Künstlerische Praktiken der Fürsorge und ich transformatives Potential für ländliche Räume
Ausgangspunkt für mein Dissertationsvorhaben war die Verwunderung darüber, dass in einer Zeit, in der von Kunstschaffenden zunehmend ein nachhaltiger gesellschaftlicher Mehrwert gefordert wird, Künstler*innen, die in ländlichen Räumen leben und arbeiten und als Teil der Zivilgesellschaft tief in lokalen Strukturen verankert sind, nicht stärker im Fokus theoretischer und kulturpolitischer Diskurse stehen.
Ich untersuche, ob Kunstschaffende, die in einer ländlichen Region sozial eingebunden sind – sei es, weil sie dort schon lange leben oder weil sie dort aufgewachsen sind –, in ihrer Kunst Räume der Fürsorge für ihr ländliches Umfeld schaffen. Diese Fragestellung entstand auf der Basis von ersten Beobachtungen von Kunstprojekten und künstlerischen Infrastrukturen im ländlichen Nordhessen, die im Verlauf ihrer über Jahrzehnte gewachsenen sozialen Eingebundenheit in Dörfern, Kleinstädten oder Regionen, Räume des Zusammenkommens für die Dorfgemeinschaft oder für Kulturinteressierte aus der Gegend schaffen, Diskursräume über vor Ort unterrepräsentierte Fragestellungen öffnen oder zur Fürsorge für die Umwelt aufrufen.
Das Dissertationsvorhaben verortet sich an der Schnittstelle zwischen den Kunstwissenschaften und der Soziologie ländlicher Räume. Die feministische Care Theorie bildet ein theoretisches Grundgerüst für die Forschung, indem sie eine erweiterte Definition von Praktiken der Fürsorge liefert und diese in einen Zusammenhang mit Themen der sozialökologischen Transformation setzt. Die sozialwissenschaftliche Fragestellung, in welchem soziokulturellen und -ökonomischen Kontext die Kunstschaffenden sich in ländlichen Räumen situieren und dort möglicherweise transformativ wirken, wird um die kunstwissenschaftliche Untersuchung einer spezifisch fürsorgenden künstlerischen Praxis erweitert. Diesem interdisziplinären Zugang folgend, führe ich Methoden der qualitativen Sozialforschung und Methoden der Kunsttheorie zusammen. Dadurch soll es möglich sein, die künstlerische Position und Rezeption aus sozialwissenschaftlicher Perspektive zu deuten und ihre Rolle in der ländlichen Gesellschaft zu bewerten, ohne dabei den kunstimmanenten Diskurs zu vernachlässigen, der die Werkentstehung und das Selbstverständnis der Künstler*innen beeinflusst.