Das deutsche Gesundheitswesen schlägt sich im internationalen Vergleich recht gut. Dennoch gibt es erheblichen Reformbedarf, um eine qualitativ gute und bezahlbare Gesundheitsversorgung für alle zu sichern. Ein Kernproblem ist die Fehlsteuerung von Ressourcen und Angeboten. „Wie sähe ein Gesundheitswesen aus, das human und zugleich effizient ist? Das heutige System belohnt nicht den klugen Ressourceneinsatz, vielmehr ist es geprägt durch Fehlanreize. Gegenwärtig dominieren vor allem die Interessen der Anbieter. Wir schlagen eine Systemreform vor, die konsequent von den Interessen der Versicherten und Patienten ausgeht.“ So beschreibt Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, den Auftrag für eine hochkarätig besetzte gesundheitspolitische Kommission, die die Stiftung vor einem Jahr berufen hat. Sie stellt heute auf einer Fachtagung in Berlin ihre Ergebnisse vor.
Aus der Sicht von von Helmut Hildebrandt, Vorstand der OptiMedis AG Hamburg und einer der beiden Vorsitzenden der Kommission, stürzt unser Gesundheitssystem die Gesundheitsberufe und Einrichtungsträger in ein ethisches Dilemma. „Allzu oft müssen sie sich zwischen dem eigenen wirtschaftlichen Interesse und ihrem Berufsethos, das von ihnen verlangt, die Gesundheit ihrer Patienten bestmöglich zu fördern, entscheiden.“ Dieses Dilemma gelte es im Interesse sowohl der Gesundheitsberufe als auch der Patienten aufzulösen. Die Anreiz- und Vergütungsstrukturen müssten so gesetzt werden, dass sie sich an der Versorgungsqualität und dem Gesundheitsnutzen einer Behandlung für den Patienten orientieren.
Um diesen Ziel näher zu kommen, hat die Kommission eine Vielzahl von Handlungsempfehlungen erarbeitet. Dazu zählen u.a.:
- Versicherte sollen einen gesetzlichen Informationsanspruch erhalten, welches Krankenhaus, welcher Arzt und welche Krankenkasse ihnen die qualitativ beste Versorgung mit den besten Gesundheitsergebnissen bietet.
- In regionalen Gesundheitsnetzen sollen Anbieter von Gesundheitsleistungen eng zusammenarbeiten und gemeinsam die Versorgung der ansässigen Bevölkerung verbessern.
- Die Vergütungssysteme sollen weiterentwickelt werden. Für gute Qualität soll es mehr Geld geben als für schlechte. Außerdem sollen die Vergütungsregeln für den ambulanten Bereich und die Krankenhäusern so angeglichen werden, dass die Zusammenarbeit zwischen ihnen nicht weiter behindert wird.
- Die Kommission fordert, den Versicherten und Patienten mehr Mitsprachemöglichkeiten zu geben. So sollen Patientenverbände und Selbsthilfezusammenschlüsse mit eigenen Listen zu den Sozialwahlen antreten können.
- Die Kommission sieht die starke Arztzentrierung des deutschen Gesundheitswesens als Auslaufmodell. Gesundheitsversorgung müsse künftig stärker im Team erfolgen, die unterschiedlichen Gesundheitsberufe auf Augenhöhe miteinander kooperieren. Dazu seinen Veränderungen u.a. in den Ausbildungsgängen und dem Berufsrecht erforderlich.
Biggi Bender, die gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, äußerte sich zustimmend zum Bericht der Kommission: „Unser Gesundheitssystem braucht eine gerechte und leistungsfähige Finanzierungsgrundlage. Deshalb wollen wir Grünen eine Bürgerversicherung. Doch für eine gute, an den Patientenbedürfnissen ausgerichtete Versorgung braucht es mehr. Dafür sind auch Veränderungen in den Versorgungsstrukturen und in der Steuerung der Gesundheitssystems erforderlich. Für solche Strukturreformen bietet der Kommissionsbericht eine Vielzahl nützlicher Ideen.“
Die Vorschläge der Kommission werden heute in Berlin auf der Fachtagung „Wie geht es uns morgen? - Wege zu mehr Effizienz, Qualität und Humanität in einem solidarischen Gesundheitswesen“ vorgestellt und diskutiert. An der Veranstaltung beteiligen sich namhafte Sachverständige aus Gesundheitswesen und Gesundheitspolitik. Rund 250 Teilnehmer werden erwartet.
- Link: Bericht und Kurzzusammenfassung zum Download
- Link: Dokumentation der Veranstaltung
- Die Tagung kann im Livestream verfolgt werden: www.boell.de/stream