Am 18. Januar 2021 wurde ein offener Brief von Staatsbeamten der Republik Belarus veröffentlicht[1], die unter anderem gegen die zielgerichtete Verwandlung des Staatsapparats in eine Repressionsmaschine eintreten, gegen Gewalt der Sicherheitskräfte, für die Achtung von Menschen- und Bürgerrechten, den Rücktritt von A. Lukaschenko sowie Neuwahlen.

Zum Start der Kampagne wurde der offene Brief vom ehemaligen Botschafter der Republik Belarus in Argentinien, Wladimir Astapenko, in einem Video verlesen[2]. Im Anschluss unterschreibt Astapenko, der bereits im September 2020 aus Protest von seinem Posten zurückgetreten ist, den Brief und ruft seine Beamtenkollegen dazu auf, seinem Beispiel zu folgen.
Über 1.000 Beamte sollen nach Angaben der Initiatoren (u.a. die Bürgerinitiative „Honest People“) bereits unterschrieben haben. Vorerst wird die Liste der Unterzeichnenden aus Sicherheitsgründen geheim gehalten und soll erst öffentlich werden, wenn die Zielmarke von 5.000 Unterschriften erreicht worden ist, was für April dieses Jahres anvisiert wurde.
Die Heinrich-Böll-Stiftung dokumentiert an dieser Stelle in Zusammenarbeit mit der Facebook-Plattform „Stimmen aus Belarus“ den offenen Brief in deutscher Sprache.
OFFENER BRIEF VON STAATSBEAMTEN DER REPUBLIK BELARUS
Gemäß dem Gesetz der Republik Belarus "Über den öffentlichen Dienst in der Republik Belarus" vom 14. Juni 2003, Nr. 204-3, beruht der Staatsdienst auf folgenden Prinzipien:
- Vorrang der Verfassung der Republik Belarus;
- Dienst am Volk der Republik Belarus;
- Gesetzmäßigkeit;
- Vorrang der Menschenrechte sowie der Rechte und Freiheiten der Bürger, Garantie der Umsetzung dieser Rechte und Freiheiten;
- Humanismus und soziale Gerechtigkeit;
- wirtschaftlicher, sozialer und rechtlicher Schutz von Beamten
Wir, die unterzeichnenden Staatsbeamten, erklären, dass zum heutigen Tag jedes dieser Prinzipien verletzt wurde und halten es daher für unser Recht und unsere Pflicht, unseren Protest gegen die Gewalt am belarusischen Volk zum Ausdruck zu bringen.
Wir wurden Zeugen von Wahlfälschungen, einer unfassbaren Gewalt der Sicherheitskräfte sowie zielgerichteter Verwandlung des Staatsapparats in eine Repressionsmaschine.
Die Angaben aus den Unterschriftenlisten für Präsidentschaftskandidaten werden nicht nur öffentlich gemacht, diese Listen werden auch noch zur Grundlage von Verfolgung. Zahlreiche Entlassungen infolge von Drohungen, Erpressungen, des Drucks auf Führungspersonen, das Ersetzen kompetenter Fachleute durch „loayle“ Abkömmlinge der Sicherheitsdienste - all das überzeugt uns davon, dass wir auf dem Weg zum weiteren Niedergang des Staatsapparats der Republik Belarus sind.
Die hier angeführten Aussagen werden durch den Bericht der OSZE im Rahmen des Moskauer Mechanismus bestätigt.
Geleitet von den Grundsätzen des Gesetzes über den öffentlichen Dienst in der Republik Belarus, fordern wir:
- Gewalt und Aggression gegenüber den Bürgern seitens der Sicherheitsapparats der Republik Belarus sind zu beenden, alle Fakten von Körperverletzung, Anwendung von Folter und Verletzung von Menschenwürde sind ordnungsgemäß zu untersuchen.
- Die politischen Gefangenen sowie alle Bürger, die wegen Teilnahme an friedlichen Protesten inhaftiert sind, was von derzeitigen Machthabern als ungesetzliche Aktivitäten eingestuft wird, sind freizulassen.
- Die Führungspersonen des Sicherheitsapparats, die kriminelle Befehle erteilt haben, sowie jene, die diese Befehle ausgeführt haben, was zum Tod von Demonstranten, zur Misshandlung von Gefangenen, zu Drohungen, Verschleierung und Behinderung der offiziellen Erfassung der Gewalttaten in den gerichtsmedizinischen Behörden geführt hat, sind zur Verantwortung zu ziehen. Die derzeitigen Mitglieder der zentralen Wahlkommission sind zu entlassen und gemäß den Gesetzen der Republik Belarus zur Verantwortung zu ziehen.
- Die offiziellen Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen vom 09.08.2020 sind aufgrund von zahlreichen und belegten Fälschungen als ungültig anzuerkennen und neue Präsidentschaftswahlen der Republik Belarus sind in Übereinstimmung mit internationalen Standards durchzuführen.
Die Staatsbeamten stehen gemeinsamen mit dem belarusischen Volk für Recht und Gerechtigkeit! Deshalb fordern wir A. Lukaschenko auf, freiwillig zurückzutreten und eine friedliche Machtübergabe in Übereinstimmung mit der Verfassung der Republik Belarus durchzuführen.
18. Januar 2021
Übersetzt aus dem Russischen für die Heinrich-Böll-Stiftung und die „Stimmen aus Belarus“ von Wanja Müller.
[1] Der offene Brief von Staatsbeamten in Textform (PDF, Russisch)
[2] Wladimir Astapenko verliest den offenen Brief zum Start der Unterschriftenkampagne am 18.01.2021 (Video Youtube, Честные Люди)
Youtube-Video: Der ehemaligen Botschafter der Republik Belarus, Wladimir Astapenko liest und unterzeichnet in einem Youtube-Video den Offenen Brief der Staatsbeamten.