Green Economy als Feindbild der G77

Wer erwartet hatte, dass die CSD auf ihrem 19. Treffen und auf dem Weg zum Rio+20-Gipfel wegweisende Beschlüsse fassen würde, wurde ein weiteres Mal von diesem Gremium enttäuscht. Foto: Qtea Lizenz: CC-BY Quelle: Flickr

31. Mai 2011
Jürgen Maier
Nach dem berühmten Rio-Gipfel 1992 wurde die UN Commission on Sustainable Development (CSD) als das Gremium gegründet, das den weiteren Rio-Prozess koordinieren und vorantreiben sollte, und vor allem auch die Umsetzung der Rio-Beschlüsse wie etwa der Agenda 21 begleiten sollte. Immerhin war die Agenda 21 der Kurzbegriff für „Agenda für das 21. Jahrhundert“, also durchaus kein auf Kurzfristigkeit angelegtes Aktionsprogramm.

Wer erwartet hatte, dass die CSD nun auf dem Weg zum Rio+20-Gipfel wegweisende Beschlüsse fassen würde, wurde ein weiteres Mal von diesem Gremium enttäuscht. Allerdings war das Fiasko diesmal so groß, dass manche Beobachter schon von der „letzten Sitzung“ der CSD sprechen. Zum zweiten Mal endete sie ohne einen Beschluss. Dies war 2007 beim Thema Energie schon einmal der Fall, was damals allerdings an grundsätzlichen Differenzen über das Verhandlungsthema Energie- und Klimapolitik lag. Solche Differenzen über Energiepolitik sind weder ein besonderes Charakteristikum der CSD noch überhaupt internationaler Verhandlungen, sondern kommen in der Innenpolitik so gut wie jedes halbwegs demokratischen Landes vor. Die CSD 2011 dagegen wurde von den G77 zum Schauplatz von sachfremden Auseinandersetzungen missbraucht – am Ende zerstritt sich die CSD nach einer Nachtsitzung am Morgen des 14. Mai 2011 über Formulierungen zu den besetzten palästinensischen Gebieten, die mit der Fragestellung der nachhaltigen Entwicklung oder der Green Economy wahrlich nichts zu tun haben. Soll man eine bereits vor zwei Jahren in der CSD beschlossene Formulierung zur Verurteilung der israelischen Besatzung nehmen, oder die des MDG-Gipfels vom letzten Jahr? Ein absurdes Schauspiel, das nicht in die CSD gehört. Versuche der EU, zu retten was zu retten sein könnte, scheiterten als Saudi-Arabien um 8:31 Uhr die Beschlussfähigkeit feststellen ließ: weniger als die Hälfte der CSD-Mitgliedsländer waren noch vertreten, die Sitzung endete abrupt.

Auf der Tagesordnung standen nachhaltige Produktions- und Konsummuster, Chemikalienpolitik, Bergbau, Verkehr sowie Abfallpolitik. In den inhaltlichen Details der meisten Themenfelder kamen zwar inhaltlich durchaus Einigungen zustande, allerdings häufig nur unter Bezugnahme auf „agreed language“. Das genau ist natürlich auf Dauer nicht die Funktion einer CSD, nur bereits bestehende Beschlüsse nochmal zu recyceln. Auch auf ein bereits 2002 beim Rio+10-Gipfel in Johannesburg im Grundsatz beschlossenes und bei UNEP angesiedeltes 10-Jahresprogramm zu Nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern (SCP) konnte man sich inhaltlich einigen – nach einem immerhin neun Jahre dauernden Vorbereitungsprozess (der sog. „Marrakesh-Prozess“). Aber alle diese Einigungen sind jetzt „für die Katz“, da nichts formell beschlossen werden konnte.

Die inhaltliche Vorbereitung des Rio+20-Schwerpunktthemas „Green Economy“ verläuft zwar streng genommen in einem separaten Vorbereitungsprozess, aber natürlich verläuft dieser in engem inhaltlichem Kontext zur CSD. Während die USA erfreulich konstruktiv an das Thema herangingen, übte sich die G77 unter der Präsidentschaft Argentiniens und diesmal besonders aktiver Präsenz einer Reihe arabischer Länder (genauer gesagt: Regimes) in reiner Obstruktionspolitik. So hat die G77 beispielsweise Textpassagen zu „green jobs“ mit der Begründung blockiert, diese seien grundsätzlich schlechter bezahlt und hätten keine soziale Absicherung. Da griffen sich angesichts von derart offen zur Schau gestellter Ignoranz nicht nur die EU-Delegierten an den Kopf, sondern auch die Vertreter der Gewerkschaften. Selbst dem üblicherweise zur Zurückhaltung verpflichtete UNEP-Vertreter fiel dazu nur noch ein: „rejection of new ideas is not going to work, it is abdication of leadership“. Den Begriff „green economy“ blockierten die G77 nahezu durchgehend mit der Begründung, er sei „nicht definiert“. Auf die Idee, dass die CSD eventuell dafür eingerichtet worden sein könnte, nicht nur alte Texte zu recyceln, sondern die Definition für solche neuen Begriffe zu liefern, kamen die G77 nicht. Auch den vom CSD-Vorsitzenden, dem rumänischen Umweltminister Borbely, angebotenen Kompromisstext „transition to a cleaner and more resource-efficient economy“ lehnten die G77 brüsk ab – der sei nämlich auch „nicht definiert“. Das Highlight war dann die flammende Rede des Ölexporteurs Venezuela – „green economy“ sei nämlich „green capitalism“ und müsse schon deswegen abgelehnt werden. Gegen Erdöl-Kapitalismus hatte Venezuela selbstverständlich nichts einzuwenden.

In der Realität sind die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer längst viel weiter als ihre ignoranten UN-Diplomaten. In der Diskussion über Verkehrspolitik trug beispielsweise der Vertreter Indiens mit viel verlogenem Pathos vor, dass die Entwicklungsländer leider viel zu arm seien, ihre Verkehrspolitik „more sustainable“ zu machen und das alles nur gehe, wenn „der Norden“ dafür mehr Geld auf den Tisch lege. Dass ausgerechnet in Delhi auf Druck von Umwelt-NGOs bereits vor zehn Jahren die stinkenden Diesel-Busse und Lastwagen aus der Stadt verbannt wurden und durch saubere gasbetriebene Fahrzeuge ersetzt wurden, scheint ihm entgangen zu sein. Dass die USA in derselben Diskussion wieder mal „global leadership“ für sich reklamierten, weil New York jetzt Busspuren und Radwege und sogar einige Fußgängerzonen einführt, verursacht zwar bei europäischen Teilnehmern durchaus Heiterkeit – aber im Gegensatz zu Indiens Redebeitrag demonstrierten die USA damit zwar Ignoranz, aber es war immerhin konstruktive Ignoranz.

In der Debatte um Sustainable Consumption war Eco-Labelling natürlich auch ein absolutes Feindbild der G77, alles protektionistisches Teufelszeug. Parallel fand dann ein Side-Event statt, in dem das von der Afrikanischen Union vorangetriebene (und vom BMU geförderte) afrikanische Eco-Label vorgestellt wurde, wo die afrikanischen Vertreter die Marktchancen durch entsprechend gelabelte Produkte herausstellten und betonten, auch afrikanische Verbraucher würden das positiv annehmen. Wahrscheinlich haben Afrikas UN-G77-Diplomaten auch diese Entwicklung verschlafen.

Kaum noch vertreten waren bei dieser CSD die sogenannten „Major Groups“, also die nichtstaatlichen Vertreter. Denen wollten die G77 auch mal wieder weitgehend das Rederecht streichen, was am Widerstand der EU scheiterte, aber die einst vielgerühmten „multi-stakeholder dialogues“ der CSD fanden dennoch nicht statt, weil die Regierungen nämlich auf die Redebeiträge der major groups nicht eingingen.

Wie geht es weiter? Es ist richtig, dass die Welt noch nie im Konsens verändert wurde. Wahrscheinlich ist es das Grundproblem der CSD und der Vereinten Nationen überhaupt, dass sie durch das Konsensprinzip jederzeit in Geiselhaft für politische Kindergartenspielchen genommen werden können. Besonders unrühmlich tun sich nach dem Ende der Bush-Administration die G77 hervor. Die ganze Konstruktion G77 ist ohnehin längst ein Anachronismus und wird wahrscheinlich außerhalb des Dunstkreises der New Yorker UN-Diplomaten auch in den wichtigeren Schwellenländern kaum noch ernstgenommen. Auch für die NGOs wird es Zeit, ihre geradezu reflexartigen Beißhemmungen gegenüber der G77 aufzugeben.

Wenn dann ausgerechnet Regimes wie Syrien und Sudan sich als Champions der armen unterdrückten Palästinenser aufspielen und sich der Rest der G77 für derartige Spielchen hergibt, kann man nur noch an der Politikfähigkeit dieses Zusammenschlusses zweifeln. Weil der Rest der Welt aber in der Realität sich nicht wirklich von Regierungen wie Syrien, Sudan oder Venezuela aufhalten lässt, tragen solche Spielchen der G77 nur dazu bei, die Vereinten Nationen immer weiter zu marginalisieren und „Global Governance“ entweder außerhalb der UN stattfinden zu lassen – oder ganz ausfallen zu lassen. Die institutionelle Reform der UN-Umweltinstitutionen und die Aufwertung von UNEP stehen zwar in Rio neben der Diskussion um die „Green Economy“ auf der Tagesordnung, aber selbst wenn es dort gelingen sollte, Verbesserungen zu beschließen, wird dies nur zu Ergebnissen führen, wenn es gleichzeitig gelingt, aus diesen Gremien die UN-Diplomaten und Außenministerien der G77 so weit wie möglich fernzuhalten und dafür zu sorgen, dass dort Umweltministerien Platz nehmen.
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Jürgen Maier, Forum Umwelt & Entwicklung

Dossier

20 Jahre nach dem ersten Erdgipfel wird sich die Weltgemeinschaft vom 4. bis 6. Juni 2012 erneut in Rio de Janeiro treffen. Für die Stiftung ist Rio 2012 Anlass und Gebot, sich aktiv in die politischen Debatten und die Suche nach Lösungen für die drängendsten Probleme unserer Zeit einzumischen.