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Brasilien: Guerreiras (Kriegerinnen) - Wie sich Frauen beim Fußball freispielen

Das brasilianische Team bei der Frauenweltmeisterschaft, Foto: mariaguimarães, Quelle: Flickr, Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0

20. Mai 2011
Caitlin Fisher
Fußballspielerinnen jonglieren mit ihren Rollen und schaffen Freiräume für Frauen 

„Futebol“ gilt lange schon als Brasiliens beliebtester Sport, und für alle Welt ist Brasilien Fußballland – allerdings nur, wenn vom Spiel der Männer die Rede ist. Im Laufe der Geschichte zeichnete sich der Sport durch seinen Machismo aus und war ein Medium, Männlichkeit zu erproben und zu beweisen. Durch dieses Vermächtnis des Männerfußballs in Brasilien, müssen Fußballspielerinnen beständig um ihre Anerkennung kämpfen. Die weitreichende kulturell bedingte Missbilligung des Frauenkickens hat dazu geführt, dass Weiblichkeit und sexuelle Orientierung von Fußballspielerinnen immer wieder in Frage gestellt werden. Die Fußballspielerinnen bedrohen nicht nur das Verständnis von Männlichkeit in Brasilien, man sieht in ihnen auch Eindringlinge, die auf beschämende Weise eine wesentliche Quelle des nationalen Stolzes und der Identität in Frage stellen. Diese Wahrnehmung hat dazu geführt, dass der Frauenfußball mit großen Problemen zu kämpfen hat.

Frauenfußball hat gegen Vorurteile zu kämpfen

Als ich vor sechs Jahren als Fußballprofi nach Brasilien ging, bekam ich aus erster Hand mit, wie sehr durch den kulturellen Widerstand gegen den Frauenfußball dieser Sport stigmatisiert wird. Als Spielerin war ich schockiert über die Geschichten, die ich von vielen Mitspielerinnen zu hören bekam – davon, wie sehr sie kämpfen mussten, um ihrer Leidenschaft nachgehen zu können, wie negativ ihre Familien auf ihre Entscheidung reagierten und wie sehr es dem Sport an institutioneller Unterstützung mangelte. Die unbeirrbare Beharrlichkeit und das Gemeinschaftsgefühl, das in dieser Fußball-Subkultur anzutreffen ist, haben mich indes begeistert.

Mit dem Role-Model Marta Vieira da Silva ist Akzeptanz gestiegen

In jüngster Zeit hat hier eine grundlegende Veränderung eingesetzt, und Frauenfußball hat in Brasilien an Wertschätzung gewonnen. Einherzugehen scheint diese Veränderung mit der immer bedeutenderen Rolle, die Brasilien in der Weltwirtschaft spielt. Für die Umwälzung im Frauenfußball Brasiliens gibt es viele Anzeichen – höhere Gehälter, mehr Berichterstattung in den Medien, bessere Trainingsstätten, volle Stadien usw., wodurch für viele Spielerinnen der Kampf um Anerkennung einfacher geworden ist. Mütter unterstützen nun ihre Fußball spielenden Töchter, mehr und mehr Mädchenteams entstehen, große Proficlubs zeigen Interesse daran, Frauenteams aufzubauen und Spiele von Frauenclubs werden im Fernsehen übertragen. Die Tatsache, dass die derzeit beste Spielerin der Welt, die sechsmalige Weltfußballerin des Jahres, Marta Vieira da Silva, aus Brasilien kommt, hat zweifellos eine große Rolle dabei gespielt, brasilianischen Mädchen einige dieser Möglichkeiten zu eröffnen und es hat dazu beigetragen, überkommene Geschlechterrollen in Frage zu stellen.

In dem Maße, in dem immer mehr Spielerinnen in dieses traditionell den Männern vorbehaltene Reich vordringen und sich dort ihren Platz sichern, beweisen sie, dass sie unabhängig, durchsetzungsfähig und tüchtig sein können und dennoch feminin. Männlichkeit, dafür sind sie der beste Beweis, ist keine Voraussetzung für Erfolg. Der Einzug von Frauen in den Fußball trägt zweifellos dazu bei, überkommene Geschlechterrollen zu dekonstruieren, untergräbt die Vorherrschaft des Machismo und erweitert die Mitwirkungsmöglichkeiten von Frauen.

Dennoch wäre es voreilig, die steigende Beliebtheit des Frauenfußballs in Brasilien als entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung der Geschlechter zu sehen. Der Weg ist noch weit und zudem führen diese Veränderungen auch zu neuen Widersprüchen, Spannungen und Unklarheiten – die vielleicht nicht nur ein Zeichen für Fortschritte sind. Auch müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass viele dieser Veränderungen nur in einigen wenigen Vereinen und in bestimmten Teilen des Landes stattgefunden haben. Den meisten Frauenteams in Brasilien fehlt es nach wie vor an Unterstützung, an festen Strukturen und an Geld.

Neue Weiblichkeit wird von Spielerinnen gefordert

Hinzu kommt – und das ist beunruhigender –, dass sich ein neues Phänomen zu zeigen scheint. Während die Vorurteile gegen den Frauenfußball zu schwinden scheinen und Spielerinnen selten die einstige kulturell bedingte Ablehnung erfahren, müssen sie sich nun mit einem neuen kulturellen Zwang auseinandersetzen, der gesellschaftlich verordneten Weiblichkeit. Anders gesagt, für Spielerinnen wird ein neues hyperfeminines Image zur erwarteten Norm und der Druck nimmt zu, will man akzeptiert werden, dieses Image auch zu erfüllen.

Die stärkere öffentliche Wahrnehmung, die der Sport genießt, hängt immer mehr davon ab, dass sich Spielerinnen in ihre Geschlechterrolle einfügen, das heißt, dass sie eng anliegende Trikots tragen, langes Haar haben, sich vor dem Spiel schminken und nach dem Spiel einen Rock tragen. Solche Erwartungen sind nicht notwendig negativ und viele Spielerinnen unterstützen es, dass eben ein solches, mehr feminines Image dazu beiträgt, dem Frauenfußball größere Aufmerksamkeit in den Medien und mehr Unterstützung zu verschaffen. Vielen Spielerinnen ist klar, Kompromisse müssen gemacht werden. Sich dafür ein feminineres Image zuzulegen, macht vielen nichts aus, wenn sie es nicht sogar begrüßen. Viele Spielerinnen verweisen dabei auf den Frauenfußball in den USA, der, so glauben sie, den Erfolg seinem femininen Image verdankt.

Rollenverständnis von Frauen bleibt Thema

Ein derartiges Ideal kann jedoch problematisch werden, wenn wir an die Opfer denken, die einzelne Frauen möglicherweise erbringen müssen, um sich in diese sehr eng gefasste Geschlechterrolle einzupassen. Eine Frau, die sich an diese sehr spezielle Vorstellung von achtbarer Weiblichkeit hält, wird wahrscheinlich gesellschaftlich stärker akzeptiert und auch materiell dafür belohnt werden. Ein solches Rollenverständnis zeichnet sich jedoch durch einen Mangel an Flexibilität und Freiheit aus. Entsprechend durchleben viele Fußballspielerinnen in Brasilien im Alltag erhebliche Widersprüche und Spannungen. In die neuen Rollen und Verhältnisse können sie sich nur schwer einleben und sie bleiben dem ausgesetzt, was der Mainstream über Frauen und Fußball sagt sowie den entsprechenden Geschlechterrollen. Trotz alledem finden sie aber Wege, solche Rollenvorstellungen abzuweisen oder umzuformen, wodurch sich für Frauen die Möglichkeiten mitzuwirken entscheidend erweitern.

Bedeutet also die steigende Beliebtheit des Frauenfußballs in Brasilien einen Schritt in Richtung einer Gleichberechtigung der Geschlechter? Diese Frage muss offen bleiben, fraglos ist aber die Kraft der hieran beteiligten Frauen.

Caitlin Fisher ist Fußballerin und hat zum Frauenfußball in Brasilien geforscht.

Aus dem Englischen übersetzt von Bernd Herrmann.

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