Kann die Erde heute und in Zukunft alle Menschen ausreichend und gesund ernähren? Ja, sie kann. Aber nur, wenn ein grundlegendes Umdenken bei der landwirtschaftlichen Produktion, bei der nationalen und internationalen Verteilung und Nutzung von Ressourcen und bei den weltweiten Konsumgewohnheiten stattfindet. Dass jeder sechste Mensch auf der Welt hungert, liegt nicht daran, dass zu wenig Nahrungsmittel produziert werden. Im Gegenteil: Mit 2,3Milliarden Tonnen Getreide wurde im Jahr 2008 mehr geerntet als je zuvor. Doch fast 40Prozent des Getreides wird in Industrieländern genutzt – für Lebens- und Konsumgewohnheiten, die weder nachhaltig noch fair oder gesund sind. Fast die Hälfte der Agrarprodukte weltweit wird heute gar nicht direkt für den menschlichen Konsum verwendet, sondern zuerst als Tierfutter genutzt oder gar zu Treibstoff oder Industrierohstoffen verarbeitet – Tendenz steigend.
Diese Entwicklung ist ein Grund dafür, dass die Preise für Agrarprodukte seit der Jahrtausendwende steigen. Allein die hohen Agrarpreise im Jahr 2008 haben dazu geführt, dass zusätzliche 150Millionen Menschen akut von Hunger betroffen waren. Die Bauern selbst profitieren kaum von den hohen Preisen. Die Gewinne verbleiben bei den großen Händlern, Produktionsmittel werden teurer, und häufig fehlt es an Land und Wasser, um den Preisanreizen zu folgen und die Produktion auszuweiten.
Das derzeitige industrielle Agrarmodell ist nicht zukunftsfähig. Wie muss also eine Landwirtschaft aussehen, die Hunger bekämpft, eine steigende Weltbevölkerung ernährt und gleichzeitig Antworten auf die Herausforderungen des Klimawandels und den Erhalt von Ökosystemen bietet? Wie kann eine Landwirtschaft aussehen, die das Menschenrecht auf Nahrung ernst nimmt?
Mit dem Weltagrarbericht (IAASTD) wurde 2008 erstmals auf globaler Ebene ein Dokument entwickelt, das diese Fragen ins Zentrum seiner Empfehlungen stellt. Die Landwirtschaft wird in ihrer Multifunktionalität anerkannt. Sie produziert nicht nur Lebensmittel, sondern ist bedeutsam als Lebensgrundlage für die ländliche Bevölkerung sowie den Erhalt von Ökosystemen und Ressourcen.
Der diesjährige Bericht zur Lage der Welt zeigt praktische Ansätze, wie dies alles erreicht werden kann. Lokale Fähigkeiten und lokales Wissen der Produzentinnen und Produzenten werden ernst genommen. Vielfältige Beispiele ermutigen zum Handeln.
Statt kapital- und technologieintensive Großbetriebe und -plantagen zu begünstigen, sollen Investitionen in die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Nord und Süd fließen. Die natürliche Bodenfruchtbarkeit muss auch aus ökologischen Gründen in den Vordergrund rücken. Die wachsenden städtischen Märkte in Entwicklungs- und Schwellenländern sollten vor allem und wo immer möglich aus einheimischer Produktion versorgt werden.
Das schafft Einkommen und Beschäftigung für Bauern, verarbeitende Unternehmen und Händler. Diese Ausrichtung auf die nationale Ernährungssicherheit muss flankiert und unterstützt werden durch eine entsprechende internationale Agrar- und Handelspolitik, allen voran der Europäischen Union, die diese Anstrengungen nicht unterläuft, sondern befördert.
Afrika ist der Schwerpunkt des diesjährigen Berichts zur Lage der Welt. Dort werden in den nächsten Jahrzehnten die Bevölkerung und auch die Nachfrage nach Nahrungsmitteln immens anwachsen, und dort leidet schon heute ein großer Teil der Menschen unter Armut, Hunger und den Folgen des Klimawandels Eine entscheidende Frage globaler Dimension im 21. Jahrhundert heißt: Kann die internationale Gemeinschaft ein Landwirtschafts- und Ernährungsmodell etablieren, das die voraussichtlich neun Milliarden Menschen im Jahre 2050 nachhaltig und gesund ernähren kann? Die Antworten müssen wir bald geben und die Weichen heute stellen.
Berlin, im Januar 2011
Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
Klaus Milke, Vorstandsvorsitzender Germanwatch
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Zur Lage der Welt 2011
15. März 2011
Barbara Unmüßig, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung und Klaus Milke, Vorstandsvorsitzender Germanwatch
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