Fast zwei Drittel der Schweren Seltenen Erden Dysprosium und Terbium auf dem globalen Markt kommen aus Myanmar. Wie sollen Deutschland und Europa mit dem Abbau dringend benötigter Seltener Erden in dem Bürgerkriegsland Myanmar umgehen?

Nicht nur für die Grüne Transformation brauchen Europas Industrien Seltene Erden. Sie sind unverzichtbar für die Herstellung von Akkus, Halbleitern, Magneten für Elektromotoren oder Windrädern. Doch der Kontinent verfügt nur über wenige Vorkommen an Seltenen Erden, die bislang auch nicht abgebaut werden - die Belastungen für Klima und Umwelt sind hoch, die Verfahren aufwändig. Stattdessen bezieht Europa die notwendigen Bauteile wie Magneten - die sogenannten Permanentmagneten und Magnetlegierungen - überwiegend aus China, dem globalen Vorreiter bei der Aufbereitung und Verarbeitung Seltener Erden. Es ist bisher nahezu unmöglich in diesem hochspezialisierten Industriezweig Zulieferer außerhalb Chinas zu finden. Doch auch China ist bei der Rohstoffbeschaffung auf ein Drittland angewiesen: Myanmar.
Der Abbau gefährdet die Lebensgrundlagen vieler Menschen
Fast zwei Drittel der Schweren Seltenen Erden Dysprosium und Terbium auf dem globalen Markt kommen aus Myanmar.
Das Bürgerkriegsland, das sich seit einem Militärputsch 2021 in einer Dauerkrise befindet, ist insbesondere beim Abbau der sogenannten Schweren Seltenen Erden Dysprosium und Terbium Weltmarktführer. Laut chinesischen Handelsdaten importierte China 2023 rund 41.700 Tonnen dieser kritischen Rohstoffe aus Myanmar - mehr als doppelt so viel, wie im eigenen Land abgebaut wurden. Andere Länder wie die USA, Australien und Brasilien bauen nur geringe Mengen der spezifischen Subgruppe der Schweren Seltenen Erden ab. China und Myanmar sind deshalb in der Lieferkette unverzichtbar, denn Dysprosium und Terbium sind essenzielle Bestandteile sogenannter Permanentmagneten. Die Mineralien sorgen für eine höhere Temperaturwiderstandsfähigkeit und bessere Langlebigkeit der Magneten. Permanentmagnete werden in über 95 Porzent aller Elektro-Pkw verbaut, auch in Windturbinen kommen sie zum Einsatz. Ebenso in Industrierobotern, Kühlgeneratoren, Wärmepumpen, Elektromotoren, Waschmaschinen, Mikrowellen, Staubsaugern und Geschirrspülern. Deutschland war 2024 Spitzenreiter beim Import dieser Bauteile aus China - Tendenz steigend.
Doch der Preis ist hoch: In der abgelegenen Kachin-Region im bergigen Norden Myanmars werden die Mineralien mit chemischen Verfahren aus dem Boden gespült - oft unter Missachtung grundlegender Umwelt- und Arbeitsstandards. Die dabei entstehenden Verunreinigungen gefährden Flüsse, Böden, das Grundwasser und damit die Lebensgrundlagen und Gesundheit vieler Menschen. Der Bergbau wurde jahrelang von Milizen, die mit der Militärjunta verbündet sind, kontrolliert. Die Einnahmen flossen damit auch in die Kriegsmaschinerie und die Unterdrückung der Bevölkerung, die erbittert für Demokratie kämpft.
Widerstandsarmee kontrolliert nun Abbau und Handel
Inzwischen haben sich die Machtverhältnisse verschoben: Ende 2024 gelang es der ethnischen Widerstandsarmee „Kachin Independence Organization/Army“ (KIO/A) die Minen zu erobern, sie kontrolliert nun den Abbau und Handel mit China. Die lokale Bevölkerung hofft seitdem auf bessere Arbeitsbedingungen und stärkeren Umweltschutz. Inzwischen erhebt die KIO/A neue Ausfuhrsteuern auf die Mineralien - ein Signal wachsender regionalstaatlicher Ambitionen inmitten anhaltender Instabilität.
Deutschland und Europa stehen vor einem schwierigen Spagat. Dem Aufruf von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zum „De-Risking“ folgend, sollen bei kritischen Rohstoffen neue Bezugsquellen zusätzlich zu den chinesischen erschlossen werden. Doch bei Schweren Seltenen Erden wird dies Jahre in Anspruch nehmen. Gleichzeitig tragen Europas Industrien schon heute eine Verantwortung: Technologischer Fortschritt darf nicht auf Kosten von Umwelt und Menschenrechten in Ländern des Globalen Südens wie Myanmar gehen.
Myanmar steht exemplarisch für die globalen Herausforderungen der Nachhaltigkeitswende
Union und SPD wollen Lieferkettengesetz abschaffen
Es gibt bereits einen gesetzlichen Rahmen, der diese Verantwortung in deutsches Gesetz überführt: Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verpflichtet größere Unternehmen seit 2023 dazu, Umwelt- und Menschenrechtsrisiken in ihrer Lieferkette zu identifizieren, nachzuverfolgen und an Verbesserungen zu arbeiten oder als allerletzte Maßnahme den Ausstieg zu vollziehen. Doch die zukünftige Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD hat im Koalitionsvertrag angekündigt, das Gesetz, das dieselbe Koalition 2021 eingeführt hatte, mit Verweis auf Bürokratielasten wieder abzuschaffen. Dabei verkennt sie, dass das LkSG nicht nur Pflichten schafft, sondern Unternehmen auch schützt: Wer seine Lieferketten kennt, kann Risiken besser managen - sei es durch Diversifizierung oder gezielte Einflussnahme auf Standards vor Ort.
Wer seine Lieferketten kennt, kann Risiken besser managen
Sollte das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz tatsächlich gekippt werden, kehrt es über das Europarecht bis 2028 zurück: Doch eine zentrale Stärke der europäischen Richtlinie gegenüber dem deutschen Lieferkettengesetz, nämlich die explizite Berücksichtigung der gesamten Lieferkette, ist durch einen neuen Regulierungsvorschlag (Omnibus) mit dem paradoxen Argument des Bürokratieabbaus bedroht. Noch im Mai soll der Europäische Rat darüber abstimmen.
Gute Arbeitsbedingungen senken das Risiko einer Exportunterbrechung
Welche Risiken der Bürgerkrieg in Myanmar auf die Verfügbarkeit und den globalen Preis Schwerer Seltener Erden birgt, zeigte sich im Herbst 2024: Als die KIO/A entlang der chinesischen Grenze gegen die Militärjunta kämpfte und die Kontrolle der Minen übernahm, schloss China kurzerhand den Grenzhandel. Nach den Eroberungen kündigte die KIO/A ihrerseits einen Stopp des Exports an. Der Handel läuft zwar mittlerweile wieder, doch insbesondere der Preis für Terbium stieg mit mehr als 21 Prozent deutlich an. Fast zwei Drittel der Schweren Seltenen Erden Dysprosium und Terbium auf dem globalen Markt kommen aus Myanmar. Es lohnt sich also, dort genau hinzuschauen und auf eine Verbesserung der Standards hinzuwirken - im Interesse der dortigen Bevölkerung wie im ureigenen: Wo die Bedingungen stimmen, sinkt das Risiko einer Exportunterbrechung.
Die USA ziehen sich unter Donald Trump von Verantwortung und Standards im Ressourcenabbau zurück. Deutschland und Europa aber sollten die Chance ergreifen, globaler Champion einer echten, diversifizierten und resilienten Grünen Transformation zu werden - denn Myanmar ist kein Sonderfall, sondern steht exemplarisch für die globalen Herausforderungen der Nachhaltigkeitswende.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Tagesspiegel Background.