„Brüssel“ gegen die deutsche Energiewende?

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Joaquín Almunia, EU-Wettbewerbskommissar

Der umtriebige EU-Wettbewerbskommissar Almunia hat genug vom Alleingang der Deutschen, die sich bei der Umsetzung der Energiewende scheinbar nur wenig um die Regeln des EU-Binnenmarkts scheren. Mit der Eröffnung des Verfahrens zu den großzügigen EEG-Ausnahmeregelungen für die Industrie legt er sich mit der neuen GroKo-Regierung an. Der Unmut der Europäischen Kommission über den inflationären Kreis deutscher Unternehmen, die in den Genuss der Ökostrom-Rabatte kommen, war lange bekannt und das Verfahren seit Monaten erwartet worden. Der Reformbedarf war auch wiederholt Thema im Wahlkampf, da viele Bürgerinnen und Bürger – zu Recht – meinen, dass die Kosten der Energiewende auf breiteren Schultern getragen werden müssen.

Da überrascht es doch etwas, dass die Kanzlerin in trauter Einigkeit mit ihrem „Energiewende-Minister“ Gabriel aus einem Winterschlaf zu erwecken scheint und dabei von einer Welle der Empörung über „Brüssel“ aus Industrie, Gewerkschaften und einflussreichen Medienportalen getragen wird.

Aber ist diese Aufregung gerechtfertigt? Und will „Brüssel“ die deutsche Energiewende stoppen?

Euroskeptizismus und europäischer Binnenmarkt

Kritik an der EU hat Konjunktur wie selten zuvor, nicht zuletzt, um bei den Europawahlen im Mai 2014 von den Euroskeptikern rund um die AfD möglichst viele Stimmen abzuschöpfen. Populistische Unterstellungen eines Zugriffs der Brüsseler Bürokraten auf nationale Besitzstände sind naheliegend und eine vereinfachende Vermischung der Debatten weit verbreitet.

So empört sich Merkel über das EU-Beihilfeverfahren mit den Worten, dass „Europa nicht dadurch stärker wird, wenn in Deutschland noch Arbeitsplätze gefährdet werden“. Hinter dieser Behauptung steckt die in der öffentlichen Meinung weit verbreitete Selbstgerechtigkeit, Deutschland tue mehr als genug gegen die Eurokrise in Solidarität mit der EU und müsse sich daher keine Kritik aus Brüssel gefallen lassen. Allerdings ist es gefährlich, wenn das machtbewusste Deutschland in Europa den Eindruck hinterlässt, als würde Macht vor Recht gelten und als wäre Berlin gegen Kritik aus Brüssel immun. Und dies umso mehr vor dem Hintergrund der Geschichte.

Die Kommission wacht über den Wettbewerb im EU-Binnenmarkt, dem Kernstück der europäischen Integration. Die deutsche Wirtschaft profitiert enorm von dem europäischen Binnenmarkt, durch den viele Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen werden konnten. Dass nun Ökostromrabatte für tausende deutsche Firmen als unzulässige Beihilfe bewertet werden, die den Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt verzerren, ist keineswegs abwegig und geht auch auf Beschwerden aus anderen EU-Ländern zurück.

Die Energiewende im Spiegel der europäischen Nachbarn

Die Energiewende in Deutschland ist ein nationales Projekt mit großer Signalwirkung weit über die deutschen und auch europäischen Grenzen hinaus und wird aufmerksam beobachtet und debattiert. Es gibt spürbare Auswirkungen der Energiewende auf die Energiemärkte und Stromnetze der europäischen Nachbarn. So beschweren sich etwa die Tschechen über eine Einschränkung ihrer Netzstabilität wegen deutschem Windstrom, der von Nord- nach Süddeutschland über tschechische Netze umgeleitet wird. Die mangelnde Abstimmung mit anderen Mitgliedsstaaten und der EU führte zu einigem Unmut über den Alleingang der Deutschen.

Neben handfesten Folgen der Energiewende über die nationalen Grenzen hinaus versuchen allerdings auch einflussreiche Interessengruppen durch Fehlinformationen und geschickte Kommunikationsstrategien die Energiewende als teuren und wettbewerbsschädlichen Populismus zu diskreditieren. Dies steht im Kontext einer breit angelegten Strategie, die sich gegen die europäische Klima-Vorreiterrolle richtet und Klimaschutz gegenüber Wirtschaftswachstum ausspielt, mit dem Ziel konventionelle Energieinteressen abzusichern.

Die Kritik an der deutschen Energiewende schwelt schon seit langem in der europäischen Hauptstadt Brüssel und ist Gegenstand zahlreicher Debatten, die meist von den Lobby-Interessen großer Industrieverbände dominiert werden. Die Energiewende wird dabei oft als irrationale Schnellschussreaktion der ängstlichen und technologiekritischen Deutschen auf die Fukushima-Katastrophe dargestellt. Als Alternative wird eine „technologieneutrale“ Klima- und Energiepolitik beworben, die auch auf Atomkraft als kohlenstoffarme Energiequelle setzt. Deutschland glänzt bei derartigen Debatten in Brüssel meist durch Abwesenheit und es gelingt nicht überzeugend für die sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvolle Umstellung auf ein Erneuerbaren-basiertes Energiesystem zu werben.

Nationaler Energiemix und europäische Energiezukunft

Die Entscheidung über den Energiemix ist nach geltendem EU-Recht Sache der Mitgliedsstaaten und die Energiewende war damit Gegenstand der souveränen Entscheidung Deutschlands. Zugleich kann Deutschland von einer europäischen Einbettung der Energiewende profitieren, etwa durch die grenzüberschreitende Nutzung von Speichermöglichkeiten und anderen Flexibilitätsoptionen, die ein Gegengewicht zum wachsenden Anteil von variabel verfügbaren Erneuerbaren Energien im Netz bieten.

Die Europäische Union zielt auf die Vollendung eines europäischen Energie-Binnenmarkts bis 2014 ab. Vor diesem Hintergrund verschärft die Kommission aktuell ihre Anstrengungen, den Flickenteppich von Förderinstrumenten und Kapazitätsmechanismen anzugleichen und einen Rahmen für staatliche Eingriffe in den Energiesektor zu schaffen. Neben den kürzlich veröffentlichten Leitlinien der Europäischen Kommission für die Ausgestaltung von Fördersystemen für Erneuerbare arbeitet die Kommission an einer Neuauflage der Beihilfe-Regeln für den Energiesektor. Letztlich strebt die Kommission eine harmonisierte Förderung von Erneuerbaren und eine Integration von Erneuerbaren in den europäischen Energie-Binnenmarkt an. Die Ausweitung der deutschen Ökostromrabatte über energieintensive Firmen hinaus auf Unternehmen, bei denen keine globale Abwanderung aufgrund der Energiepreise droht, ist der Kommission unter diesen Gesichtspunkten schon lange ein Dorn im Auge.

Zwar ist eine Europäisierung der Energiepolitik grundsätzlich zu befürworten, nicht zuletzt im Sinne der gemeinsamen EU-Klimaziele und der langfristigen Dekarbonisierungsstrategien der europäischen Wirtschaft. Allerdings liegen den Initiativen der Kommission zweifelhafte Annahmen zu Grunde. So ist es ein Trugschluss anzunehmen, Erneuerbare könnten in den etablierten Energiemarkt integriert werden, zumal dieser einer grundsätzlich anderen Logik folgt. Der Markt ist auf die Grundlastlogik von fossilen Energieerzeugern und Atomkraftwerken ausgerichtet. Mit einem höheren Anteil von Ökostrom im Energiemix stößt diese Marktlogik allerdings an Grenzen.

Dies lässt sich geradezu paradigmatisch am deutschen Beispiel ablesen, wo paradoxerweise die Erneuerbaren den Börsenstrompreis sinken lassen und zugleich für höhere Endverbraucherpreise verantwortlich gemacht werden. Die von der Zahlung der EEG-Umlage befreiten Unternehmen profitieren daher doppelt: sie müssen sich nicht wie alle anderen Stromverbraucher am Ausbau der Erneuerbaren beteiligen, kommen aber in den Genuss des Börsenstrompreises, der aufgrund der Einspeisung von Erneuerbaren gefallen ist. Eine Entsolidarisierung ist die Folge, die letztlich den starken Rückhalt der deutschen Bevölkerung für die Energiewende bedroht.

Das blinde Vertrauen weiter Teile der Kommission in die Kräfte des Markts und damit verbunden die Befürwortung einer technologieneutralen Klima- und Energiepolitik ignoriert Marktverzerrungen auf Kosten von Erneuerbaren und zu Gunsten von konventionellen Energiequellen. Subventionen für Kohlestrom oder externalisierte Kosten – etwa für Endlagerung von Atommüll oder Gesundheitsfolgekosten – verdeutlichen, dass von einem fairen Wettbewerb im Energiemarkt nicht die Rede sein kann. Eine vollständige Offenlegung dieser Kosten liegt aber nicht im Interesse vieler mächtiger Akteure, wie das Beispiel zensierter Zahlen für Subventionen in der Verantwortung des EU-Energiekommissars Oettingers offenbart.

Ein neues Marktdesign für eine Europäische Union für Erneuerbare Energien

Das Beihilfeverfahren der EU gegen die deutschen Ausnahmeregelungen bei der EEG-Umlage sollte dazu genutzt werden, die Debatte um den zukünftigen Energiemarkt in Deutschland und Europa zu befeuern. Die unter der alten Bundesregierung gediehenen Auswüchse der Ökostrom-Rabatte für zahlreiche Industriezweige offenbart eine Politik, die es diversen Lobby-Interessen recht machen will anstelle einen großen Wurf zu wagen. Ein solch großer Wurf wäre jedoch einem Projekt mit der historischen Tragweite der deutschen Energiewende mehr als angemessen.

Deutschland braucht eine grundlegende Reform des Marktdesigns, die entgegen der Grundlastlogik von Atom und Kohle für Flexibilität im Energiemarkt sorgt. Dabei sollte die europäische Dimension konsequent mitgedacht werden und die Vorteile einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zur Förderung von Erneuerbaren genutzt werden. Eine europäische Dimension ist dabei allerdings nicht gleichzusetzen mit der von Oettinger propagierten zentralisierten Erzeugungsstruktur von Windstrom aus der Nordsee und Solarstrom aus Spanien. Es geht vielmehr um eine europäische Nutzung von Erneuerbaren Energien in einem EU-Binnenmarkt, dessen Ausgestaltung auf einer Erneuerbaren-basierten Erzeugungslogik basieren sollte.

Die neue Bundesregierung sollte sich nicht gleich zum Amtsantritt als lautstarker Gegner von „Brüssel“ aufspielen, sondern vielmehr konsequent für eine europäische Energiewende mit den einhergehenden Strommarktreformen bei den Partnern in anderen europäischen Ländern und bei den EU-Institutionen werben. Neben den Schritten zur Vollendung eines Energiebinnenmarkts werden aktuell die Klima- und Energieziele der EU bis zum Jahr 2030 diskutiert und damit entscheidende Weichenstellungen für den europäischen Energiemix der Zukunft gelegt. Die Bundesregierung sollte dies zum Anlass nehmen, um die Energiewende europäisch zu denken und für eine Europäische Union für Erneuerbare Energien einzutreten.