Fremde Freunde: Driften Israel und Deutschland auseinander?

Lesedauer: 7 Minuten
Ralf Fücks, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung
Foto: Ludwig Rauch

16. Februar 2012
Diese Tagung hat eine lange Vorgeschichte. Wir haben verschiedene Versionen durchdiskutiert, mit mehreren potentiellen Kooperationspartnern gesprochen. Am Ende haben wir sie in eigener Verantwortung vorbereitet. Dabei waren wir uns des Risikos wohl bewusst, das man eingeht, wenn man das deutsch-israelische Verhältnis jenseits einer routinierten, pflichtgemäßen Rhetorik erörtern will.

Kaum war das Konferenzprogramm gedruckt, fingen wir uns schon die ersten schrillen Kritiken und Vorwürfe ein. Damit war zu rechnen. Es gibt vermutlich kein anderes politisches Reizthema, das so aufgeladen ist mit Emotionen, Ressentiments, Tabus und Feindseligkeiten. Umso nötiger scheint uns der Versuch, miteinander ins Gespräch zu kommen, und zwar nicht nur unter Gleichgesinnten, sondern zwischen unterschiedlichen Positionen.

In dieser Konferenz geht es weder um die Verdammung noch um die bedingungslose Rechtfertigung Israels. Es geht darum, genauer zu verstehen, wie sich die israelische Gesellschaft und Politik im Kontrast zur deutschen entwickelt. Ich sage „im Kontrast“, weil mein Eindruck aus vielen Jahren teilnehmender Beobachtung ist, dass sich unsere Gesellschaften und unsere politische Kultur nicht aufeinander zu, sondern voneinander weg bewegen. Das ist jedenfalls die Ausgangsthese dieser Konferenz, die sich auch im Titel niedergeschlagen hat: Fremde Freunde.

Auf der Oberfläche der offiziellen Beziehungen scheint die Welt noch weitgehend in Ordnung. Trotz der bekannten Differenzen, die dem Vernehmen nach auch zwischen der deutschen Regierungschefin und dem israelischen Premierminister ausgefochten werden, sind die diplomatischen, wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Verbindungen eng und intensiv. Die Bundeskanzlerin hat vor der Knesset versichert, das Existenzrecht Israels gehöre zur Staatsraison der Bundesrepublik. Dieser Tage hat Jürgen Trittin das für die Grünen bekräftigt: „Das Eintreten für die gesicherte Existenz des Staates Israel ist ein Grundprinzip deutscher Außenpolitik.“ Zwischen Tel Aviv und Berlin besteht ein reger Pendelverkehr, es gibt zahlreiche Städtepartnerschaften, israelische Autoren werden ins Deutsche übersetzt, der Handel floriert.

Wer aber genauer hinsieht, kann die Risse in dieser „special relationship“ nicht übersehen. Das Bild Israels in der deutschen Öffentlichkeit hat sich in den letzten Jahren verdunkelt. Wenn man heute fragt, was die Leute mit Israel verbinden, dann fallen Signalbegriffe wie Besatzung, Unterdrückung, Landnahme, Militarismus, Apartheid vermutlich sehr viel öfter als Demokratie, Rechtsstaat, kulturelle Vielfalt, High Tec, lebendige Zivilgesellschaft. Die Diskussion über Boykott und Sanktionen findet nicht nur an den Rändern des politischen Spektrums statt. Ob die Lieferung von U-Booten noch unter die Verpflichtung fällt, für die Sicherheit Israels einzutreten, ist durchaus umstritten. Was hierzulande im Fall eines israelischen Luftangriffs auf iranische Atomanlagen los wäre, mag man sich kaum ausmalen.     

Vielleicht war das Israel-Bild vor allem des links-liberalen Spektrums in Deutschland schon immer illusionär (soweit es überhaupt positiv war). Inzwischen wächst das Befremden: über die hartnäckige Siedlungspolitik, über das Erstarken der Ultraorthodoxen und ihre vorsintflutlichen Ansprüche auf Verbannung der Frauen aus dem öffentlichen Raum, über diskriminierende Gesetze und Praktiken gegenüber der arabischen Minderheit, über die fortgesetzte Politik der militärischen Stärke und über eine Regierung, die sich stur allen Erwartungen aus Europa und selbst aus dem Weißen Haus widersetzt. Und die Entfremdung wächst noch, wenn klar wird, dass mit einer grundlegenden Kursänderung auf absehbare Zeit nicht zu rechnen ist. Das ist der Boden, auf dem die Solidarität mit Israel in Verdammung umzuschlagen droht. Zugespitzt könnte man sagen, dass sich die öffentliche Meinung in Deutschland dem europäischen Durchschnitt nähert.

Die Umwälzungen im Nahen Osten tragen nicht gerade zu einer Festigung der Beziehungen bei. Die Hoffnung der amerikanischen und der europäischen Regierungen, dass Israel zur Entspannung der Situation beiträgt, indem es einen großen Schritt auf die Palästinenser zugeht und den Weg für eine Zwei-Staaten-Lösung bahnt, wurde enttäuscht. Israel besinnt sich in einer Situation wachsender Unsicherheit eher auf die eigene Stärke. Die Vorstellung, dass es allein in ihrer Macht liege, den jahrzehntelangen Konflikt um Land und Anerkennung durch einen historischen Kompromiss zu beenden, erscheint in den Augen vieler Israelis als reichlich naiv.

Im Zentrum dieser Konferenz steht aber nicht die unendliche Debatte um den israelisch-palästinensischen Konflikt, auch wenn dieses Thema hier sicher nicht ausgeklammert werden kann. Das werden wir bei anderer Gelegenheit vertiefen. Vielmehr geht es darum, die gegenseitigen Wahrnehmungen anhand einiger fundamentaler politischer Kategorien zu beleuchten.

Wir beginnen heute Abend mit der Diskussion über das deutsch-israelische Verhältnis vor dem Hintergrund des politischen Erdbebens im Nahen Osten. Morgen Früh geht es dann um die Bedeutung von Nation, Staat und Religion in Israel und Deutschland. Während wir uns in Europa in einer neuen, postnationalen Etappe wähnen und religiöse Bindungen immer schwächer werden, trifft das auf Israel mitnichten zu. Der ganze Sinn der Staatswerdung Israels liegt gerade darin, die jüdische politische Souveränität zu gewinnen, wie auch die Palästinenser um ihre nationale Selbstbestimmung kämpfen. Und Religion spielt in der gesamten Region eine wachsende Bedeutung als identitätsstiftendes Element.

Diese Ungleichzeitigkeit gilt auch für unser nächstes Großthema: die Einstellung zur Gewalt als Mittel der Politik. Zwar hat die Bundesrepublik in den letzten 20 Jahren ihre pazifistische Unschuld verloren. Aber für weite Bereiche der Öffentlichkeit gilt nach wie vor, dass Krieg kein Mittel der Politik mehr sein darf. Eine Kategorie wie „Abschreckungsfähigkeit“ kommt seit dem Ende des Kalten Kriegs im deutschen politischen Diskurs nicht mehr vor. Dagegen gilt in Israel die Wahrung militärischer Überlegenheit nach wie als Lebensversicherung. Während bei uns Präventivkriege als völkerrechtswidrig verworfen werden, behält sich Israel dieses Recht ausdrücklich vor.

Auch das gegenseitige Verständnis von Multikulturalismus und Staatsbürgerschaft unterscheidet sich deutlich. Deutschland hat sich vor nicht allzu langer Zeit vom „ius sanguinis“ gelöst, also von einer durch Abstammung definierten Staatsbürgerschaft, ohne dass wir schon in der neuen Normalität einer multiethnischen Gesellschaft angekommen wären. In Israel koexistiert das Einwanderungsrecht für alle Juden, als deren Heimstatt es sich begreift, mit der Staatsbürgerschaft der arabischen Minderheit, deren politische Zugehörigkeit auf wackligen Füßen steht. Gleichzeitig hat sich die demographische Komposition Israels infolge der russischen Einwanderung und der unterschiedlichen Geburtenraten drastisch verändert und wird sich weiter verändern, mit erheblichen Auswirkungen auf die politische Kultur des Landes.

Genug Stoff also für eine spannende Diskussion, die am Ende  zu einem besseren wechselseitigen Verständnis führen sollte. Besser zu begreifen, wie Israel (respektive die Bundesrepublik) tickt, bedeutet keineswegs Kritiklosigkeit. Aber es ermöglicht zumindest eine informierte, aufgeklärte Kritik.
Wenn die Tagung dazu beiträgt, hat sie den Aufwand gelohnt.

Abschließend möchte ich mich noch bei allen bedanken, die zum Zustandekommen dieses Projekts beigetragen haben. Das gilt insbesondere für Marianne Zepp, die inzwischen in unserem Büro in Tel Aviv für das deutsch-israelische Dialogprogramm zuständig ist: vielen Dank für die Arbeit an der Konzeption und die aufwändige Puzzlearbeit bei der Besetzung der verschiedenen Podien! Wir hatten bis zum heutigen Tag viel Bewegung auf unserer Referentenliste. Das aktuelle Programm unterscheidet sich deshalb in verschiedenen Positionen von der ersten Einladung. Ich hoffe, Sie sehen uns das nach. Das gilt auch für das Auftaktpodium: Reinhard Bütikofer, der wiederum schon für Dany Cohn-Bendit eingesprungen war, konnte wegen des aktuellen Streiks am Frankfurter Flughafen nicht mehr rechtzeitig von Straßburg nach Berlin kommen.

Mein Dank geht auch an das Nahost-Referat hier in Berlin, insbesondere an Renate Eisape, für die Vorbereitungsarbeit, sowie an das Tagungsbüro der Heinrich Böll Stiftung, das uns heute und morgen betreuen wird.

Last not least möchte ich mich bei unseren Medienpartnern bedanken: der Jüdischen Allgemeinen und der Zeitschrift Internationale Politik. Ich bin sicher, dass es reichlich Stoff für die Berichterstattung geben wird, das gilt natürlich auch für alle anderen Medien, die sich für diese Konferenz interessieren.

Fotogalerie der Konferenz "Fremde Freunde?"

Audiomitschnitte der Konferenz

Fremde Freunde? Die israelische und deutsche Sicht auf Staat, Nation, Gewalt. Ein Vergleich. by boellstiftung

Konferenz "Fremde Freunde" (16.-17.2.2012)

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.