Barack Obama hat keine gute Presse. Im Gegenteil. Zeitungen wie die FAZ, die der Politik von George Bush durchaus etwas abgewinnen konnten, gefallen sich nun mit Schlagzeilen, in denen die Regierungszeit Obamas als dritte und vierte Amtszeit von Bush verspottet wird. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 12.6. erzählt Teju Cole, in dessen Roman Open City die Verzweiflung der späten Bush-Jahre ein Motiv ist, es sei ihm, als er morgens aufwachte, durch den Kopf gegangen: „Der aktuelle Präsident der Vereinigten Staaten hat den Friedensnobelpreis erhalten, und jetzt steckt er womöglich Leute für ihr ganzes Leben ins Gefängnis, die den Nobelpreis bekommen sollten.“ Gemeint sind Bradley Manning und Edward Snowden. Der eine hatte via Wikileaks unter anderem Daten öffentlich gemacht, durch die Kriegsverbrechen im Irak dokumentiert werden. Der andere hat gerade offengelegt, in welchem Umfang die unter George Bush ins Leben gerufene National Security Agency (NSA) auf die Daten im Internet zugreift. Bradley Manning wird jetzt vor einem Militärgericht der Prozess gemacht. Edward Snowden weiß, dass er mit allem rechnen muss. Ermittlungen sind eingeleitet.
Abwägen zwischen Hundert und Null
Da die Exekutive ihr Treiben möglichst wenig dem Licht der Öffentlichkeit aussetzen will, scheut sie auch vor Eingriffen in die Pressefreiheit nicht zurück, wenn sie Sicherheitslücken aufspüren will. Auch dafür wurden Beispiele in den letzten Wochen bekannt. Redaktionen werden abgehört, um eventuelle Informanten zu schnappen. Zur Rechtfertigung wird behauptet, diese Maßnahmen richteten sich nicht gegen die Pressefreiheit, sondern gegen Geheimnisverrat. Deshalb wird über Redaktionen ein Überwachungsnetz gezogen in der angeblichen Hoffnung, darin einen Informanten zu fangen. Aber wird der zum Telefon greifen, wenn er mit dem Anruf Gefängnis riskiert?
Barack Obama spricht immer wieder davon, dass man sorgfältig zwischen den Anforderungen der Sicherheit und den Rechten der Bürgerinnen und Bürgern abwägen müsse. Beides gleichermaßen zu hundert Prozent zu bekommen, sei unmöglich. Doch dieser Abwägungsprozess soll offensichtlich regierungsintern bleiben. Erst mal wird möglichst viel abgeschöpft und geheim gehalten und danach wägt die Administration ab, was es gebracht hat. Nach der Jagd auf hundert Prozent Sicherheit bleibt für die individuelle Freiheit nicht mehr viel übrig.
Der Vizepräsident von George W. Bush, Dick Cheney, hatte in einem Interview vor der Amtsübergabe an den neuen Präsidenten gemeint, Obama habe zwar bei seiner Wahlkampagne viel gegen die Ausdehnung der Vollmachten der Exekutive gewettert, aber erst einmal im Amt werde er schon noch auf den Geschmack kommen. Er, Cheney, nehme an, dass die Neuen, wenn sie dann den gleichen Problemen gegenüber stünden, „mit denen wir jeden Tag umgehen, einige der Sachen, die wir auf den Weg gebracht haben, schätzen lernen werden.“
Auf welche Lage Obama gestoßen war
Als Barack Obama 2008 zum ersten Mal ins Amt des Präsidenten gewählt wurde, hatte sein Vorgänger George Bush das Land über Jahre entschlossen in die Sackgasse gesteuert. Das Land steckte in zwei Kriegen, die zusammen mit Scharmützeln in allen möglichen Ecken der Welt unter dem Rubrum „Krieg gegen den Terrorismus“ geführt wurden. Die Kriege in Afghanistan und dann im Irak waren als kurze Schläge gedacht, die rasch zur Entscheidung führen sollten. Der Krieg in Afghanistan immerhin wurde unter Billigung des Sicherheitsrates der UN geführt und fand, als es nach dem Sturz des Talibanregimes um die Konsolidierung der Situation ging, die Unterstützung durch die NATO und andere Staaten. Die USA hatten ihre Kräfte freilich sehr schnell auf den Krieg gegen den Irak konzentriert. Ihn führten sie gegen den Willen des Sicherheitsrates und weitgehend ohne Unterstützung durch andere Staaten. Das Saddam-Regime konnten sie stürzen, freilich nur mit dem Effekt, dass sie in einen zunehmend heftigen Bürgerkrieg hineingezogen wurden. Für den fanden sie keine Lösung. Lange vorher hatte Bush schon an Bord eines Flugzeugträgers die erfolgreiche Beendigung der Mission verkündet. Ihre Folgen sind immer noch nicht absehbar.
In Afghanistan wiederum lebten die alten Fronten des Bürgerkriegs wieder auf, nachdem sich die Taliban von ihrer Niederlage zu erholen begannen und die fremden, anfänglich viel zu schwachen Truppen zunehmend als Besatzer wahrgenommen wurden. Vor allem unter den Paschtunen nahmen die Konflikte Züge eines Aufstandes an. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass nach Abzug der ISAF der Bürgerkrieg wieder offen aufflammt.
Im Inneren bestand der „Krieg gegen den Terrorismus“ in einer gewaltigen Stärkung der Exekutive und der Sicherheitsapparate, die nach dem 11.09.2001 mit einer Reihe von Ausnahmegesetzen auch rechtlich abgesichert wurde. Der völkerrechtlich unklare Status des „Krieges gegen den Terrorismus“ öffnete Verschleppungen, Folterungen und der Rechtlosigkeit in der Behandlung von Gefangenen Tor und Tür. All das kostete Geld, aber auch die moralische Gewissheit, mit der Bush seine Politik lange erfolgreich gerechtfertigt hatte. Die soziale Krise war längere Zeit durch die Kreditblase verschleppt worden. Mit der Finanzkrise, die sich schnell zu einer Wirtschaftskrise auswuchs, kam die ganze Misere des Landes ans Licht. Im Wahlkampf waren zwei moralische Konzeptionen als politische Lösungsvorschläge aufeinander getroffen: „Teaparty“ als Angriff auf den Staat, Rückkehr zu den staatsbürgerlichen Tugenden als Devise Obamas. Beides konnte sich auf die Gründungsprinzipien der USA berufen.
Hat sich mit Obama nichts geändert?
Die Lage war schlecht und kompliziert. Aber auf den entgegengesetzten Seiten gab es klare und einfache moralische Konzepte, wie den Problemen beizukommen wäre. Mit Obamas Wahlsieg hatten dann beide Seiten ein Problem. Obama, weil er gewonnen hatte. Er steckte in der Sackgasse, in die Bush das Land gesteuert hatte. Die Republikaner, weil sie verloren hatten. Ohne Regierungsverantwortung konnten sie sich umso leichter ideologisch versteifen. Obama musste zurückstecken, seine Gegner konnten ideologisch zulegen. Obama kam in den Ruf, nur schöne Reden zu halten und tatsächlich nichts zu ändern. Seine Gegner konnten sich darauf beschränken, jede Veränderung zu blockieren. Das Land blieb in der Sackgasse stecken. Vorneweg der Präsident, der eine Wende wollte und sich bei jedem Anlauf, etwa bei der Auflösung von Guantanamo, in einen Kleinkrieg verwickelte, bei dem er allenfalls kleinste Geländegewinne erzielen konnte.
Bei aller Häme über die schönen Reden Obamas, sollte man nicht vergessen, dass er die USA aus einem Krieg, dem Krieg im Irak, bereits weitgehend herausgezogen hat und dass er versucht, den anderen, den Krieg in Afghanistan, in eine ausbalancierte innere Konfliktsituation zu überführen, aus der vielleicht eine einigermaßen stabile Situation hervorgeht. Es ist ja über die Jahrzehnte genug Blut geflossen und Leid geschehen, um den Sinn für Kompromisse zu wecken. Darauf kann man hoffen, die Kompromisse schließen müssen aber die zerstrittenen Lager in Afghanistan selbst.
Neue US-Kriege versucht Obama zu vermeiden oder die amerikanische Beteiligung gering zu halten. Die große Linie Obamas besteht im Rückzug aus größeren kriegerischen Konflikten, ohne sich aus dem weltweiten Engagement der USA zurückziehen zu wollen. Im Gegenteil: Er versucht dieses Engagement zu verstärken, ohne neue Kriege mit Staaten oder in anderen Staaten vom Zaun zu brechen. Eben dieser doppelten Absicht entspringt das Bemühen, die Beobachtung und Kontrolle der weltweiten Bewegungen von Individuen, ihre Gruppenbildung usw. genau zu beobachten und zu kontrollieren. Um den „Krieg gegen den Terrorismus“ zu beenden und zu einer geheimdienstlichen, polizeilichen und juristischen Bekämpfung einzelner terroristischer Verbrechen zurückzukehren, wird mit den kampangenartigen Drohnenangriffen versucht, die Reste von Al Qaida und anderen terroristischen Organisationen von ihrer Spitze her zu zerschlagen. Kurz und gut, aber auch schlecht: Was man an Obamas Rückzugswillen zu loben bereit ist, hat als Kehrseite die fortgesetzte Ausdehnung von weltweiter Überwachung und die Selbstermächtigung zu terroristischen Drohnenangriffen. Die USA ziehen ihr Militär aus kriegerischen Auseinandersetzungen in der Fläche zurück, verstärken aber ihr weltweites Stützpunktsystem, sichern ihre Vormachtstellung auf den Weltmeeren, zielen auf die weltweite Kontrolle der Bewegungen auf dem Boden und im Netz. Sie behalten sich vor, Personen, die als Organisationskerne des internationalen Terrorismus in Frage kommen könnten, ausfindig zu machen und zu vernichten. Sie verzichten nicht auf die Rolle des Weltgendarmen, versuchen sie jedoch ohne militärische Großeinsätze umso wirkungsvoller wahrzunehmen, den Gendarmen eher als Polizisten, denn als Krieger zu interpretieren. Das scheint der Sinn zu sein, wenn Obama jüngst bei einer strategischen Rede vor der National Defense University erklärte, der Krieg gegen den Terrorismus müsse wie jeder Krieg einmal ein Ende finden.
Ein Hoffnungsschimmer
Obama will die USA aus der Sackgasse herausführen, in die die Regierung Bush sie nach dem 11. September 2001 geführt hat. Aber zugleich scheint er nicht auf die Mittel verzichten zu wollen, die die Regierung Bush der Exekutive in die Hand gegeben hat. Obama will raus aus Sackgasse, ohne wirklich umzukehren. So fängt sich seine Glaubwürdigkeit gewaltige Schrammen ein.
Über all dem sollte man nicht übersehen, dass die USA mit Obama einen Präsidenten haben, der zwar die Autorität der Exekutive extrem hoch zu halten versucht, selbst aber nicht den Versuchungen eines autoritären Charakters ausgesetzt ist. Eine Episode bei der Rede vor der National Defense University kann das illustrieren. Bei seinen Ausführungen zu Guantanamo wurde der Präsident immer wieder von einer Zuhörerin unterbrochen, die auf sofortige Freilassung der dortigen Gefangenen drängte. Er hätte sie rauswerfen lassen können. Das tat er nicht, sondern betonte, dass die Stimme der Zwischenruferin Gehör verdiene und man ihre Fragen nicht vom Tisch wischen könne. Nein, ein autoritärer Charakter ist Obama nicht und das lässt Hoffnung zu, auch wenn er noch in der Sackgasse steckt. Er scheint nicht immer zu mögen, was er glaubt tun zu müssen.
Ein Gedankensprung
In Istanbul hat Premier Erdogan mit einer Protestbewegung zu tun, die in vielem an die Anfänge der Studentenbewegung in Berkeley erinnert. Auch dort ging es vor rund 50 Jahren zunächst „nur“ um einen Park. Auch dort war der Protest zunächst friedlich und stieß doch auf überbordendende Polizeigewalt. Obama wäre ohne die Bürgerrechtsbewegung als Präsident nicht denkbar. Vielleicht wird es in der Türkei nicht ganz so lange dauern, bis ein autoritärer Charakter jemanden für eine nationale Führungsrolle disqualifiziert.
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Obama eine einzige Enttäuschung?
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