Mit Prof. Werner Abelshauser und Dr. Thea Dückert (MdB Fraktion B90/Grüne)
Moderation: Dr. Willfried Maier (GAL Hamburg, Grüne Akademie)
„Unendliche Parallelen“ nennt es „Der Spiegel“ und montiert Fotos von den Arbeitslosenkolonnen der 20er Jahre und aktuelle Bilder von Opel-Arbeitern zusammen. Die Blicke starr, verzweifelt, ängstlich, damals wie heute. „Geschichte wiederholt sich womöglich doch“, fürchtet das Magazin in einer Titelgeschichte zur Wirtschaftskrise - und zeichnet eine Linie von 1929 bis 2009. Es ist einer der vielen Versuche, das Aktuelle historisch einzuordnen, die komplizierten Zusammenhänge aus Finanzströmen, internationalem Handel und staatlichen Konjunkturprogrammen in seinen Folgen zu begreifen, das Unüberschaubare anschaulich zu machen. Einer der vielen Versuche, Anatomie und politische Perspektiven der Finanzkrise zu fassen.
„Der Börsenkrach von 1929 und die Bankenkrise von 1931 gleichen bei aller Verschiedenheit im Detail weitgehend den Problemen von heute“, so zitiert „Der Spiegel“ den Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser von der Universität Bielefeld. Abelshauser wiederholte diese These in seiner Keynote bei der Grünen Akademie und suchte sie mit Daten und Argumenten zu untermauern. Auf eine historische Einordnung folgte der Versuch, „synthetische Krisenszenarien“ herauszuarbeiten, um anschließend Steuerungsmöglichkeiten darzustellen. Ihm widersprach in Teilen Thea Dückert, Bundestagsabgeordnete der Grünen, Parlamentarische Geschäftsführerin und Mitglied der Grünen Akademie: „Historische Vergleiche führen zu einem verengten Blick“, zumal sich die Rahmenbedingungen nicht gleichen würden. So habe man heute nicht nur mit der Wirtschaftskrise zu kämpfen, sondern auch mit der Klima-, Energie- und Umweltkrise. Es entwickelte sich eine lebhafte Debatte, moderiert von Willfried Maier von der Grünen Akademie, in der es vor allem und die Aussagekraft historischer Vergleiche ging.
Der historische Vergleich in Szenarien
Seine Glaskugel habe er nicht dabei, sagte Abelshauser, eine verlässliche Prognose dürfe man von ihm nicht erwarten. Aber vielleicht biete der Blick in die Geschichte die Möglichkeit für belastbare Vermutungen zu künftigen Entwicklungen. Es gehe um das Denken in historischen Szenarien. „Wir müssen die Dimensionen der Krise ausloten“, sagte er und verwies auf eine Denkschrift von Helmut Schmidt, damals Finanzminister auf dem Sprung ins Kanzleramt, aus dem Jahr 1974, der darin den möglichen Verlauf der „kleinen Weltwirtschaftskrise“ wie folgt skizzierte: Der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems (1971) als „Prolog des Dramas“; die Ölpreiskrise (1973) als „Beginn des ersten Aktes“; einen „archaischen Protektionismus“ und Depression fürchtete Schmidt als zweiten Akt, der wiederum zur Radikalisierung der Politik als drittem Akt führen würde. Abelshauser sprach ausführlich über Schmidts Text, um zu zeigen, wie das Denken in Szenarien den Blick für politische Handlungsoptionen und -zwänge schärfen kann. Schmidt habe damals für Deutschland die Rolle als Lokomotive der Weltwirtschaft akzeptiert und Milliarden investiert, eben weil er den möglichen Verlauf der Krise vorausgedacht habe.
Abelshauser machte aber auch deutlich, dass vergleichen nicht gleichsetzen bedeutet. „Je besser Historiker sich mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 auskennen, desto mehr verheddern sie sich beim Vergleich.“ Mögliche andere Referenzperioden seien auch die Gründerkrise von 1873/79 bis 1896 und die kleine Weltwirtschaftskrise von 1920/21. Er bewege sich allerdings nicht auf der „Ebene der Ereignisse“, historische Wirkungszusammenhänge seien vielmehr auf „ihre elementaren Voraussetzungen und Abläufe zu reduzieren, um Szenarien von synthetischer Qualität abzuleiten“. Abelshausers nannte hier vier Synthesen:
- Erstens die Bankenkrise, zurückzuführen auf mangelndes Vertrauen, das dazu führe, dass der Nationalstaat interveniert. Wobei es legitim sei, dass der Staat sich an Banken beteiligt und als Eigentümer dafür sorgt, dass seine Interessen gewahrt bleiben.
- Zweitens die Weltmarktkrise, die das „Protektionismuskarussel“ zum Laufen bringe.
- Drittens die Depression, deren zentrales Problem sei, dass sich Unsicherheit nicht kalkulieren lasse, einhergehend mit dem Schulden-Problem und dem Geldmengen-Problem.
- Viertens die reale Gefahr der Radikalisierung, wenn die Wirtschaft nicht mehr ausreichend beherrschbar ist, die Politik keine ausreichende soziale Symmetrie herstellt und der Rechtsstaat nicht für ausreichend Gerechtigkeit sorgt
Abelshausers Fazit: „Wirtschaftshistorische Forschung ist keine Garküche, die das Menu gegenwärtiger Krisenstrategien aus historisch bewährten Fertigrezepten liefern könnte.“ Aber sie biete Anschauungsstoff für das Denken in Szenarien und damit für reale Entwicklungsmöglichkeiten. Der Umgang mit Unsicherheit erfordere qualitative Lösungsansätze.
Von welchen Krisen sprechen wir?
Thea Dückert vermisste in ihrer Antwort auf den Wirtschaftshistoriker Abelshauser, er habe die „Qualität von Investitionen“ nicht ausreichend berücksichtigt. Es sei zwar richtig, wenn der Staat interveniere und als Investor auftrete, wie von Abelshauser empfohlen. Doch reiche es nicht, in den Bau von Pyramiden zu investieren, um die Wirtschaft anzukurbeln. In Zeiten der Klima-, Energie- und Umweltkrise müssten andere Antworten gefunden werden: „Wir dürfen nicht nur auf die multiplikativen Wirkungen von Investitionen gucken, sondern müssen ihren Inhalt beurteilen, ihre Qualität und Nachhaltigkeit.“ Wer über Investitionen spreche, müsse auch über Nachhaltigkeit sprechen.
Es entspann sich eine Debatte darüber, ob die „Stafette von Krisen“ miteinander verknüpft sind, wie Peter Siller es nannte, Beiratsmitglied der Grünen Akademie, der auch sagte: „Die Wirtschaftskrise hat mit der Klimakrise leider nicht viel zu tun.“ Wer kurzfristig Angst um seinen Job habe, dem sei die langfristige Klimaentwicklung ziemlich egal. Ähnlich argumentierte Rebecca Harms, Europaabgeordnete der Grünen: „Mir fällt es schwer zu vertreten, was wir in Wahlkämpfen sagen, dass nämlich alle Krisen miteinander verbunden sind.“ Auch Abelshauser sah das ähnlich: Einige Antworten auf die Wirtschaftskrise ließen sich zwar mit ökologischen Ansätzen verbinden - das habe auch Roosevelt während der Weltwirtschaftskrise getan, etwa mit großangelegten Bewässerungsprogrammen. Jedoch brauche es jetzt vor allem kurzfristige Lösungen. „Das Klima müssen wir uns für normale Zeiten aufheben.“
Dückert widersprach: „Ich bestreite, das Ökologie schon bei früheren Krisen eine große Rolle gespielt hat.“ Das verbindende Element der Krisen heute seien Arbeitsplätze: „Erneuerbare Energien schaffen Jobs.“ Auch die Klimakrise sei auf Marktversagen zurückzuführen - eben weil Umwelt keinen angemessenen Preis habe. Von „Öko-Alarmismus“ sprach Abelshauser.
Die Rolle des Staates und die Rolle des Westens
Weitestgehend einig waren sich Experten und Plenum darin, dass der Staat die Aufgabe habe, „produktive Ordnungspolitik“ zu betreiben, wie Abelshauser es nannte, und nur in Ausnahmefällen, die über die „üblichen zyklischen Schwankungen hinausgehen“, direkt einzugreifen. Der Fall Opel und das Einführen der Abwrackprämie seien Beispiele für misslungene Staatsinterventionen. Anne Ulrich, Koordinatorin der Grünen Akademie, merkte hier jedoch kritisch an, man könne nicht damit zufrieden sein, dass nur die Nationalstaaten als handelnde Akteure auftreten - und dass sich die Diskussion nur um die „Wohlstandssicherung des Nordens“ drehe.
„Supranationalität gibt es nur in der katholischen Kirche“, antwortete Abelshauser. Aber natürlich könne nicht nur der einzelne Nationalstaat in der Krise steuern. Man habe es mit einem „internationalem System von global governance“ zu tun. Doch: „Die G7, die bisher den Anspruch auf global governance nahezu konkurrenzlos verkörperte, hat es ein Vierteljahrhundert nicht vermocht, den internationalen Finanz- und Kapitalmarkt zu ordnen.“ Er zweifle daran, dass dies besser gelänge, wenn der Kreis um Schwellenländer erweitert würde. „Ich bin nicht überzeugt, dass Indien, Brasilien, Russland und China eine Führungsrolle übernehmen können“, sagte Abelshauser.