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Countdown to Cancun: Sinkende Ernten, zunehmender Hunger

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Verendete Tiere in Dambas (Kenia) als Folge von jahrelang zu geringen Niederschlägen. Der Verlust von Viehbeständen bedroht in zunehmendem Maße die Ernährungssicherheit der Menschen. Foto: OXFAM / Breban Cox

22. November 2010


Dub lebt mit seinen zwei Frauen und 17 Kindern im Dorf Dhungoo in Äthiopien. Vor langer Zeit war er ein wohlhabender Mann mit 600 Rindern. Davon sind heute noch 23 Tiere übrig, denn seit Ende der 1980er Jahre haben Dürre und Trockenheit im Land so stark zugenommen, dass Dub mehr Tiere nicht ernähren kann. Weniger Rinder bedeuten weniger Einkommen und auch weniger Milch. Bora, Dubs Frau, erzählt: Früher haben wir Fleisch gegessen und Milch getrunken. Wasser haben wir nur zum Waschen benutzt. Heute gebe ich meinen Babys hauptsächlich Tee mit Zucker, weil wir nicht genug Milch haben. Sie sind daher nicht so stark und oft krank. Stillen kann ich die Babys auch nur, wenn ich selber genug esse. Bora verbringt täglich sieben Stunden mit Wasserholen. Immer weniger Flüsse haben ausreichend sauberes Wasser. Für immer weniger Wasser muss Bora immer längere Wege gehen. Dub und Bora setzen nicht mehr allein auf Viehzucht, sondern versuchen es inzwischen auch mit dem Anbau von Getreide – eine große Veränderung für eine Nomadenfamilie. Doch auch der Ackerbau ist in Zeiten des Klimawandels nicht einfach, denn: Ackerbau ist gar nichts ohne Regen.

Als vor zehn Jahren die Vereinten Nationen die »Millennium-Entwicklungsziele« verabschiedeten, waren weltweit mehr als 840 Millionen Menschen von Hunger und Unterernährung betroffen. Im Jahr 2009 überschritt die Zahl der Hungernden die Marke von einer Milliarde Menschen. Hauptursache für den Hunger bleibt die große Armut, vor allem im ländlichen Raum, aber auch mehr und mehr in den großen Städten Afrikas oder Asiens.

Den Armen fehlen die Mittel, um ihre bewährten Anbauweisen den veränderten klimatischen Bedingungen anzupassen. Wie im Falle Dubs und Boras in Äthiopien beeinträchtigen aber zunehmende Trockenheiten und weitere langfristige Auswirkungen des Klimawandels die Ernährungssicherheit in vielen Teilen der Welt. So vernichteten 2007 und 2008 Überschwemmungen in Bolivien große Teile der Ernten und töteten zehntausende Rinder. Im Jahr 2009 zerstörte eine schwere Dürre in Guatemala die Hälfte der Maisernte. Die Folge: zwei Millionen hungernde Menschen; jedes zweite Kind unter fünf Jahren chronisch unterernährt.

In vielen Regionen wird das Wetter unberechenbarer, Regenzeiten verschieben sich oder bleiben ganz aus. Tradiertes Wissen etwa über den Zeitpunkt der Aussaat wird unbrauchbar, wenn erst schlimme Dürren die Pflanzen vertrocknen lassen und später sintflutartiger Regen die übrige Ernte und mit ihr auch noch die fruchtbare Erde von den Feldern spült. Besonders schlimm sind diese Folgen in Asien oder in Afrika südlich der Sahara, wo die Bevölkerung überwiegend von der Landwirtschaft lebt.

Über die nächsten Jahrzehnte könnte sich der Klimawandel zur katastrophalen Bedrohung für die Ernährungssicherheit von Hunderten Millionen Menschen entwickeln. Experten sagen für Afrika und das westliche Asien in den nächsten Jahrzehnten einen Rückgang der Ernteerträge wichtiger Grundnahrungsmittel wie Mais, Reis und Weizen um 15 bis 35 Prozent voraus, falls die globale Erwärmung im gleichen Zeitraum auf über 3°C ansteigt. Das trifft die Menschen in diesen Regionen empfindlich, denn die Landwirtschaft stellt hier für etwa zwei Drittel der Menschen die Haupteinnahmequelle dar. Zudem baut die überwiegende Mehrheit der Kleinbäuerinnen und -bauern, etwa in Afrika, Nahrungsmittel vor allem für den Eigenbedarf an. Schon jetzt müssen diese Menschen oft hinzukaufen, um ihre Familien ernähren zu können.

Weltweit geringere Ernten bedeuten aber auch höhere Weltmarktpreise, zum Beispiel für Getreide. Zwar werden die Preise auch durch den anhaltend hohen Fleischverbrauch in den reichen Ländern, durch höheren Fleischkonsum in den Schwellenländern und die zunehmende Nutzung von Agrartreibstoffen nach oben getrieben. Aber es ist davon auszugehen, dass der Preisanstieg auf den globalen Märkten für Weizen bis zur Mitte des Jahrhunderts wegen des Klimawandels mehr als viermal stärker ausfallen könnte, als es ohne den Klimawandel zu erwarten wäre.

Die meisten armen Länder sind »Nettoimporteure« von Grundnahrungsmitteln, sie profitieren also nicht von höheren Weltmarktpreisen. Steigen die Preise, stehen daher gerade in Armut lebende Menschen schnell vor unüberwindlichen Problemen, weil sie oft 50 bis 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben müssen. Dann werden selbst bei kleineren oder nur vorübergehenden Preissprüngen Lebensmittel unerschwinglich, und die Menschen können beispielsweise gezwungen sein, ihr Vieh zu verkaufen, und verlieren also ihre Einkommensgrundlage. Zudem fehlen diesen Menschen in aller Regel die Mittel für Investitionen, um ihre über Jahrhunderte bewährten Anbausweisen an die veränderten klimatischen Bedingungen anzupassen.

Soziale Sicherungssysteme zum Schutz vor Ernteausfällen nach Dürren oder Überschwemmungen sind oft nur unzureichend oder überhaupt nicht vorhanden. Stattdessen müssen bei sinkenden Erträgen oft die Kinder noch zum Familieneinkommen beitragen. Zur Schule gehen können sie dann nicht, was wiederum ihre Zukunftschancen mindert.

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Publikation

Klima schützen, Armut verhindern

Der Klimawandel geschieht nicht erst morgen, er passiert schon heute – und er hat Folgen: Er lässt Ernten vertrocknen, verschlechtert die Trinkwasserversorgung in ohnehin trockenen Gegenden, begünstigt die Ausbreitung von Krankheiten und überschwemmt mit sintflutartigen Regenfällen ganze Regionen.
All dies kostet jedes Jahr über hunderttausend Menschen das Leben und gehört auch seit jeher zu den Ursachen von Armut. Neu sind aber Zahl, Heftigkeit und Dauer solch extremer Ereignisse. Und es trifft vor allem Menschen in den Entwicklungsländern, obwohl sie in der Regel am wenigsten und häufig überhaupt nicht zu der Krise beigetragen haben. Den Klimawandel zu begrenzen ist die größte und dringendste Herausforderung dieses Jahrhunderts. Sie geht uns alle an. Und sie lässt sich meistern. Die anschauliche Publikation "Klima schützen, Armut verhindern" von Oxfam Deutschland und der Heinrich-Böll-Stiftung sensibilisiert für diese Aufgabe und sagt, was zu tun ist.