Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
ich begrüße Sie sehr herzlich zur heutigen Tagung Hochinklusiv! Zusammenhalt einer vielfältigen Gesellschaft. Die Tagung findet im Rahmen des gleichnamigen Verbundprojektes der Heinrich-Böll-Stiftung mit ihren 16 Landesstiftungen statt.
Wir wollen mit diesem Projekt ausloten, wieweit der Begriff „Inklusion“ als gesellschaftspolitischer Leitbegriff taugt, auf welche Problemlagen er anwendbar ist und was eine zeitgemäße Inklusionspolitik ausmacht.
Die Rede über Inklusion hat Konjunktur. Dabei geht es um mehr als die viel zitierte und kritisierte Auseinanderentwicklung von Einkommen und Vermögen. Wenn wir von Exklusion und Inklusion sprechen, stehen nicht nur Verteilungsfragen zur Debatte.
Es geht um soziale und politische Teilhabe in einem umfassenderen Sinn. Inklusion zielt auf Chancengerechtigkeit für benachteiligte Gruppen und Personen, sie berührt damit auch subtile Fragen von Anerkennung und Respekt. Eine inklusive Gesellschaft basiert auf einer positiven Haltung gegenüber Diversität, sie setzt voraus, dass wir in derVerschiedenheit von Menschen und Lebensstilen eine gesellschaftliche Qualität sehen.
Nun ist soziale Exklusion aufgrund von Klasse, ethnischer Zuordnung, Geschlecht oder anderer persönlicher Merkmale beileibe kein neues Phänomen. Dass sie gegenwärtig relativ breit thematisiert wird, deutet darauf hin, dass es inzwischen eine gesteigerte Sensibilität für anerkennungspolitische Fragen gibt. Ausschluss tut immer weh. Aber er wird erst dann zum Politikum, wenn die Anerkennung als gleichberechtigte Person eine gesellschaftlich akzeptierte Erwartung ist.
Die Frauenbewegung und andere soziale Bewegungen haben die Ansprüche und Möglichkeiten zur sozialen und politischen Teilhabe nachhaltig verändert. Neue Formen der Anerkennung jenseits von Nation, Klasse und Milieu setzen sich heute vor allem in Einwanderungsgesellschaften durch, die von kultureller Heterogenität und hybriden Identitäten gekennzeichnet sind.
In einem direkten Vergleich gesellschaftlicher Entwicklungen in Europa und in den Vereinigten Staaten beobachten wir zwei gegenläufige Trends. In USA geht die Entwicklung in Richtung von mehr interkultureller Inklusion: benachteiligte und latent diskriminierte Gruppen erhalten mehr Chancen und dringen häufiger in die gesellschaftlichen Eliten vor. Auch im politischen System sind sie besser denn je vertreten.
Barack Obama ist das prominenteste Beispiel für diesen Trend. Die Elite in den USA ist viel diverser als hierzulande. Zugleich frisst sich die Ungleichheit immer tiefer in die Gesellschaft, die Kluft zwischen der Oberschicht, einer bedrängten Mittelschicht und einer wachsenden Unterschicht war nie so groß wie heute. Auf den ersten Blick ist das eine irritierende Diskrepanz. Stehen sich am Ende eine inklusive, aber hoch ungleiche Einwanderungsgesellschaft in den USA und ein sozialstaatlich verfasstes Europa mit höherer sozialer Kohäsion, aber einem geringeren Grad an akzeptierter Diversität gegenüber?
Nicht erst seit dem Erscheinen der Untersuchungen von Wilkinson/Picket – Gleichheit ist Glück – gehen wir davon aus, dass die Durchlässigkeit einer Gesellschaft höher ist, wenn sie auf sozialen Ausgleich und gut ausgebaute öffentliche Dienstleistungen aufbauen kann. Ihre These lautet, dass starke Einkommensungleichheit nachteilig für die gesamte Gesellschaft ist, also unter dem Strich auch die Lebensqualität der Wohlhabenden beeinträchtigt. Geht die Schere zwischen Arm und Reich zu stark auseinander, geht das zu Lasten des sozialen Zusammenhalts, der öffentlichen Sicherheit und des Aufstiegs durch Bildung.
Das große Versprechen der Nachkriegszeit, dass jede und jeder durch eigene Anstrengungen in der Gesellschaft vorankommen könne, wird auch in Deutschland nicht mehr eingelöst. So hat die von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebene Studie Kaum Bewegung, viel Ungleichheit von Reinhard Pollak (WZB) gezeigt, dass die Chancen auf den gesellschaftlichen Aufstieg in nur wenigen industriellen Staaten so ungleich verteilt sind wie in Deutschland. Der soziale Fahrstuhl ist hierzulande ins Stocken geraten und am unteren Ende der Gesellschaft schaffen es viele nicht, überhaupt einzusteigen.
Gefragt sind daher Strategien gegen die blockierte Gesellschaft, eine neue Politik der sozialen Durchlässigkeit, die faire Aufstiegschancen ermöglicht und strukturelle Blockaden – etwa durch Diskriminierung und herkunftsbedingte Benachteiligung – auflöst. Eine faire, aufstiegsoffene Gesellschaft ist ein Gebot der Gerechtigkeit, aber auch eines der wirtschaftlichen Vernunft. Alternde Gesellschaften werden es sich immer weniger leisten können, auf Talente zu verzichten.
Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung sind zwei von drei Deutschen heute der Meinung, dass Leistung in Deutschland sich nicht mehr lohnt. Wenn man bedenkt, dass das Leistungsprinzip im Gegensatz zu feudalen Gesellschaftssystemen eine Errungenschaft moderner Gesellschaften ist, weil es biographische Chancen von sozialer Herkunft entkoppelt, scheint hier ein zentrales Element sozialer Integration verloren zu gehen.
Chancengerechtigkeit ist ein wichtiger, aber nicht der einzige Schlüsselbegriff für inklusive Gesellschaften. Ein zweiter, zumindest ebenso wichtiger Leitbegriff ist die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, also die eigene Biographie ohne Diskriminierung und Anpassungszwang schreiben zu können.
Die große Herausforderung besteht darin, eine plurale Gesellschaft zu gestalten, in der es zwar verbindliche demokratische und rechtsstaatliche Normen gibt, nicht aber eine hegemoniale Zwangskultur, die das Anderssein diskriminiert. Es geht um die praktische Einlösung der großen Versprechen der Demokratie: politische Partizipation, bürgerliche Gleichheit und soziale Gerechtigkeit. Sie beginnt im Kindergarten und in der Schule, hört dort aber noch lange nicht auf.
Inklusion muss gegen die Tendenz zur Verstärkung sozialer und ethnischer Differenzen immer wieder bewusst hergestellt werden, ob im Arbeitsleben oder in der sozialräumlichen Entwicklung unserer Städte. Sie ist nicht nur eine Aufgabe der „großen Politik“, sondern der Zivilgesellschaft.
Die heutige Tagung ist Teil eines zweijährigen Projekts des Heinrich Böll – Stiftungsverbunds. Wir wollen damit ein Forum für Debatten und Perspektiven einer freien und zugleich solidarischen Gesellschaft bieten.
Zum guten Schluss möchte ich mich bei allen unseren Kooperationspartnerinnen und –partnern bedanken, die uns ideell und konzeptionell unterstützt haben: Bei
- Der Initiative DeutschPlus
- Der Charta der Vielfalt
- Bei ein Quadratkilometer Bildung Berlin-Neukölln
- Der Initiative Möckernkiez
- Dem Debattenmagazin des DGB „GEGENBLENDE“ sowie bei
- Gangway – Verein für Straßensozialarbeit in Berlin
Seitens der Bundes- und Landesstiftungen waren zahlreiche Kolleginnen und Kollegen an der Vorbereitung und Organisation der Tagung beteiligt. Ich danke ihnen allen für die gute Zusammenarbeit.
Bevor nun Professor Heinz Bude den Einführungsvortrag zum Thema „Exklusionstendenzen und Wege zu einer inklusiven Gesellschaft“ hält, übergebe ich das Wort an meine Kollegen Anne Ulrich und Stefan Schönfelder. Die beiden werden Sie durch die heutige Tagung navigieren.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!