Am Sonntag, den 30. Mai 2010, sind Präsidentschaftswahlen in Kolumbien und entgegen allen Erwartungen steht das Ergebnis keineswegs fest: die regierende rechts-konservative „U“, (Partido Social de la Unidad Nacional) muss fürchten, dass der zum Nachfolger des derzeitigen Präsidenten Álvaro Uribe ernannte, ehemalige Verteidigungsminister Juan Manuel Santos vom Kandidaten der Grünen Partei Kolumbiens Antanas Mockus Sivickas überholt wird.
Die „neuen Grünen“
Mockus trat, zusammen mit Enrique Peñalosa und Lucho Garzón, ebenfalls Ex-Bürgermeister Bogotás, erst im Oktober 2009 in die Grüne Partei (Partido Verde) ein. Diese aus unterschiedlichen politischen Strömungen zusammengesetzte Partei hat es mit ihrem neuen als „Anti-Politiker“ bezeichneten Philosophen und Mathematiker an der Spitze geschafft, mit großer Geschwindigkeit die Karten für den anstehenden Wahlkampf neu zu mischen. Seit Wochen gewinnt sie rasant an Zustimmung. Besonders über neue digitale Medien, wie Facebook und Twitter, schließen sich Tausende, insbesondere junge Städter_innen, begeistert der „grünen Welle“ an und tragen T-Shirts und Armbänder mit der Sonnenblume auf grünem Grund. Wenige Tage vor der Wahl kann man den Prognosen entnehmen, dass am Sonntag keiner der beiden Kontrahenten gewinnen wird. Dann käme es am 20. Juni zur Stichwahl.
Was hat es mit der neuen „Grünen Partei“ in Kolumbien auf sich? Keiner der drei Kandidaten, die während der parteiinternen Wahl gegeneinander antraten, hat einen dezidiert „grünen Hintergrund“. Auch die Themen, die im Wahlkampf dominieren, lassen auf den ersten Blick nicht erkennen, ob die Partei sich als Teil einer grünen Bewegung verstehen und an wichtige grüne Themen Anschluss finden will: Ökologie, den gerechten Umgang mit Ressourcen und die Diskussion um ein nachhaltiges Wachstumsmodell.
Mockus zwischen Anti-Gewalt-Politik und „Seguridad Democrática“
Anhaltspunkte finden sich eher in Mockus politischer Vergangenheit als im noch dünnen Wahlkampfprogramm. Er konnte während seiner Zeit als Bürgermeister Bogotás große Erfolge aufweisen im Kampf gegen die Gewalt und Unsicherheit auf den Straßen der Hauptstadt, die Mordrate sank und die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel wurde wieder sicherer. Im derzeitigen Wahlkampf steht das Motto „La vida es sagrada“ (Das Leben ist heilig) im Mittelpunkt und verbindet den Respekt vor dem Leben des einzelnen Menschen mit gewaltpräventiven Ideen und der absoluten Verurteilung extra-legaler Hinrichtungen als Praxis der staatlichen Sicherheitskräfte. Damit trifft er bei einer gewaltmüden Mehrheit in Kolumbien auf offene Ohren und Herzen.
Gleichzeitig stellt er aber Kernelemente der Politik seines Vorgängers Uribe nicht in Frage. Er will die Strategie der „Seguridad Democrática“ (demokratische Sicherheit) fortführen. Durch sie gewann Uribe einerseits mit harter Hand die Kontrolle über weite Teile des Landes zurück und fügte der Guerilla hohe Verluste zu. Dies traf auf die Zustimmung einer Mehrheit der Bevölkerung. Andererseits führte sie aber, beispielsweise über die Aufstockung des Verteidigungshaushaltes und die Durchdringung der Gesellschaft durch den Geheimdienst, zu einer weitgehenden Militarisierung des Landes. Unter den Auswirkungen dieser Politik leiden insbesondere Menschenrechtsorganisationen, soziale Bewegungen und Gewerkschaften sowie die Bewohner der städtischen Rand- und Armengebiete.
Neoliberales Wirtschaftsmodells beibehalten, Korruption und Klientelismus bekämpfen
Auch das neoliberale Wirtschaftsmodell, dessen Umsetzung seit Ende der 80er Jahre mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen klare Priorität aller kolumbianischen Regierungen war, will Mockus scheinbar nicht grundsätzlich verändern. Themen der nachhaltigen sozioökonomischen Entwicklung und Armutsbekämpfung tauchten im Wahlkampf nicht auf. Dabei betreffen diese insbesondere die Landbevölkerung Kolumbiens, also denjenigen Teil der Bevölkerung, der bislang nicht zu Mockus Anhängern zählt.
Mit anderen Themen steht Mockus jedoch für Veränderungen. Er hat keine Angst davor, gegen den Strom zu schwimmen und begeistert die Menschen mit Ideen und Themen, die eine Debatte um Werte und keine Wahlversprechen in den Mittelpunkt seiner Kampagne rücken. Mockus steht für Ehrlichkeit, Transparenz, Zivilcourage, Partizipation und Bürgerbeteiligung. Seine kleinen Erfolge im Kampf gegen Korruption und Klientelismus haben im kolumbianischen Kontext ein besonderes Gewicht. Viele Wähler haben das Bedürfnis nach einer grundsätzlichen Veränderung und Neubewertung von Politik, im Sinne eines Ausweges aus extremer Polarisierung und einem korrumpierten Parteiapparat. Ethische Fragen stehen daher im Vordergrund und Mockus wird als integere und vertrauenswürdige Person wahrgenommen.
Mockus stellt Normen und Traditionen auf den Kopf
Mockus glaubt außerdem an die Lernfähigkeit und –willigkeit eines mündigen Bürgers und stellt Traditionen und Normen auf den Kopf. Er steht für das Konzept der „Bürgerkultur“, die er mit unkonventionellen pädagogischen Experimenten förderte. Es gelang bspw. unter seiner Führung die Unfälle im Straßenverkehr durch den Einsatz von Clowns und Pantomime zu senken. Und auf seine Aufforderung hin blieben Männer zu Hause und gaben auf ihre Kinder acht, so dass Frauen abends ausgehen konnten. Er förderte Umweltbewusstsein, indem er selber in extravaganten Werbespots für das Sparen von Wasser unter der Dusche zu sehen war.
Ob es aber neben diesen Ansätzen auch programmatische Überschneidungen mit grünen Grundideen gibt, wird sich spätestens bei einem ersten großen Parteitreffen im August herausstellen – mit oder ohne „Mockus Presidente“.
Antanas Mockus Sivickas
- geboren am 25. März 1952 in Bogotá, Kolumbien
- 1972, Abschluss des Studiums der Mathematik in Dijon, Frankreich
- 1988, Magister in Philosophie in Bogotá, Kolumbien
- Forschung und Lehre in Havard, Oxford und Bogotá
- 1991-1993 Rektor der Nationalen Universität Kolumbiens in Bogotá
- während dieser Zeit gerät Mockus zum ersten mal ins Blickfeld einer größeren Öffentlichkeit, nicht nur weil er täglich mit dem Fahrrad zur Universität fährt sondern auch weil er bei einer Rede seinen entblößten Hintern zeigt, als er keine Aufmerksamkeit von den versammelten Studenten erhält
- Bürgermeister von Bogotá für zwei Amtsperioden: 1995-1997 und 2001-2003
- seine heutige Popularität basiert u.a. auf den politischen Erfolgen dieser Zeit: deutliche Reduzierung der Mordraten in der Hauptstadt, Sanierung des öffentlichen Verkehrs, Konsolidierung des Haushaltes, Verbesserung der Planungskompetenzen der Verwaltung, erweiterte Partizipationsmöglichkeiten im Bürgerhaushalt, Anprangern von Klientelismus und Korruption
- zusammen mit Enrique Peñalosa, seinem Vorgänger im Amt des Bürgermeisters, und Luis Eduardo Garzón, seinem Nachfolger, tritt Mockus im Oktober 2009 der Grüne Partei bei
- Mockus setzt sich bei der parteiinternen Wahl mit über 50% der Stimmen gegen die anderen beiden Kandidaten durch, diese sagen ihre Unterstützung zu
- bei den Parlamentswahlen gewinnt die Partei bereits fünf der insgesamt 102 Sitze im Senat
- als Vize gewann Mockus in Sergio Fajardo einen Unabhängigen, der auf eine ebenfalls erfolgreiche Amtszeit als Bürgermeister von Medellín zurückblicken kann und die Popularität der Partei weiter steigert