Dem ersten Weltkrieg wird hinsichtlich der Ethnozide und Genozide des 20. Jahrhunderts eine herausragende Bedeutung beigemessen. Hier wurde die Saat gelegt, die im zweiten Weltkrieg aufging. In diese Kategorie fällt die Rolle des Deutschen Reiches beim Genozid an der armenischen Bevölkerung im Osmanischen Reich. Der Deutsche Bundestag hat im Jahr 2005 einstimmig dem interfraktionellen Antrag „Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern 1915“ zugestimmt und damit eine negative Rolle des Deutschen Reiches in diesem Geschehen anerkannt.
Mit dem Antrag hat der Bundestag sich auch zu der Verpflichtung bekannt, einen Beitrag zur Aufarbeitung und Versöhnung zu leisten. Eine breite gesellschaftliche Debatte über die Rolle des Deutschen Reichs bei der Vertreibung und Vernichtung der Armenier kann zu einer Vertiefung der Debatte in der Türkei selbst beitragen. Sie sollte aber nicht dafür instrumentalisiert werden, die Türkei aus ihrer tragenden Verantwortung zu entlassen.
Auch wenn sich zivilgesellschaftliche Kreise in der Türkei inzwischen mehr und mehr mit dem Genozid auseinandersetzen, gilt dies bis heute nicht für die offizielle Politik. Noch immer ist in der Türkei keine umfassende Diskussion über die damaligen Ereignisse im Osmanischen Reich möglich. Wissenschaftler/innen und Schriftsteller/innen, die sich mit diesem Teil der türkischen Geschichte auseinandersetzen wollen, müssen strafrechtliche Verfolgung und öffentliche Diffamierung befürchten.
Zur Konferenz:
Die Konferenz am 22. September 2011 in der Heinrich-Böll-Stiftung erörterte den aktuellen Stand der Forschung zur Bedeutung des Ersten Weltkriegs für Genozide/Ethnozide sowie die Rolle Deutschlands beim Genozid an den Armeniern. Auf Basis dieser Bestandsaufnahme wurde der Frage nachgegangen, inwieweit die öffentliche Hand ihren 2005 eingegangenen Verpflichtungen nachgekommen ist, welche politisch-diplomatischen Hürden sie dabei zu nehmen hat und welche Möglichkeiten der Aufarbeitung, Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit bestehen. In einem dritten Schritt wurden Erfahrungen über zivilgesellschaftliche Aktivitäten und Ansätze ausgetauscht.
Dokumente zur Konferenz
- Programm der Konferenz (PDF)
- Protokoll der Konferenz (PDF, 14 Seiten)
- Eröffnungsrede von Ralf Fücks
- Raffi Kantian: Der Auftrag an die deutsche Politik in der Praxis (PDF)
- Boris Barth: Erster Weltkrieg - Nationalismus - Imperialismus und Genozide (PDF)
- Raymond Kevorkian: L’état de la recherche sur le génocide des Arméniens (PDF)
Video der öffentlichen Podiumsdiskussion
Fotos der Konferenz
Presseberichte
- Freitag.de "Der Völkermord an den Armenien und die deutsche Öffentlichkeit"
- Armenieninfo.net
- Globalresearch.ca: Can Germany Mediate Armenian-Turkish Reconciliation?
- DW-World.de: Wege zur Versöhnung
- Sondakika.com: 1915 olaylarında Almanlar'ın rolü
- Anahit Hovsepian: Deutschland ist verantwortlich - Soll man nach der moralischen auf die juristische Klärung warten? (Tageszeitung AZG)
- Interview mit Raymond Kévorkian: "Wir verstehen einige Aspekte des Völkermords besser, wenn die Archive veröffentlicht werden" (Tageszeitung AZG)