, die Luftangriffe mit ihren zivilen Opfern zu deeskalieren, die Sicherheit des zivilen Aufbaus in größeren Teilen des Landes wiederherzustellen und diese Zonen auszudehnen. Dafür kann es bereits zu spät sein, wie etwa Michael Walzer in Dissent (3.12.09) befürchtet. Hier liegt aber die verbliebene Chance, den jahrzehntelangen Kriegszyklus in Afghanistan doch noch zu durchbrechen. Sehr groß ist sie nicht. Wie Michael Walzer schreibt, ist die realistische Möglichkeit, einen gerechten Frieden zu erreichen, aber ein Schlüsselkriterium für die Rechtfertigung eines Krieges. 2011 wird das Engagement in Afghanistan an diesem Kriterium gemessen werden.

Afghanistan liegt im Brennpunkt der Auseinandersetzung zwischen Staatenbildung und den islamistischen Absichten, ein imperiales Khalifat neu zu errichten. Staatenbildung hat die Eindämmung von Chaos und Gewalt als Bedingung. Umgekehrt steht es um die Voraussetzungen eines imperialen Islamismus. Sie bestehen in Chaos und Gewalt. Deshalb bleibt die klare Absage der USA unter Obamas Präsidentschaft an Folter und Verletzungen der Genfer Konvention eine grundlegende Kurskorrektur gegenüber der Bush-Administration. Letztere hatte sich in ihrem "Krieg gegen den Terror" vom Terror anstecken lassen. Obamas Korrektur kam sofort bei Amtsantritt. In Oslo sagte er jetzt, wo Gewaltanwendung unvermeidlich sei, sei es im eigenen moralischen und strategischen Interesse, sich an Regeln zu halten. "Das unterscheidet uns von denen, die wir bekämpfen. Das ist eine Quelle unserer Stärke".

Dass sich die Schließung von Guantanamo als schwierig erwies, hat Obama nie als Ausrede genutzt, um auf den St. Nimmerleinstag zu vertrösten. Woher kommt die Häme in manchen Kommentaren angesichts der Tatsache, dass in einer demokratischen Republik der Präsident die Gewaltenteilung nicht mit einem Federstrich außer Kraft setzen kann? Der Nobelpreis sei bisher kein Preis fürs Redenhalten gewesen, auch keine Auszeichnung für Ankündigen, kommentierte Gabor Steingart für Spiegel-online (10.12.09). "Nicht das Wort, auch nicht das geistreiche, das geschliffene Wort, sondern die Tat wurde bisher geehrt." Wenn aber die entscheidende Tat erst mal die Umkehr in der Sackgasse ist, dann gelingt sie nicht ohne überzeugende Rede. Die Nobelpreisjury hat die entschlossene Umkehr überzeugt, die hartnäckige Arbeit auf den vielen Baustellen, vor denen die USA und die Welt stehen, wollten sie ermutigen. Keins von beidem ist verkehrt.

Joscha Schmierer

Jeden Monat kommentiert Joscha Schmierer aktuelle außenpolitische Themen. Der Autor, freier Publizist, war von 1999 – 2007 Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amts.

 

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