Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

"Die deutschen Steuerzahler haben das Recht, dass Entwicklungsgelder nicht missbraucht werden"

Lesedauer: 7 Minuten

Madame Kek, Sie sind eine der Gründerinnen von LICADHO, dem Kambodschanischen Bund für die Förderung und Verteidigung von Menschenrechten, einer großen, hoch angesehenen NRO. Diese Organisation hat Büros in sämtlichen Provinzen Kambodschas und steht so in sehr enger Verbindung mit den Menschen vor Ort. Welche Anliegen bewegen die Kambodschanerinnen und Kambodschaner am meisten?

Das wichtigste Thema ist der Zugang zu gutem Ackerland. Achtzig Prozent der Bevölkerung Kambodschas lebt auf dem Land – und vom Land. Nimmt der Staat ihnen das Land weg und gibt es an Privatunternehmen, die es entwickeln, wirtschaftlich entwickeln sollen – was sich ja gut anhört – die Menschen für diesen Verlust aber nicht angemessen entschädigt werden, dann ist das für die Menschen ein schwerer Schlag. Sie verlieren damit jede Hoffnung für die Zukunft ihrer Kinder und Enkel. Am meisten Sorge bereitet deshalb in Kambodscha gegenwärtig die Frage des Landbesitzes.

Und wer eignet sich das Land an.

Für einen Zeitraum von mehr als 90 Jahren sind über zwei Millionen Hektar Land an privatwirtschaftliche Unternehmen verpachtet worden. Das Land wird somit im Grunde der Privatwirtschaft übereignet. Einige dieser Firmen befinden sich in kambodschanischem, andere in ausländischem Besitz. Es fehlt hier an Transparenz, weshalb es oft sehr schwierig ist herauszufinden, wer sich hinter einem Firmennamen verbirgt. Aber auch wenn es schwierig ist die Wahrheit aufzudecken, wissen wir, dass die meisten dieser Firmen den politisch Mächtigen im Land sehr nahe stehen.

Was geschieht, nachdem das Land an eine Firma oder Privatperson verpachtet wurde?

Im Allgemeinen wird hierbei gegen das 2001 verabschiedete Gesetz über Landbesitz verstoßen, indem es ganz klar heißt, dass keine Firma mehr als 10.000 Hektar Land erhalten darf. In der Praxis erhalten Firmen aber oft mehr. Zudem wird gegen eine Ausführungsbestimmung des Landgesetzes verstoßen, die regelt, unter welchen Bedingungen Land verpachtet werden darf. Die Regierung sollte die Betroffenen angemessen entschädigen. Dies ist in der Praxis nur selten der Fall. Stattdessen kommt es zu Zwangsumsiedelungen, Häuser werden zerstört, Vieh getötet, Getreide vernichtet, und auf den Ersatzflächen fehlt es an Unterkünften, fließend Wasser, Strom, Schulen, sanitären Einrichtungen, medizinischer Versorgung und Arbeit. So kommt es statt zu wirtschaftlichem Wachstum zu wachsender Armut. Die Menschen, die einst Land besaßen und zur Mittelschicht gehörten, verarmen, wenn man ihnen ihr Land nimmt. Genauso geht aber die Regierung vor.

Sie sagen, hier werden Gesetze verletzt. Kann LICADHO hier Rechtshilfe leisten, und können die Menschen dagegen klagen? Oder ist das nicht möglich?

Wir arbeiten in dieser Sache mit ein paar Anwälten zusammen – und wir klären die Menschen über ihre Rechte und über das Landgesetz auf. Einige würden gegen diese Ungerechtigkeit gerichtlich vorgehen, doch es gibt Fälle in denen Menschen, deren Land beschlagnahmt wurde, ins Gefängnis kamen und weder eine Entschädigung noch ihr Recht einklagen konnten. Es ist sehr riskant, vor Gericht zu gehen.

Gibt es für die Betroffenen andere Arbeit? Können sie zum Beispiel in die Stadt gehen und Arbeit in einer Fabrik finden?

Die Städte sind bereits überbevölkert. Speziell viele junge Frauen sind vom Land in die Stadt gezogen. Aber die Chancen dort Arbeit zu finden sind gering. Es gibt einige Jobs in Fabriken, speziell in Textilfabriken, aber man verdient dort sehr wenig und die Arbeitsbedingungen sind hart. Das ist der Grund, warum Hunderttausende Kambodschanerinnen und Kambodschaner nach Thailand oder Südkorea gehen, um dort Arbeit zu finden. Viele Frauen gehen als Hausangestellte nach Malaysia, aber das ist mit großen Risiken verbunden. In manchen Fällen gibt es gültige Verträge, d.h. sie haben eine Arbeitserlaubnis, aber in anderen Fällen geschieht dies illegal, es kommt zu Menschenhandel und die Frauen enden als Prostituierte oder Zwangsarbeiterinnen. Es ist oft schwierig festzustellen, ob ein Arbeitsvermittler legal oder illegal arbeitet, denn die entsprechenden Dokumente können leicht gefälscht werden.

Sehr umstritten sind Pachtverträge für Zuckerplantagen. Es wird viel darüber diskutiert, ob der Export von Zucker nach Europa – der heute einfacher möglich ist als früher – Kambodscha nutzt oder nicht. Wie sehen Sie das? Wollen Sie, dass wir den in Kambodscha produzierten Zucker kaufen? Oder würden Sie zum Boykott aufrufen?

Der Zucker ist ein Beispiel dafür was aktuell geschieht. Über 80.000 Hektar Land wurden den Menschen weggenommen und an ein finanzstarkes Unternehmen verpachtet, die dort nun Zuckerrohr anbauen lassen. Im Jahr 2006 beliefen sich die Einnahmen aus dem Zuckerexport auf 50.000 US-Dollar. Im Jahr 2011 waren es hingegen bereits über 13 Millionen US-Dollar.

In den drei Provinzen Koh Kong, Kampong Speu und Oddar Meanchey wurde Land gewaltsam enteignet. Man vertrieb die Menschen, zerstörte ihre Felder, ihre Häuser, ihr Vieh. Und in einigen Fällen wurden die Betroffenen sogar verhaftet oder erschossen.

Deshalb fordern wir von der EU eine Untersuchung dieses Falles. Die Bestimmungen der EU im Rahmen des Präferenzabkommens „Alles außer Waffen“ (EBA) sehen vor, dass dieses Abkommen bei Menschenrechtsverletzungen nicht greift. Trotz einer Resolution des Europaparlaments vom 23. Oktober 2012 hat die EU hier jedoch noch nichts unternommen.

Einige Menschen in Kambodscha betreiben hierzu Lobbyarbeit und nennen dieses Programm „Blood Sugar“. Zweihundert Kambodschanerinnen und Kambodschaner sind hier seit zwei Jahren aktiv, und kürzlich wurde in dieser Sache in London ein Prozess gegen die Firma Tate & Lyle angestrengt, der man vorwirft von dem zwangsenteigneten Land zu profitieren – und von der man eine entsprechende Entschädigung verlangt.

Die EU ist für Kambodscha im Bereich der Entwicklungshilfe der größte Geldgeber. Was erwarten Sie von der EU?

Wir glauben, dass ein Geber, von dem viel Geld kommt, Einfluss auf ein Empfängerland ausüben – dass er Vorgaben durchsetzen kann. In den Regelwerken der EU lesen wir viel über Menschenrechte. Das ist sehr schön, aber lieber wäre es uns, wenn die EU auch versuchen würde, diesen Regeln Geltung zu verschaffen. Wenn finanzielle Mittel von Geldgebern an zivilgesellschaftliche Organisationen fließen, dann geschieht das stets unter bestimmten Bedingungen – und wir können diese akzeptieren oder auch nicht. Das gleiche sollte auch der Fall sein, wenn der Empfänger ein Staat ist. Ich sehe da keinen Unterschied.

Denken Sie, die Zivilgesellschaft in unseren Ländern, hier in Europa, sollte mehr Druck auf ihre Regierungen ausüben, damit diese ihren Worten auch Taten folgen lassen?

Ich denke, es geht hierbei in erster Linie um Steuergelder – und die Regierung ist den Steuerzahlern gegenüber rechenschaftspflichtig. Das heißt, ich denke die deutschen Steuerzahler haben ein Recht von ihrer Regierung zu fordern, dass Entwicklungsgelder nicht missbraucht werden.

Würden Sie sagen, dass Europa zu viel guten Willen und zu wenig Strenge zeigt?

Wir sprechen hier ja über Geldgeber im Allgemeinen. In der Regel will ein Geber gute Beziehung zu der Regierung eines Empfängerlandes bewahren. Mir ist klar, dass ein Geberland mit einer diplomatischen Vertretung im Empfängerland, Bedingungen für Zuwendungen vorsichtig kommuniziert. Für Diplomaten ist es sehr schwierig klarzustellen, dass die Gelder den Menschen zugutekommen sollen und nicht irgendeiner korrupten Partei.

Um auf die Wahlen zurückzukommen: Der Wahlkampf beginnt Ende Juni und wird nur vier Wochen dauern. Werden die Themen, über die wir gesprochen haben, im Wahlkampf überhaupt eine Rolle spielen? Oder wird es nur darum gehen, an der Macht zu bleiben beziehungsweise an die Macht zu kommen? Haben die Menschen in Kambodscha die Möglichkeit, über diese Themen zu diskutieren – und dann entsprechend ihre Stimme abzugeben.

Eine sehr gute Frage. In Kambodscha gibt es zahlreiche Probleme, z.B. Fragen des Landbesitzes, Menschenhandel, häusliche Gewalt, Vergewaltigungen, Arbeitslosigkeit und so weiter. Die meisten Menschen in Kambodscha hören es nicht gern, wenn eine Partei eine andere kritisiert oder ihnen Konsequenzen drohen, wenn sie für jemand anderen stimmen. Sie wollen hören, wie die jeweiligen Politiker im Falle ihrer Wahl die Probleme des Landes lösen – sie wollen, dass die Parteien eine gewisse politische Reife an den Tag legen. Das sind der Wunsch und der Wille des kambodschanischen Volkes.


Video (engl.)