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Reformen in Myanmar: Führende Oppositionspartei auf dem Weg ins Parlament

Die Nationale Liga für Demokratie (NLD) beschloss bei einem Treffen des Zentralvollzugskommittees am 19. November, die Partei offiziell registrieren zu lassen, um an den kommenden Parlaments-Nachwahlen teilzunehmen. Auch Aung San Suu Kyi selbst plant unter Umständen eine Kandidatur. Diese Entscheidung bedeutet eine Abkehr von der bisherigen Boykotthaltung der Partei, die bei den Parlamentswahlen im November 2010 nicht angetreten war und daraufhin als Partei ihre Registrierung verlor. Die für Frühjahr 2012 erwarteten Nachwahlen sind erforderlich, da 48 Parlamentssitze von Abgeordneten frei wurden, die im neuen Kabinett Ministerposten erhalten hatten. Laut Verfassung dürfen Minister kein Parlamentsmandat innehaben. Die NLD kündigte an, sich für alle frei gewordenen Sitze zu bewerben. Auch die regierende militärnahe Union Solidarity and Development Party (USDP) wird Kandidat/innen für alle 48 vakanten Sitze nominieren. Die National Democratic Force (NDF) - die Splitterpartei der NLD - und die National Unity Party (NUP) wollen in 20 Wahlbezirken ihre Kandidat/innen aufstellen.

Ausschlaggebend für den Kurswechsel der NLD waren die anhaltenden Reformbemühungen Präsident Thein Seins, die auch Aung San Suu Kyi davon überzeugten, dass Thein Sein „echten positiven Wandel“ will. Mit der Freilassung von über 200 politischen Gefangenen im Oktober und der Änderung des Parteiregistrierungsgesetzes Anfang November hatte die Regierung zumindest teilweise zwei Grundbedingenden der NLD erfüllt. Die Klauseln im Parteiregistrierungsgesetz, die es der NLD nach eigenen Angeben unmöglich gemacht hatten bei den Wahlen 2010 anzutreten, wurden für die NLD maßgeschneidert abgeändert. Auch die Entscheidung von Präsident Thein Sein das umstrittene Myitsone-Staudammprojekt vorläufig zu stoppen und unter anderem die Verabschiedung eines neuen Arbeitsgesetzes, das auch Gewerkschaften und ein Streikrecht vorsieht, wurden von Aung San Suu Kyi und der NLD wohlwollend aufgenommen.

Mit ihrer strategischen Entscheidung muss sich die NLD aber auch von Seiten einiger ethnischen Gruppen, politisch engagierten buddhistischen Mönchen und „Hardlinern“ im Exil die Kritik gefallen lassen, voreilig gehandelt zu haben. Denn nach eigenen Angaben der NLD befinden sich weiterhin über 500 politische Häftlinge in Gefängnissen. (Die tatsächliche Zahl ist heiß umstritten.) Auch die bewaffneten Konflikte in den Grenzregionen, insbesondere im Kachin Staat, haben sich weiter verschärft. Manche befürchten, die NLD könne in eine Falle gelockt werden und – einmal im Parlament – dort nur wenig Handlungsspielraum vorfinden.

Die Nationale Liga für Demokratie im Parlament

Doch bei allem Risiko ist der mutige Schritt der NLD, die Chance zu ergreifen und das Angebot der Regierung zu einer Zusammenarbeit anzunehmen, sehr zu begrüßen. Die Anwesenheit der NLD im Parlament kann die parlamentarische Opposition enorm stärken und dem Parlament auch international die verdiente Aufmerksamkeit und Anerkennung zuteilwerden lassen, die es verdient. Tatsächlich war es nie das „Ja-Sager” Parlament wie von vielen Kritikern angekündigt, sondern ermöglichte von Anfang an relativ offene Debatten und setzte bereits eine Reihe von bedeutenden Reformen um. Die zweite Versammlung des Parlaments, die überraschend im August einberufen wurde, dauert inzwischen seit mehr als drei Monaten an und hat bereits gute und überraschende Ergebnisse geliefert.

Auch innerhalb des Parlaments wird die NLD zweifellos versuchen, nach Möglichkeiten jeden Spielraum zu nutzen und auf eine rasche Umsetzung demokratischer Reformen drängen. Suu Kyi wird sich mit Sicherheit auch als Abgeordnete nicht das Wort verbieten lassen. In jedem Fall stellt der zu erwartende Einzug der NLD ins Parlament für den gerade erst wiederauferstandenen Parlamentarismus in Myanmar/Burma einen neuen Höhepunkt dar. Mit der NLD im Boot stehen die Chancen besser denn je, dass auch die letzten politischen Häftlinge rasch freikommen und möglicherweise unter Vermittlung Suu Kiys ein Dialog zur Lösung der ethnischen Konflikte vorangetrieben wird. Jüngst fanden erste Verhandlungen über neue Waffenstillstandsabkommen statt. Die Verhandlungen wurden von Eisenbahn-Minister Aung Min geleitet, der angeblich das Vertrauen vieler ethnischer Gruppen genießt. Gerüchten zufolge könnten weitere Verhandlungen in Naypyidaw und möglicherweise sogar eine Neuauflage der Panglong-Konferenz von 1947 folgen.

Wie sich die NLD im Parlament konkret einbringen kann und wird, bleibt abzuwarten. Noch ist nicht sicher, ob es zu einer Wiedervereinigung mit der Splitterpartei der NDF kommen wird bzw. wie die Kooperation der demokratischen Oppositionsparteien insgesamt aussehen wird. Bisher hielt die NLD im Gegensatz zu den parlamentarischen Oppositionsparteien weiter an den Sanktionen fest. Sie wird dieses Faustpfand wohl erst aus der Hand geben, wenn alle politischen Häftlinge freigekommen sind. Dies wird voraussichtlich noch vor oder kurz nach den Nachwahlen in den kommenden Monaten geschehen. Andernfalls hätte sich die NLD wahrscheinlich kaum auf eine Registrierung eingelassen.

Beobachter gehen davon aus, dass die Nachwahlen freier und fairer ablaufen werden als im vergangenen Jahr und dass die NLD einen Großteil der 48 Sitze erhalten wird. Doch solche Vorhersagen sind kaum verlässlich, Meinungsumfragen gibt es in Myanmar/Burma bisher kaum. Eine Wiederholung des Wahlbetrugs vom November 2010 würde jedoch einen schweren Rückschlag für Präsident Thein Seins „Perestroika“ bedeuten und das neu gewonnene Vertrauensverhältnis zwischen ihm und Suu Kyi schwer beeinträchtigen. Doch hinter den Kulissen muss sich Präsident Thein Sein nachwievor mit “Hardlinern” des alten Regimes arrangieren. Sie finden wenig Gefallen an seinen Reformen und haben nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren. Immer noch scheint nur eine Minderheit der Minister im Kabinett dem “liberalen” Lager anzugehören. Zwar sitzt Thein Sein, nach Meinung eines intimen Kenners der politischen Szene im Land, derzeit fest im Sattel, sein Reformkurs könnte aber dennoch zu Fall gebracht werden.

Internationale Anerkennung für Reformkurs

Die von Präsident Thein Sein initiierten Reformen in Myanmar/Burma konnten kürzlich auch den Verband Südostasiatischer Nationen (ASEN) ausreichend überzeugen. Beim ASEAN Gipfel in Bali, Indonesien, entschieden die Staatschefs der zehn Mitgliedsländer, Myanmar/Burma den ASEAN-Vorsitz für das Jahr 2014 anzuvertrauen. Im Jahr 2005 musste Myanmar/Burma auf Druck der der USA und EU unfreiwillig von dem geplanten Vorsitz im Jahr 2006 zurücktreten, der Vorsitz wurde aufgeschoben. Skeptiker verurteilen die erfolgte Zusage als verfrüht und fürchten, der Reformdruck auf Myanmar/Burma könnte sich nun verringern. Andere gehen – im Gegenteil – davon aus, dass die Zusage, den Reformdruck auf das „schwarze Schaf“ unter den ASEAN-Staaten erhöhen wird. Die Ausrichtung eines ASEAN-Vorsitzes ist für Myanmar/Burma in jeder Hinsicht eine große Herausforderung und zwingt es mit hoher Wahrscheinlichkeit, die begonnene Öffnung beizubehalten. Gerade in Hinblick auf die geplante Integration Myanmars/Burmas in die ASEAN Freihandelszone bis zum Jahr 2015 würde sich im Falle eines Vorsitzes der Druck auf Myanmar/Burma erhöhen, längst überfällige Reformen umzusetzen.

Fast zeitgleich mit der Entscheidung über die Re-Registrierung der NLD kündigte US-Präsident Obama nach Abstimmung mit Suu Kyi an, US-Außenministerin Hillary Clinton auf einen offiziellen Besuch nach Myanmar/Burma zu entsenden. Der Besuch Clintons, der für Anfang Dezember geplant ist, ist der erste Besuch eines US-Außenministers seit 50 Jahren. Damit signalisiert auch Washington, dass es hinter der Entscheidung Aung San Suu Kyis steht und bereit ist, auf konkrete Fortschritte wohlwollend zu reagieren. Außenministerin Clinton könnte mit einer schrittweisen Aufhebung der Sanktionen ein Zeichen setzten. Eine gute Möglichkeit für die USA wäre, ihr Veto gegen das Engagement der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds aufzuheben. Aus eigener Kraft wird es Myanmar/Burma kaum gelingen, die enormen Herausforderungen vor allem im Wirtschaftbereich zu meistern. Dafür braucht es die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und, wohl oder übel, auch der internationalen Finanzinstitutionen. Nach Meinung eines burmesischen Ökonomen, wird gerade die Entwicklung der Wirtschaft in den kommenden Monaten und Jahren in wesentlichem Maße über den Erfolg der neuen Regierung und damit über einen möglichen demokratischen Wandel entscheiden. Nicht zufälligerweise hatten vergangene Massenproteste in Myanmar/Burma meist wirtschaftliche Hintergründe (1988: Geldentwertung, 2007 Anstieg der Ölpreise).

Auch Catherine Ashton, die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik der EU, zeigte sich “hocherfreut” über die Entscheidung der NLD, bei den Nachwahlen antreten zu wollen. In einer Presseaußendung teilte sie mit, die EU würde auf positive Entwicklungen entsprechend reagieren. Asthon weist darauf hin, dass bereits in diesem Jahr die Strafmaßnahmen gegen Myanmar/Burma entschärft wurden und eine grundlegende Prüfung der Sanktionen bevorsteht. Die EU wird im April 2012 über die Fortsetzung der Sanktionspolitik gegenüber Myanmar/Burma entscheiden. Angesichts der unglaublichen Geschwindigkeit, mit der sich Veränderungen – zumindest auf der politischen Ebene – im Lande vollziehen und der damit verbundenen zunehmenden internationalen Anerkennung, steht die EU vor einer wichtigen Entscheidung. Sollte Aung San Suu Kyi nach erfolgter Freilassung aller politischen Gefangenen eine Aufhebung der Sanktionen fordern, wäre die Entscheidung einfach. Aber auch im Falle einer weiteren Verzögerung sollte die Europäische Union bereit sein, rasch darüber zu entscheiden, wie sie am effektivsten den begonnenen Reformkurs in Myanmar/Burma unterstützen kann. Sanktionen scheinen dafür kaum ein geeignetes Mittel. 


Rainer Einzenberger arbeitet als Progammkoordinator Myanmar/Burma in der Heinrich-Böll-Stiftung Thailand

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