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Warum ich "The Spear" gemalt habe

Brett Murray's verunstaltetes Gemälde in der Galerie. Ein Foto des unzerstörten Originals ist bei Wikimedia zu sehen. Foto: Cea./Flickr, Lizenz: CC BY 2.0.

26. Juni 2012
Brett Murray
Präsident Zuma und der ANC sind vor Gericht gegangen, um die Goodman Gallery und die Sonntagszeitung City Press zu zwingen, das Bild von Brett Murray abzuhängen bzw. von der Webseite zu entfernen. Der Künstler hat daraufhin dem South Gauteng High Court eine eidesstattliche Erklärung vorgelegt, in der er erklärt, warum er dieses Bild gemalt hat und wie er es einordnet:

"Zu allererst möchte ich betonen, dass ich mit Stolz Südafrikaner bin und zudem ein ehemaliger Unterstützer des ANC. Ich bin kein Rassist. Meine Kunst zielt nicht darauf ab, jemanden zu verletzen, zu demütigen oder zu beleidigen; das schließt das Gemälde ein, das diese Kontroverse hervorgerufen hat.
Ich weise es entschieden von mir, dass eine derartige Absicht hinter der Entstehung oder dem Ausstellen von „The Spear“ gestanden haben könnte. Dies wird durch meine Erläuterungen zu Hintergrund und Kontext meines Werkes ersichtlich werden. „The Spear“ hat eine zweifache Aufgabe: zum einen ist es ein Werk des Protests und der Widerstandskunst, zum anderen ein satirisches Stück.

Ich möchte Ihnen erklären, woher ich komme, um meine Arbeit in einen breiteren Zusammenhang zu stellen.

Ich bin in Südafrika geboren und in den 1970ern und 80ern in einer pervertierten und von korrupten, jeder Moral beraubten Politikern geführten Gesellschaft aufgewachsen. Diese Politiker behandelten Südafrika - mein Land - als persönlichen Machtbereich ihrer rassistischen Elite. Zur Erhaltung dieser illegitimen Macht waren Einschüchterungstaktiken sowie die Ausübung von Zwang, Gewalt, Manipulation und Missbrauch des Geheimdienstes und der Polizei an der Tagesordnung.

Es herrschte Zensur, und die freie Meinungsäußerung war massiv beschnitten. Weiße Männer wie ich wurden in die Armee eingezogen, um die Waffen gegen unsere südafrikanischen Landsleute zu erheben, um einen Krieg zu führen, an den wir nicht glaubten, gegen Feinde, die wir als unsere Freunde betrachteten.

Um der Wehrpflicht zu entgehen, habe ich zehn Jahre lang studiert. Danach bin ich ins selbst gewählte Londoner Exil gegangen, bis der ANC wieder zugelassen war und ich nach Südafrika zurückkehren konnte.

Während ich studierte, habe ich mich in der Gewerkschaftsbewegung, in kirchlichen Gruppen, Jugendgruppen und in der Kampagne zur Beendigung der Wehrpflicht aktiv gegen Apartheid engagiert. Als Künstler habe ich Banner, Plakate, Aufkleber, Dokumentationen von Arbeiterprotesten und ähnliches zur Unterstützung des Kampfes entworfen und angefertigt.

Das Aufwachsen in der Apartheid-Gesellschaft hatte bei mir zur Folge, dass ich mich bereits im frühen Alter mit Fragen bezüglich Macht, Rasse, Politik, Patriarchat, und der Manipulation der Medien auseinandersetzte.

Es war so: Viele Jahre haben diese Themen meine künstlerische Tätigkeit weitgehend bestimmt.
Für meinen Masterabschluss in Fine Arts/Kunst habe ich dem Apartheid-Regime mit Satire den Spiegel vorgehalten. Die Arbeiten bestanden aus Spottfiguren und stellten Polizisten mit Dynamit in den Ohren und Schweine als Soldaten dar.

Wie viele Südafrikaner begrüßte ich den Beginn eines neuen Südafrikas. Ich habe an der Universität Stellenbosch Kunst unterrichtet, als 1994 die ersten demokratischen Wahlen Südafrikas abgehalten wurden und habe am 27. April 1994 als Unterstützer des ANC stolz meinen Stimmzettel in die Urne geworfen.
Für mich, meine Landsleute und die gesamte Welt bedeutete dieser Tag Hoffnung, Freiheit, das Ende der Tyrannei und Anbruch einer neuen Ära. Südafrika hatte sich von einem Schurkenstaat zur stolzesten Nation der Welt hin entwickelt.

Im weiteren Verlauf unserer demokratischen Entwicklung begannen sich erste Risse zu zeigen in der Art und Weise, wie die herrschende Elite die Ideale der Freiheits-Charta und unserer Verfassung umsetzte.
Aus meiner Warte als Künstler hatte ich ein Gefühl von Verrat, bei dem die Helden des Kampfes jetzt als korrupt, machthungrig und gierig erschienen, und bei dem die Ideale, für die viele gestorben waren oder Opfer gebracht hatten, als nicht mehr zweckdienlich auf dem Altar zurückgelassen wurden.

Einige bemerkenswerte Ereignisse, die in den letzten Jahren in unserer Gesellschaft immer wieder kursierten, sind die Geschichten über den ersten Kläger (Präsident Jacob Zuma – Anm. d. Übers.]. In einem Urteilsspruch zum Beispiel, der auch das Verhalten des ersten Klägers mit bewertete, befand das Gericht, dass dieser zu seinem der Korruption für schuldig befundenen ehemaligen Finanzberater, Schabir Shaik, in enger Verbindung gestanden hat.

Eine weitere umstrittene Begebenheit aus dem öffentlichen Leben des ersten Klägers war das Unvermögen der Strafverfolgungsbehörde, die Korruptionsvorwürfe gegen ihn weiter zu verfolgen - und das trotz der offensichtlichen Existenz von Beweisen, die die Anschuldigungen untermauerten.

Einzelheiten aus dem Sexualleben des ersten Klägers sind in den öffentlichen Medien hinreichend dokumentiert. Ungeachtet der Tatsache, dass er bereits vier Ehefrauen hat, hat er bei mindestens zwei Gelegenheiten außerehelichen Sex praktiziert.

Für mich ist Satire kritische Unterhaltung. Während ich vordergründig bestimmte Ziele angreife und lächerlich mache, artikuliere ich damit in Wahrheit meine Vision von einer idealen Welt, in der ich selbst gern leben würde. In diesem Fall, dem südafrikanischen Beziehungsrahmen, ist mein bevorzugtes Ideal die Freiheits-Charta.

In einem politischen Kontext kann Satire bewirken, dass sie als politische Streitschrift betrachtet wird, die gesellschaftskritische Debatten auslöst.

Die daraus resultierende Auseinandersetzung um dieses Werk ist der beste Beweis dafür, dass etwas ins Rollen gekommen ist und dass man mit Kunstwerken diese Debatten hervorrufen kann, ganz gleich wie beunruhigend sie auch sein mögen.

Es besteht daher kein Grund, Künstler zu zensieren, ganz egal wie unangenehm es für den Einzelnen und für die Gesellschaft insgesamt werden könnte.

Für mich hat „The Spear“ eine weit umfassendere Bedeutung, als einige Beiträge zum öffentlichen Diskurs, einschließlich der Interpretation des ersten Klägers, ihm an Bedeutung zugestehen. Es ist eine Metapher für die Macht, die Gier und das Patriarchat."