
Dass man in Deutschland für mehrfaches Schwarzfahren ins Gefängnis kommen kann, für fortgesetztes Steuerhinterziehen aber straffrei bleibt, ist eine Besonderheit des deutschen Rechts. Der Vermögende hat durch rechtzeitige Selbstanzeige die Möglichkeit, Steuern und Zinsen nachzuzahlen. Das Verfahren wird dann meist gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt. Man kann es nicht anders als für ein Sonderrecht privilegierter Stände halten. Denn im Fall der Habenichtse sieht es doch etwas anders aus. Man erinnere sich nur an den Fall Emmely, der als einer von vielen etwas bekannter wurde, weil er so gnadenlos war. Der Kassiererin Barbara Emme wurde nach 30 Jahren Tätigkeit für denselben Betrieb wegen unterschlagener Pfandbons in Höhe von 1,30 Euro fristlos gekündigt. Sie verlor Arbeit und Wohnung und brauchte zwei Jahre und drei Instanzen, ehe die fristlose Kündigung zurückgenommen werden musste.
Es ist logisch, dass es mehr als ein Geschmäckle hat, wenn ein führender Politiker einer Partei, die sich auch die Steuergerechtigkeit ins Programm geschrieben hat, sein Erbe auf einem Schweizer Konto dem Zugriff des deutschen Fiskus entzieht. Zumal André Schmitz als Kulturstaatssekretär des Berliner Senats dem kreativen Prekariat Berlins – und durchaus auf charmante Weise, denn er liebte, anders als andere in seiner Position, die Kultur – vermittelt hat, dass es nur dann sexy ist, wenn es weiterhin und unter erschwerten Bedingungen aus Scheiße Bonbons macht und damit das Ansehen Berlins in der Welt versüßt, denn zusätzliches Geld für die unterfinanzierte freie Szene wäre nicht drin. Zu wenig Steuereinnahmen.
Der Kassiererin Barbara Emme ging es auch um ihre berufliche Ehre. Um etwas Ähnliches sorgt sich auch Alice Schwarzer, über die der Spiegel am Montag berichtete, dass auch sie am Fiskus vorbei ein Konto in der Schweiz hatte. Auf ihrer Website behauptet sie, die Veröffentlichung ihres Falles im Spiegel sei eine Form von Rufschädigung, das Nachrichtenmagazin handele illegal. Am Ende ist sogar von Rufmord die Rede. Dass Medien von Steuerhinterziehungen berichten, wenn der Fakt einmal in der Welt ist, wird, anders als im Fall des Informanten, durch die Informationsfreiheit gedeckt. Die grundsätzliche Frage ist eher, ob das Instrument der Selbstanzeige, das ja aus einer Zeit stammt, als das Schweizer Bankgeheimnis noch massiv wie die Alpen war, nicht überholt ist.
Eigentlich ist es schon eine Ironie der Geschichte, dass es ihr eigenes Konto war, über das Alice Schwarzer gestolpert ist. Hatte doch ihr frühes Engagement für den Feminismus auch mit der Rückständigkeit der alten Bundesrepublik in Fragen der finanziellen Eigenständigkeit von Frauen zu tun. Heute scheint es unglaublich, dass in der alten Bundesrepublik bis 1957 verheiratete Frauen kein eigenes Konto führen durften und bis 1977 eine Erlaubnis des Ehemannes vorlegen mussten, wenn sie einen Arbeitsvertrag unterschreiben wollten. Heute darf jede und jeder ein eigenes Konto, mit oder ohne Zufriedenheitsgarantie, haben. In Deutschland meistens ohne. Nicht, dass Alice Schwarzer ihr Geld nicht redlich verdient hätte. In hunderttausenden Haushalten stehen ihre Bücher und viele der Probleme, die darin angesprochen sind, sind bis heute nicht gelöst. Aber nun zu behaupten, mit Bundesverdienstkreuz, Talkshowabo und als Lieblingsfeministin der BILD-Zeitung, sie habe das Konto in den achtziger Jahren deshalb angelegt, weil sie dachte, wegen der Hatz gegen sie müsse sie ins Ausland gehen, das klingt wie eine schlechte Ausrede, auch wenn es vielleicht gar keine ist.
Mit der Stellungnahme auf ihrer Website hat sich Alice Schwarzer keinen Gefallen getan. Sie hätte es bei dem Satz: „Das Konto war ein Fehler. Das bedaure ich von ganzem Herzen.“ belassen sollen, auch wenn das mit dem Herzen etwas übertrieben klingt. Leider geht der Text noch weiter. Schwarzer stilisiert sich zum Opfer einer Medienpolitik, deren Protagonistin sie selber ist. Schließlich war Alice Schwarzer im Falle Kachelmann auch nicht sehr zimperlich, als sie die Unschuldsvermutung mal eben verbal abschaffte. Dass Kachelmann sich jetzt die Finger wundtwittert vor Häme und Genugtuung, war nicht anders zu erwarten. Genau wie jene uralten Männer, die den Feminismus schon immer für das Grundübel der Menschheit hielten und ungebrochen eine Macht demonstrieren, die sie längst nicht mehr haben. Die halten doch glatt das Wort Emanzen immer noch für ein Schimpfwort!
Alice Schwarzer aber geht soweit zu behaupten, es gäbe ein übergeordnetes Interesse, ihr zu schaden. „Ich frage mich, ob es ein Zufall ist, dass manche bei ihrer Berichterstattung über mich gerade jetzt auf Recht und Gesetz pfeifen? Jetzt mitten in der von EMMA angezettelten Kampagne gegen Prostitution, wo es um Milliarden-Profite geht.“ Schwarzer hat zuletzt scharf, hämisch, ungerecht und ja, auch rufschädigend, jene jungen Feministinnen angegriffen, die eine dezidiert andere Haltung zur Prostitution haben. Dieser Starrsinn, nur eine Meinung, nämlich die eigene, anzuerkennen, ist der Grund, warum für viele von ihnen Alice Schwarzer nur noch ein Bild in einer Ahninnengalerie ist. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, ein Thema, das die meisten jungen Frauen und ihre Partner umtreibt, ist ihr Thema nicht.
Alice Schwarzer ist eine erfolgreiche Frau. Sie ist eine wichtige Wegbereiterin der Frauenrechte in Deutschland. Sie war mutig. Sie hat viel ausgehalten. Sie hat den Kopf hingehalten für andere Frauen. Aber sie ist keine Ikone.
Den besten Text zum Thema hat das Satiremagazin Titanic verfasst, indem es den Blogtext Alice Schwarzers noch einmal mit eigenen Worten wiedergegeben hat. „Ja, ich hatte ein Konto in der Schweiz. Ich hatte es vergessen. So etwas passiert. Mein Steuerberater hat mich daran erinnert, rechtzeitig zur Amnestie letztes Jahr. Ich weiß noch, wie er sagte: Frau Schwarzer, wenn Sie jetzt sofort zahlen, müssen Sie vielleicht nicht ins Gefängnis. Das hat mir eingeleuchtet.“ Satire vom Feinsten, auch wenn sie leider ohne den antifeministischen Seitenhieb auch nicht auskommt.
Und Barbara Emme? Sitzt wieder an der Kasse.