Am Anfang wird Julius Malema noch belächelt. Karikaturisten zeichnen ihn mit Windeln, vor allem weiße Südafrikaner machen sich lustig über sein miserables Schulzeugnis: Selbst in Holzarbeiten habe er eine schlechte Note bekommen. Einige aber erkennen das politische Talent des damals noch nicht 30-Jährigen. Präsident Zuma schmeichelt ihm als „zukünftigen Führer“, der renommierte Pädagoge Jonathan Jansen warnt seine Landleute, nicht überrascht zu sein, wenn Malema eines Tages als ihr Präsident im Amt lande, und Frans Cronje vom respektierten South African Institute of Race Relations kritisiert eine Zeitung, weil diese sich über ihn lustig gemacht hat: „Sein wirtschaftliches Verständnis mag zu wünschen übrig lassen, aber seine politischen Instinkte sind gut ausgebildet und im allgemeinen um einiges besser als die derjenigen, die die Nase über Menschen rümpfen, die nicht wissen, wo Den Haag ist. Es ist durchaus denkbar, dass er die Zukunft des Afrikanischen Nationalkongresses und der Regierung repräsentiert, und er verdient es ernst genommen zu werden.“
Warnung vor einem heranwachsenden Diktator
Andere wie Oppositionsführerin Helen Zille warnen ausdrücklich vor einem „heranwachsenden Diktator“, Zeitungskolumnisten beschwören Robert Mugabe und Idi Amin herauf. Fest steht: Malema wird geliebt und gehasst. In dem durch die Geschichte so versehrten Land ist er Projektionsfläche für Ärger auf der einen und Angst auf der anderen Seite.
Wer ist Julius Malema? Fiona Forde, eine in Kapstadt lebende irische Journalistin, hat sich 2009 an seine Fersen geheftet und 2011 ein Buch über ihn vorgelegt [1], das in Südafrika zum Bestseller wurde, auch international Beachtung fand, und im Herbst in einer überarbeiteten Fassung in Großbritannien erscheinen wird. Sie hat, so bekennt sie im Vorwort, einen durchaus sympathischen jungen Mann getroffen, der sie aber als Politiker gleichzeitig tief beunruhige. Der in Südafrika lebende und lehrende Kameruner Achille Mbembe, ein renommierter Philosoph und Historiker, ermunterte sie, Malema so komplex zu portraitieren, wie er ist, und hat den Schreibprozess als eine Art Lektor fürs Grundsätzliche begleitet sowie ein Vorwort beigesteuert.
Im April 2010 war Malema mit einer Delegation beim sozialistischen Jugendtreffen in Caracas. „Noch nie hat Venezuela so viele Designerlabels gesehen wie in den vergangenen 48 Stunden seit Ankunft der jungen Südafrikaner“, so Forde. „Sie passen nicht in diesen Mix (der sozialistischen Weltjugend – Anm. d. Verfasserin). Sie sehen so aus, als ob sie nicht dazu gehören. Einige sehen mehr wie Mafia aus und nicht wie militante Aktivisten.“ Malema aber, der gerne Breitling-Uhren und teure Kleidung trägt, fühlt sich angemessen angezogen und erklärt der weniger gestylten Reporterin, was man tragen müsse, um auf der Höhe der Zeit zu sein.
Abschied von der Regenbogennation?
Im zweiten Kapitel widmet sich Forde dem Chamäleon Malema als politischem Unternehmer: Locker, aber im vollen Bewusstsein, was er tut, „zeigt er dem Projekt einer nichtrassischen Gesellschaft den Finger, reißt die Vorstellung einer Regenbogennation vom Tisch und stellt die Ziele des Übergangs in Frage.“ Damit, und das macht es so gefährlich, verleiht er den unter der Oberfläche brodelnden Gefühlen der nach rassischen und sozialen Kriterien gespaltene Gesellschaft Ausdruck. Der moralisch diskreditierte und an Führungsschwäche leidende ANC hat ein Vakuum geschaffen, das Malema geschickt auszunutzen weiß. Die Partei setzt ihm wenig entgegen, der Jungstar gibt den Ton an. Das zeigt sich im Kommunalwahlkampf 2011, als er – in Gegenwart von Präsident Zuma – im Stadion von Bloemfontein unwidersprochen erklärt, Weiße sollten als „Kriminelle“ behandelt werden, weil sie den Schwarzen das Land „gestohlen“ hätten. Deshalb könne man es ihnen auch einfach wieder wegnehmen.
Malema, am 3. März 1981 im Township Seshego in der Nähe von Polokwane (bis 2005 Pietersurg) als Sohn einer Hausangestellten geboren, wächst ohne männliche Vorbilder auf und hängt sich noch als Kind an ein paar ältere Comrades. Fiona Forde beschreibt diesen aufregenden Aufbruch in ein neues Zeitalter so: „Malema war hin und weg, wie wohl jedes Kind seines Alters es gewesen wäre. In seiner Vorstellung waren diese Comrades Helden. Sein Glück konnte er kaum fassen. Aus einem ziemlich höllischen Leben und einem eintönigen Township-Alltag heraus wachte er eines Morgens auf und fand sich mitten im Gewühl einer Befreiungsbewegung, die nicht mehr gebannt war, einer politischen Partei, von der alle sprachen und die sich stetig auf einen Sieg in Südafrikas ersten demokratischen Wahlen 1994 hin bewegte.“ Noch in der Volksschule schließt Malema sich dem Congress of South African Students (COSAS) an, mit 14 wird er Mitglied der ANC Jugendliga (ANCYL).
Und Malema will nach vorn und nach oben. 1997 wird er Vorsitzender von COSAS in der Provinz Limpopo, 2001 - da ist er gerade 20 - führt er den Gesamtverband an. Rücksicht kennt und nimmt er nicht. Beim Einstieg in die nationale Politik der Jugendliga hat er schon ein überbordendes Selbstbewusstsein und eine ausgeprägte Arroganz. Den chaotischen Verlauf der ANCYL-Konferenz 2008 und die Umstände seiner Wahl zum Vorsitzenden 2008 hat er selbst rückblickend als „unziemlich“ bezeichnet.
Der Geist aus der Flasche
Zu diesem Zeitpunkt dämmert dem Land, welcher Geist da aus der Flasche kommt. Malema ist nicht gebildet, aber sehr clever und ein Meister darin, Stimmungen zu erfassen, auszunutzen und die richtigen Worte zu finden. Er weiß so viel von der Geschichte des ANC und der Youth League, dass er sie für sich instrumentalisieren kann. Und er wählt seine Beispiele sehr geschickt aus. Kurz vor den Jubiläumsfeierlichkeiten des ANC am 8. Januar 2012 erklärt er, dass die Weißen alles kontrollierten - „von den Produktionsmitteln und Minen bis hin zu den Banken und Arbeitskräften“. Malema: „Das muss sich ändern. In den nächsten 10 Jahren wollen wir weiße Hausangestellte sehen.“ In einem Land, in dem schwarze Hausangestellte zum Inventar der Apartheid gehörten und noch heute jeden Morgen Sammeltaxis schwarze Frauen zur Arbeit in die überwiegend weißen Vororte fahren, ist das ein wirkungsmächtiges Bild.
Mit der Rhetorik für die kleinen Leute aber will Malema auch ans große Geld. In seiner Heimatprovinz Limpopo gehört er zu den „Tenderpreneuren“: zu denen, die sich qua Hautfarbe und Beziehungen öffentliche Aufträge verschaffen und damit gut verdienen. Fiona Forde schreibt, dass Malema Limpopo praktisch von Johannesburg aus regiert, überall hat er seine Leute sitzen. Und die nehmen die öffentlichen Kassen so schamlos aus, dass die südafrikanische Presse häufig von der „Limpopo Mafia“ spricht. Außerdem hat Malema ganz offensichtlich Gönner unter den neuen Reichen; er pflegt jedenfalls einen Lebensstil mit exquisiten Getränken, teurer Kleidung, flotten Autos und nicht zu kleinen Häusern. Fiona Forde hat in einem eigenen Kapitel zusammengetragen, was sie und andere Journalisten zu Malemas wirtschaftlichen Verhältnissen in Erfahrung gebracht haben. Seither ist noch eine ganze Menge Zusätzliches ausgegraben worden. Wie so viele andere ANC-Mitglieder sieht er darin keinen Widerspruch zu den erklärten Zielen der Befreiungsbewegung: „It’s our time to eat“ – der Titel des Buches von Michaela Wrong über Kenia wird in Südafrika gern zitiert, um die eigenen Ansprüche zu legitimieren oder diese Haltung zu kritisieren. Weil es um den Zugang zu den Fleischtöpfen geht, wird im ANC so heftig um die Macht gekämpft. Für einen wie Malema führt der Weg dahin nur über die Politik.
"...in Südafrika ist jetzt permanent Karneval"
Nachdem er einmal eine Machtposition errungen hat, geht der Kampf für ihn erst richtig los. Fiona Forde zitiert dazu Achille Mbembe: „Ich denke, dass ein bestimmter Teil der schwarzen südafrikanischen Gesellschaft ein Problem damit hat, dass er diesen Krieg nicht mit dem Gewehr gewonnen hat. Es gibt ein Gefühl der Kastration, das aus der Vorstellung kommt, dass wir diesen Krieg nicht mit einer Gewehrkugel beenden und die Weißen nicht dadurch niederzwingen konnten, dass wir ihnen unsere Stiefel auf die Kehle gedrückt haben, wie das in Zimbabwe der Fall war. Und Malemas Kriegsneid lässt vermuten, dass er genau das wollte und wohl immer noch will. Dieses Gefühl treibt den Lumpenradikalismus an, der immer Teil der politischen Kultur Südafrikas war und der sich jetzt vom Rand in die Mitte bewegt“.[2] In der Debatte um den „zweiten Übergang“ (so der Titel eines strategischen Dokuments für den ANC-Programmparteitag im Juni 2012) spiegelt sich dieser Wunsch nach Konfrontation und einem größeren Anteil vom wirtschaftlichen Kuchen wider.
Der derzeitige ANC hat dem keine eigene Vision mehr entgegenzusetzen. Wohl auch deshalb ist die zur Machtinhaberin degenerierte ehemalige Befreiungsbewegung so anfällig für „verstümmelnde politische Krankheiten, die in vieler Hinsicht theatralisch daherkommen“, so Fiona Forde nach einem längeren Rückblick auf die ANC-Geschichte. Mbembe nennt das „karnevalesk“ und bezieht sich dabei auf den russischen Theoretiker Mikhail Bakhtin, der das Treiben so erklärt: „Karneval ist kein Spektakel, das die Leute anschauen; sie leben vielmehr darin, und jeder und jede nehmen daran Teil, weil es von seiner Idee her alle einschließt. Während der Karneval anhält, gibt es jenseits davon kein anderes Leben. Während der Karnevalszeit unterliegt das Leben seinen Spielregeln, genauer: den Gesetzen seiner Freiheit.“
Wenn Karneval angesagt ist, geben Menschen den Ton an, die sonst am Rand der Gesellschaft leben, und da ist vieles erlaubt, was die Konventionen sonst nicht gestatten. Sie fühlen sich beflügelt. Normalerweise, so Mbembe, ist die Karnevalszeit befristet, „aber in Südafrika ist jetzt permanent Karneval. Das ist das letzte Kapitel des Übergangs.“ Als „Chefmechaniker“ hinter dem keinesfalls lustigen Treiben hat Mbembe Jacob Zuma ausgemacht, der mit dem Lied „Bring mir mein Maschinengewehr“ angetreten ist. Was der ANC rund um das Gemälde von Brett Murray inszeniert hat, lässt sich ebenfalls als Fortsetzung des Karnevals interpretieren .
Eine Hand wäscht die andere: Zuma und Malema
Malema ist für Zuma lange sehr nützlich, der Mann für die Drecksarbeit, wenn es darum geht, die Anklagen wegen Vergewaltigung bzw. Korruption zu überstehen oder Feinde auszumachen, wenn von schlechter Regierungsführung abzulenken ist. Vor Studenten der Walter-Sisulu-Universität in East London soll Malema erklärt haben, dass es ihm bei den kontroversen Aussagen darum gegangen sei, die Opposition zu täuschen und abzulenken, während Zuma in die Union Buildings,in denen sich der Amtsitz des Präsidenten befindet, sprintete.
Erst als Malema Zuma zu kritisieren beginnt, ihn gar mit dessen Vorgänger Thabo Mbeki vergleicht, soll der Geist zurück in die Flasche. Doch Malema will nicht, fühlt sich stark genug, dem Präsidenten der Partei und des Landes nicht nur die Stirn zu bieten, sondern ihn zu verhöhnen. Er singt ein regelrechtes Preislied auf Thabo Mbeki, den Mann, den er einst aus dem Parteivorsitz entfernt sehen wollte. Nun wird er „zum besten Führer, den Südafrika je hervorgebracht hat“, und die, die ihn hassen, werden beschuldigt, auf seine Erfolge neidisch zu sein. „Er war hervorragend gebildet und clever“, so Malema, damit zugleich Zumas Schwächen hervorhebend. Malema weiß, so Fiona Forde, dass Zuma ihn nicht mehr einfangen kann, dass er alle Kontrolle über ihn verloren hat.
Malemas Ausschluss aus dem ANC
Politisch mag ihm nach so viel nicht sanktionierten Ausfällen nun niemand die Stirn bieten. Darüber ist in der südafrikanischen Presse viel geschrieben worden, von Angst ist da die Rede und auch davon, dass Malema mit seinen Forderungen das Geschäft und das Spiel einiger hoher ANC-Funktionäre betreibt. Und natürlich auch vom Mangel an einer die Gesellschaft wieder inspirierenden Vision und Führungspersönlichkeit. Der von Fiona Forde so betitelte „neue“ ANC ist offenbar stärker als der alte. Am Ende führt ein langwieriges Parteiordnungsverfahren, das sich bis April 2012 hinzieht, zum Ausschluss von Malema aus dem ANC. Kurz danach treten die „führenden Sechs“ des ANC gemeinsam vor die Presse, um Einigkeit zu demonstrieren – doch der bizarre Auftritt zeigt nur die tiefe Spaltung.
Zuma hat Malema schon vorher wissen lassen, dass es außerhalb der Partei ziemlich „kalt“ sei: „Selbst die Leute, die einen auf der Straße gegrüßt haben, kennen einen nicht mehr, wenn man außerhalb des ANC angelangt ist“, sagte er bei einem Dinner in Richards Bay. Doch Malema ist auch nach dem Ausschluss immer noch präsent, gibt Interviews, lässt Namensartikel veröffentlichen, gebärdet sich nun sogar als Träger der wahren ANC-Ideale, etwa in seinem Beitrag zur Debatte über „The Spear“ für die Sonntagszeitung City Press.
Fraktionskämpfe und persönliche Rivalitäten lähmen den ANC
Zuma, der Malema so lange gewähren ließ, redet jetzt viel von Disziplin. Doch der Karneval lässt sich so leicht nicht eindämmen, wie der Programmparteitag Ende Juni 2012 mit 3500 Delegierten zeigt. Er soll eigentlich der programmatischen Klärung dienen, bevor im Dezember ein neuer Parteipräsident gewählt wird. Doch Programmfragen sind inzwischen so sehr mit Fraktionskämpfen und persönlichen Rivalitäten verbunden, dass sie sich kaum noch diskutieren lassen. Dieser unappetitliche Zustand belastet das ganze Land, das so dringend etwas gegen die Bildungsmisere und die Jugendarbeitslosigkeit tun müsste.
Viele Kommentatoren haben nach dem Parteitag darauf hingewiesen, wie grotesk die mit marxistischem Jargon überfrachteten Diskussionspapiere sind; dass der ANC es doch in der Hand habe, die von ihm beklagten Grundmängel, etwa in der Bildung abzustellen. Doch Quotenregelungen, Kaderentsendung, Pöstchen- und Auftragsvergabe - im Kern die Transformationspolitik des ANC - haben den Staatsapparat teilweise so weit geschwächt, dass er vielerorts die versprochenen Leistungen nicht erbringen kann. Den gegenwärtigen Staatsapparat beschreibt Forde mit Achille Mbembe als „hybriden Koloss aus dem autoritär strukturierten Apparat der Apartheidzeit, Fragmenten der neuen demokratischen Kultur und einigen Überbleibseln aus der Günstlingswirtschaft der Bantustans.“ Nicht gerade der vielbeschworene entwicklungsfördernde Staat, der auf dem Parteitag von den Delegierten gefordert wurde.
Gemanagte Demokratie
„Das ist also Malema: Und das ist nun die Zukunft“, hat Fiona Forde ihr vorletztes Kapitel überschrieben, das wie das ganze Buch viele Monate vor dem Ende des Parteiausschlussverfahrens abgeschlossen wurde. „Eine Zukunft ohne Malema würde die Gesellschaft nicht von ihren Schwächen befreien, denn der neue ANC ist gut aufgestellt.“ Und, das gerät bei der bitterbösen Auseinandersetzung leicht in Vergessenheit, auch Zuma, der Mann des Sicherheitsapparates, ist selbst Teil dieser Aufstellung. Der neue ANC hat die wesentlichen Schritte eingeleitet, einzuleiten versucht oder getestet, um das Land zu einer „gemanagten Demokratie“ zu machen. Mit anderen Worten: Südafrika wird weiter freie und faire Wahlen haben, aber die Geschicke werden von einer autokratischen, korporatistischen Elite gelenkt werden, die ihre Kader platziert und Justiz und Presse zu kooptieren versucht – und, wenn das nicht gelingt, zu (Transformations-)Feinden erklärt. Dafür lassen sich viele Beispiele aus jüngster Zeit finden.
Das letzte Kapitel dieser Malema-Biographie ist mit „Die Lage ist kompliziert“ überschrieben. Und das ist sie wirklich. Südafrika befindet sich an einem neuralgischen Punkt. Forde beginnt ihre abschließenden Betrachtungen mit dem Verweis auf dem Epochenwechsel von dem noblen, Versöhnung anstrebenden Nelson Mandela hin zu dem gnadenlosen Populisten Julius Malema, der mit Konfrontation Politik macht und nur an sich selbst denkt. Dass dieser junge Mann aus der Provinz quasi über Nacht zum meistbeachteten Politiker wird, sagt viel über die südafrikanische Gesellschaft.
Südafrika hat alles, was ein entschlossener Populist braucht
18 Jahre, also fast eine Generation nach der Machtübernahme des ANC dämmert vielen schwarzen Südafrikanern, dass sie nicht zu den Gewinnern gehören werden, ausgeschlossen bleiben oder gar schlechter dran sind als unter der Apartheid. Die offizielle Politik lässt das nur verschämt durchblicken, etwa, wenn es heißt, dass die arbeitslosen Jugendlichen wegen fehlender Qualifikation“ „nicht beschäftigbar“ sind und viele Arbeitslose in ihrem ganzen Leben keinen Job bekommen werden. Sie sind die Verlierer einer Gesellschaft, die einerseits eine moderne Ökonomie hat und vielen Menschen ein Leben voller Annehmlichkeiten möglich macht, die andererseits für die, die in ihr gefangen sind, brutal und perspektivlos Dritte Welt ist.
Und dann kommt jemand daher, spricht endlich zu ihnen, den Massen, und hat eine einfache Erklärung: „Ihr seid arm, weil zu viele Weiße reich sind“. Das ist nicht nur eine Beschreibung der vielleicht ungleichsten Einkommensverteilung der Welt, es rührt auch an das, was an Gefühlen und Wut über die Apartheid noch sehr virulent ist. Malema spricht beides an und für sie aus. „Die Leute wollen all den weißen Symbolen und was mit ihnen verbunden ist, verzweifelt gern einen Stinkefinger zeigen. Und Malema tut das für sie“, zitiert Forde den Journalisten Max du Preez. „Und die sitzen da und freuen sich in ihrem Herzen daran. Hier ist ein junger Mann, Sohn einer Hausangestellten, kommt aus einem armen Township, erscheint im nationalen Fernsehen und sagt Fuck you zu den Weißen. Sie würden das gern selbst sagen, aber sie können es nicht. Deshalb lieben sie ihn dafür, dass er es tut und das weiß er.“ Dass er wie ein neureicher Mafioso lebt, stört sie dabei nicht. Er hat eben geschafft, zu leben, wie sie es auch gern täten.
Südafrika hat alles, was ein entschlossener Populist braucht: Zum Himmel schreiende Armut, eine tiefe Kluft zwischen Arm und Reich und eine gewalttätige Geschichte, deren Grundkonflikt mit der Hautfarbe verbunden ist. Die im Ausland so bewunderte Wahrheits- und Versöhnungskommission hat ihn nur kurz und begrenzt bearbeitet, seither wird er meist beschwiegen. 18 Jahre ANC-Regierung haben zwar eine schwarze Mittelschicht hervorgebracht, darüber aber aus der einst prinzipienstarken Anti-Apartheid-Bewegung ein Vehikel für den jeweils eigenen Aufstieg gemacht.
Strategie der Spaltung
Weil die Enttäuschung darüber bei den Zurückgelassenen so groß und die Korruption so krass ist, Malema und viele andere aber gerne weiter in die eigene Tasche wirtschaften wollen, muss dieser Gegensatz (der im Kern einer innerhalb der schwarzen Bevölkerung ist, in der die Einkommensunterschiede am stärksten wachsen) umgedeutet werden. Dafür bieten sich die Hautfarbe und die Geschichte geradezu an. So besteht die Strategie des neuen ANC darin, die Gesellschaft in zwei Lager zu spalten, „uns“ und „sie“. „Uns“ steht dann für die Schwarzen und ihre Regierung und „sie“ für die anderen, die (weißen) Vertreter der alten Ordnung, die man für die Misere verantwortlich machen kann.
Das zeigt sich z.B. im Umgang mit der Oppositionspartei Democratic Alliance, die gern als „weiß“ und Nachfahrin der alten National Partei der Apartheid angegangen wird (dabei sind deren Reste in den ANC implodiert). Nichtweiße Kritiker, wie die parlamentarische Oppositionsführerin Lindiwe Mazibuko werden kurzerhand zum „tea girl“ (Malema) der „weißen Madam“ (Helen Zille) erklärt, als Kokusnuss (außen dunkel, innen weiß) ausgegrenzt oder als gekaufte Lakaien beschimpft. Auch von den eigenen Versäumnissen - der ANC regiert nun bald 20 Jahre - wird immer noch mit dem Verweis auf die Vergangenheit, abzulenken versucht. Präsident Zuma hat das vor dem Parteitag gerade wieder getan.
„Malema ist nur ein Symptom der Malaise, die ihn hervorgebracht hat.“
Zuma hat Malema nicht in die Schranken gewiesen, sondern disziplinarisch belangen lassen. Anders als angenommen, ist er damit nicht verstummt. Einer wie er, das hat er mehrfach erklärt, ist nicht kleinzukriegen. Er hat sogar schon angemeldet, dass er in fünf bis zehn Jahren zurück sein wird „um diese gloriose Bewegung anzuführen“. Von keiner Zugehörigkeit mehr eingehegt, speit er aus dem Abseits Gift und Galle, politisch und persönlich. Und weil er ganz genau spürt, dass der Präsident nach dem Parteitag nicht stärker, sondern schwächer ist und seine Gegner schon singen und marschieren, geht es erstmal gegen ihn. Malema hat sich Ende Juni „aus tiefstem Herzen“ dafür entschuldigt, dass er für Zuma gekämpft und dem Land damit Schmerzen zugefügt hat. Zumas Vermächtnis, legte er ein paar Tage später nach, bestünde in Promiskuität, Korruption und Unterdrückung von Debatten. „Aber wir leben noch und wir können das noch korrigieren. (Der Parteitag in) Mangaung muss kommen, wir werden das Kapitel über Betriebsunfälle der Geschichte schließen und ein neues mit respektabler Führung aufschlagen.“
Und Malema selbst? Mit ihm sei alles möglich, schreibt Fiona Forde im Vorwort. Er hat Zeit, ist gerade 31 Jahre alt. Solange nicht klar ist, ob Zuma im Dezember erneut zum Parteipräsidenten (und damit wohl auch zum Regierungschef) gewählt wird, mag er hoffen, rehabilitiert zu werden. Er hat ja auch Freunde und Verbündete in der ANC-Hierarchie. Und bei den Massen sowieso. Vielleicht braucht die Partei ihn ja, um auszusprechen, was auch manches einfache Parteimitglied denkt und fühlt, was Wählerinnen und Wähler anzieht.
Malema lässt niemanden kalt
Auch wenn er jetzt nicht mehr für, sondern gegen Zuma agitiert und damit nicht nur die Seiten, sondern auch das Vokabular gewechselt hat, das Gift der Aufforderung zum Rassenkampf speit er weiter. Anfang Juli 2012 hört sich das so an, die Weißen ansprechend, aber an die schwarze Zuhörerschaft gerichtet: „Wir werden Euch nicht töten. Wir wissen, dass ihr dieses Land durch Genozid an den Schwarzen genommen habt. Ihr habt viele Afrikaner getötet, aber wir werden Euch nicht töten – nicht weil wir zu feige sind, sondern weil wir den Frieden lieben.“
Malema lässt niemanden kalt. Dass er bei allen einen wunden Punkt trifft, darin liegt seine Macht. Und er ist nicht allein, hat Anhänger, Freunde, Gönner, Menschen mit einer Agenda, die des „neuen“ ANC. Es geht also nicht nur um Julius Malema , von seinen Fans liebevoll „Ju Ju“ genannt, es geht um den Malema-ism (Allister Sparks) [3] im ANC, denn „Malema ist nur ein Symptom der Malaise, die ihn hervorgebracht hat.“ Dass Julius Malema so einen kometenhaften Aufstieg nehmen konnte ist „einer Mischung aus der Vergangenheit und der Gegenwart, der psychosozialen Faktoren und der strukturellen Bedingungen in einer besonderen Mischung zu einem bestimmten Zeitpunkt geschuldet“, so Fiona Forde. Sollte Malema stolpern z.B. über seine Arroganz, dann werden andere den Weg zur Macht beschreiten, den er so geschickt vorgezeichnet hat. Der „Malema-ismus“, so Sparks, wird unsere Zukunft so lange in Gefahr bringen, bis ein neuer Führer den Grips und den Schneid hat, ihn direkt anzugehen.“
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[1] An Inconvenient Youth, Julius Malema and the „new“ ANC (Picador Africa, Johannesburg 2011).
[2] Siehe dazu auch den Beitrag von Achille Mbembe.
[3] Allister Sparks: Malema is just a symptom of the malaise that created him, Cape Times v. 9.5.2012.
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Renate Wilke-Launer
Renate Wilke-Launer ist Journalistin, war von 1990 bis 2007 für die Zeitschrift "der überblick" verantwortlich, hat sich viel mit Südafrika beschäftigt und 2010 das Buch "Südafrika - Katerstimmung am Kap" herausgegeben.
Dossier
100 Jahre ANC
Der Afrikanische Nationalkongress ANC wurde am 8. Januar 100 Jahre alt. Die Bewegung, die sich bis heute nicht als Partei versteht, besiegte das weiße Minderheitsregime, das Südafrika 350 Jahre lang beherrschte - und hält seit 1994 die politische Macht inne. In unserem Dossier finden Sie Hintergrundtexte, Bildmaterial und zeitgeschichtliche Dokumente und mehr...