Von Stefan Schaaf
Am 30. Mai warteten auch bei uns viele gespannt auf die Ergebnisse der kolumbianischen Präsidentenwahl. Eine Sensation deutete sich bei der letzten Umfrage zwei Wochen zuvor an: Antanas Mockus, der zweimalige Bürgermeister von Bogotá, erhielt als Kandidat der Grünen Partei soviel Zuspruch, dass ihm gar der Sieg zugetraut wurde.
Die Ernüchterung folgte allerdings am Wahltag: Nur 21 Prozent der Wähler hatten für Mockus gestimmt. 46 Prozent hingegen für den Konservativen Manuel Santos, den Wunschkandidaten des bisherigen Staatschefs Álvaro Uribe.
Ein unkonventioneller Kandidat, eine ungewöhnliche Kampagne und ein unerwartetes Resultat: Ausreichend Inhalt für den Jour Fixe der Heinrich-Böll-Stiftung und der taz, und eine kontroverse Debatte mit drei kompetenten Gästen.
Direkt aus dem Wahlkampfstab der Mockus-Kampagne kam die 34-jährige Angélica Lozano Correa. Sie war keinesfalls niedergeschlagen über das Ergebnis der Wahl, denn niemand habe nach so kurzer Anlaufzeit mit einem so guten Ergebnis rechnen können. Die grüne Partei in Kolumbien, der Partido Verde, sei erst im Oktober 2009 gegründet worden und habe erst seit einem halben Jahr ein Programm. Nun in die Stichwahl gekommen zu sein, sei ein Erfolg. „Allerdings sind wir bei der zweiten Runde kein wirklicher Wettbewerber“, gestand sie mit großer Offenheit ein. „Aber wir wollen Bündnisse aufbauen, um langfristig erfolgreich zu sein“. In Kolumbien sage man, dass man auch im Fall einer Niederlage stets etwas gewinnt – etwa, indem man seine Fehler erkennt, sagte Lozano.
Sie sprach gar von zehn Fehlern, die die Kampagne gemacht habe, die aber auch nur die Hälfte des unerwartet schlechten Abschneidens von Antanas Mockus erklären können: Dazu gehörten nach ihren Worten die eigenen Angriffe auf den Verbündeten Gustavo Petro von der linken Partei Polo Democratico Alternativo. Ein weiterer Faktor sei wohl auch das stellenweise ungeschickte Auftreten des Prinzipienmenschen Mockus und seine zum Teil vagen Positionen und unpräzisen Antworten in den TV-Debatten vor der Wahl.
„Wir haben zu lange gezögert, eine überzeugende politische Agenda aufzustellen“, räumte die Diskutantin aus Kolumbien ein. Auch die Kritik an Uribe und Santos hätte viel härter sein müssen, so Lozano weiter. Schließlich hätte geklärt werden müssen, dass es keine Reformen ohne entsprechende Steuereinnahmen geben könne.
Auch der Journalist Carsten Wieland, der von 2006 bis 2008 für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Bogotá arbeitete, hielt kurzzeitig einen Sieg des Grünen-Kandidaten für denkbar.
Vor allem lobte er die „Strapazierfähigkeit der kolumbianischen Demokratie“, bei der das Oberste Gericht erst im Februar die Absicht Uribes durchkreuzte, für eine dritte Amtszeit zu kandidieren. Mockus habe bewirkt, dass es ein „bunter, fast heiterer“ Wahlkampf war, der auch sehr fair und sauber verlief. Dies sei durch die Politik Uribes seit 2002 und den von ihm bewirkten Wandel in der politischen Lage des Landes erst möglich geworden. Nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land sei es sehr viel sicherer geworden, ein Freiraum sei entstanden, in dem Themen jenseits von Guerillakrieg, Bekämpfung der FARC und Gewalt überhaupt debattiert werden konnten.
Was will Mockus?
Reiner Huhle vom Nürnberger Menschenrechtszentrum, der seit Jahren nach Kolumbien reist und zuletzt im Mai dort war, legte Wert darauf wahrzunehmen, dass sich 30 Prozent der Wähler offen gegen das Uribe-Projekt ausgesprochen hatten. Er vertrat ebenfalls die Meinung, dass Mockus auf viele wichtige Fragen einfach keine Antwort gegeben habe: „Das reicht von der Frage des Umgangs mit der Guerilla und mit den Paramilitärs bis zur Wirtschaftspolitik, da war Mockus teils widersprüchlich, teils unklar“. Das habe viele Wähler verunsichert. Wieland widersprach dieser Aussage mit Verweis auf dessen Wahlprogramm, in dem die Sicherheitsfragen an erster Stelle standen, der Umweltschutz hingegen erst in Punkt neun kam. „Ohne eine starke Position in der Frage der Sicherheit kann man in Kolumbien keine Wahl gewinnen“, urteilte er.
taz-Redakteur Bernd Pickert, der die Diskussion leitete, zitierte Menschenrechtler aus Kolumbien, die gerade wegen der geringen Distanz Mockus’ zur bisherigen Sicherheitspolitik nicht viel von ihm erwarteten. Er fragte Angélica Lozano, ob auch sie dies als einen Fehler ansehe. Lozano antwortete, Mockus habe, an die Adresse der FARC gerichtet, deutlich gemacht, dass sie es unter seiner Präsidentschaft noch schwieriger haben würden, Kindersoldaten zu rekrutieren oder Minen zu legen. Genauso hart habe er sich gegen die Paramilitärs ausgesprochen. Gleichzeitig habe er – anders als Uribe – auch dem Geheimdienst DAS Reformen und eine Säuberung angekündigt, dazu eine Stärkung der Justiz. Uribe, so fügte sie hinzu, habe den Filz in die Justiz hineingebracht, habe die Gerichte zur Korruption geführt und sie zum Gespött gemacht.
Der Traum vom Rechtsstaat
Rainer Huhle hob Mockus „rechtsstaatlichen Diskurs“ und seine Absage an außergerichtliche Hinrichtungen hervor, die zum Erfolg von Uribes Strategie gegen die FARC beigetragen hätten. Alles zusammen sei vielleicht zu ehrgeizig gewesen, um von den Kolumbianern noch als realistisch und glaubwürdig betrachtet zu werden.
Damit befand sich die Diskussion bei der Bilanz der zwei Amtszeiten Uribes. Hier gingen die Meinungen sehr auseinander. Debattiert wurde vor allem die von ihm – und seinem Verteidigungsminister Manuel Santos – betriebene Politik der Demobilisierung der Paramilitärs. Unter dem Dach dieser Politik haben Medien und Justiz erst das Ausmaß der Verstrickungen der politischen Führung mit den Paramilitärs aufgedeckt. Gegen Uribes Umfeld laufen 80 Ermittlungsverfahren wegen teilweise direkten Kontakten zu den Paramilitärs. Das Netz der Todesschwadrone reichte, wie kürzlich die „Washington Post“ enthüllte, bis zum Bruder Uribes. Gibt es somit keinen Ausweg aus dem lähmenden Dreikampf zwischen Politik, Paramilitärs und Guerilla?
Carsten Wieland sah dennoch eine veränderte Lage im Vergleich zu 2002. Heute habe die FARC keine politischen Ziele, keinen politischen Verhandlungswillen mehr und beschränke sich auf Entführungen und das Geschäft mit den Drogen. Ihre klügeren Köpfe hätten sich durchaus erfolgreich ins politische Leben Kolumbiens integriert. Die Paramilitärs seien heute ebenso delegitimiert wie die FARC. Uribe habe mehrfach unpopuläre Maßnahmen gegen Politiker ergriffen, die der Zusammenarbeit mit den Paramilitärs überführt worden waren – etwa die Abschiebung in die USA. In seiner zweiten Amtszeit habe Uribe sich freigeschwommen vom Einfluss der Paramilitärs und für eine Stärkung des Staats eingesetzt.
Der Staat und die Gewalt
Lozano sah das weniger optimistisch. Auch vier Jahre nach ihrer angeblichen Demobilisierung seien die Paramilitärs heute eine Realität, und in Kolumbien habe sich noch nicht eine moralisch begründete Ablehnung jeglicher Gewalt durchgesetzt, so wie sie der Partido Verde vertritt.
Auch Huhle glaubte nicht an den angeblich schwachen Staat, der sich gegen die Gewalt nicht durchsetzen könne. „Kolumbien hat einen vergleichsweise entwickelten Staat“. Die Gewalt der Paramilitärs, von denen auch heute noch 10.000 Mann aktiv seien, sei immer mafiöser, also wirtschaftlich motivierter Natur gewesen. Todesdrohungen gegen die derzeit 11.000 kolumbianischen Gewerkschafter und Menschenrechtsanwälte, die Personenschutz beanspruchen müssen, sprechen eine deutliche Sprache. Allenfalls stand für die Paramilitärs zeitweise der Kampf gegen die Guerilla im Vordergrund.
Die Gewalt gegen Gewerkschaftler belastet auch die Beziehungen zu den USA, wo viele Politiker aus der demokratischen Partei Abhilfe fordern, bevor der Handel zwischen beiden Staaten erleichtert werden kann. Taub stellt man sich im Norden hingegen weiter, wenn es um das Drogenproblem geht. Die Erzeugerperspektive ist naturgemäß eine andere als die des Konsumentenlandes. Dabei wäre es eine gute Perspektive für Kolumbien, wenn allen bewaffneten Gruppen inklusive der FARC die Existenzgrundlage entzogen würde, weil der Preis für Drogen zusammenbricht. Das setze allerdings eine Legalisierung der Drogen voraus.
Am 20. Juni findet in Kolumbien die Stichwahl statt.
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