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Myanmar/Burma: Hoffnung nach NLD-Wahlsieg

Aung San Suu Kyi, 17. Januar 2012, in Yangon. Bild: Htoo Tay Zar. Original: Wikimedia Commons. Lizenz: CC BY-SA 3.0

5. April 2012
Rainer Einzenberger
Wohl selten zuvor erregten Parlaments-Nachwahlen derart großes internationales Interesse wie die jüngsten Nachwahlen in Myanmar/Burma. Weniger als sieben Prozent aller Mandate standen am ersten April zur Wahl. Doch obwohl der überragende Sieg von Aung San Suu Kyis National League for Democracy (NLD) die Machtverhältnisse im Parlament nicht wesentlich ändert, sind die Wahlen aus mehreren Gründen ein Meilenstein in Myanmars jüngerer Geschichte.

Ein Jahr nach Antritt der neuen Regierung unter dem zivilen Präsident Thein Sein, der einen rasanten Reformkurs einleitete, gelten die Nachwahlen als wichtiger Test dafür, wie ernst es Myanmar mit dem begonnen Demokratisierungsprozess tatsächlich ist. Für Suu Kyi, die international Kultstatus genießt und ihre NLD, war es die erste Chance nach 1990, wieder an demokratischen Wahlen teilzunehmen. Die Nachwahlen waren nötig, da 48 Parlamentssitze von Abgeordneten frei wurden, die ins Kabinett gewechselt waren.

Wie erwartet konnte sich Myanmars Oppositionsführerin, Tochter des Nationalhelden Aung San, nach intensiver Wahlkampftour ohne Schwierigkeiten einen Platz im Parlament sichern. Damit wird sie erstmals in ihrer langen politischen Karriere, die sie überwiegend unter Hausarrest verbrachte, ein offizielles Amt bekleiden. Eine Sensation in einem Land, das vor einem Jahr noch das Musterbeispiel einer Militärdiktatur war. Insgesamt konnte die NLD 43 der 44 Sitze für sich gewinnen um die sie gekämpft hatte (in einem Wahlbezirk wurde der Kandidat der NLD disqualifiziert in einem anderen verlor die NLD gegen eine ethnische Partei). Aung San Suu Kyi selbst sprach von einem “Wahltriumph des Volkes” und dem “Beginn einer neuen Ära”. Auch Präsident Thein Sein begrüßte das Wahlergebnis.

Obwohl die NLD zuvor bezweifelte, ob die Wahlen “fair und frei” ablaufen würden, berichteten kurzfristig eingeladene unabhängige Wahlbeobachter nur von kleineren Unregelmäßigkeiten, wie etwa fehlerhaften Wählerlisten. Anders als bei den Wahlen 2010 gab es diesmal keine vorsätzlichen Manipulationen mit Vorabstimmen. Alles andere als ein geregelter und transparenter Ablauf der Nachwahlen und ein Sieg der NLD wäre ein schwerer Rückschlag für Präsident Thein Seins „Perestroika“ gewesen und hätte sein Reformprogramm untergraben. Schließlich hatte er durch sein Dialogangebot an die Nobelpreisträgerin und zahlreiche Reformschritte, darunter die Freilassung hunderter politischer Gefangener, erst den Weg für die Teilnahme der NLD an den Wahlen geebnet.

Überschattet wurde der erfreuliche Wahltag von den anhaltenden bewaffneten Konflikten zwischen der Kachin Independence Army (KIA) und Regierungstruppen im Kachin State. Zehntausende Zivilisten harren weiter in Flüchtlingscamps unter widrigsten Bedingungen aus und warten auf ein Ende der Kampfhandlungen. Während es der Regierung in den letzten Monaten gelang, mit zahlreichen anderen ethnischen Gruppen erste Waffenstillstandsvereinbarungen auszuhandeln, blieben die Verhandlungen mit der KIA bislang erfolglos. Mit Hinweis auf die angespannte Sicherheitslage verschob die Regierung kurzerhand die Nachwahlen für die drei vakanten Sitze im Kachin State auf unbestimmte Zeit.

Auch nach den Wahlen vom ersten April bleibt das Parlament weiterhin fest in der Hand des Militärs und der militärnahen USDP. Nichtsdestotrotz bedeutet der Einzug Aung San Suu Kyis für das Parlament eine enorme Aufwertung und Legitimierung. Im vergangenen Jahr entpuppte sich das Parlament als dynamischer Schauplatz des sich öffnenden Landes, wurde international aber weitgehend ignoriert. Bei der nächsten geplanten Sitzung des Parlaments voraussichtlich im Mai wird die NLD nach der Regierungspartei die größte Oppositionspartei stellen. Obwohl Aung San Suu Kyi als einfache Abgeordnete nur einen sehr begrenzten Handlungsspielraum hat wird sie sich nicht das Wort verbieten lassen. Sie kann eine wichtige Kontrollfunktion übernehmen und nach Möglichkeit auf weitere demokratische Reformen drängen. “Aung San Suu Kyi kann im Parlament mitwirken neue Gesetze zu beschließen und alte Gesetze abzuschaffen”, so ein lokaler Journalist. “Mit ihrem Charisma und ihrer Macht wird ihre Stimme überall gehört werden wohin sie auch geht”. In der Vergangenheit gab es auch Spekulationen, dass Suu Kyi einen Ministerposten übernehmen könnte, ein konkretes Angebot steht aber noch aus.

Im Wahlkampf hatte die NLD vor allem große Themen wie Rechtsstaatlichkeit, die Lösung der ethnischen Konflikte und eine angestrebte Verfassungsänderung thematisiert. Im Parlament wird sie sich auch mit alltäglicheren Themen auseinandersetzen und konkrete Politikvorschläge vorlegen müssen. Die angestrebte Verfassungsänderung wird nur mit Zustimmung der Armee möglich sein, die jedoch über eine Sperrminorität im Parlament verfügt. Es bleibt fraglich ob das Militär bereit ist, sich weiter aus seiner Machtposition zurückzuziehen, wie von Suu Kyi gefordert.

Trotz Anerkennung der Reformen und abgesehen von Besuchen hochrangiger Politiker und ersten Lockerungen der Sanktionen gaben sich EU und USA in ihren Reaktionen bisher relativ zögerlich. Mit den erfolgreich abgehaltenen Nachwahlen dürfte der Weg für eine weitere Normalisierung der Beziehungen und die Aufhebung der Sanktionen nun frei sein.

Der Wahlsieg der NLD ist zweifellos Rückenwind für den Demokratisierungsprozesse in Myanmar und stärkt Thein Seins Reformagenda. Die Gefahr eines Rückfalls scheint nun weniger wahrscheinlich. Doch es wäre falsch zu hohe Erwartungen in die NLD und die Person Aung San Suu Kyis zu setzen. So erfreulich der Einzug der NLD ins Parlament auch ist, ein nachhaltiger Versöhnungsprozess muss alle ethnischen Gruppen des Landes einschließen, auch die Kachin. Andernfalls ist keine demokratische Zukunft denkbar. Bis zu den nächsten Wahlen 2015 bleibt noch viel zu tun.

Hinweis: Dieser Artikel erscheint in der Mai-Ausgabe des Magazins „Südwind“ dem Magazin für internationale Politik, Kultur und Entwicklung (Heft 05/12).

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