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Vom Regen in die Traufe?

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Studie

Vom Regen in die Traufe?

28. Oktober 2008

Über die Milizen ist ein Meinungsstreit entfacht

In den letzten Monaten des Jahres 2006 beschäftigten sich die Zeitungen in Rio de Janeiro mit der immer stärkeren Kontrolle der städtischen Armenviertel durch bewaffnete Gruppen, den sogenannten „Milizen“. Diese angeblich aus Polizisten und anderen Vertretern der Staatsmacht zusammengesetzten Gruppen haben die Herrschaft über die zuvor von Drogenhändlern kontrollierten Gebiete übernommen. Einwohner und Händler zahlen häufig Schutzgelder für eine vermeintliche Sicherheit.

Über die „Milizen“ ist ein Meinungsstreit entfacht. Sehr viele Personen des öffentlichen Lebens, mit dem Bürgermeister an der Spitze, haben sie in ihren Reden verteidigt bzw. offen unterstützt, mit der Begründung, dass die „Milizen” eine Reaktion von Polizisten seien, die im Ort wohnten und die Bevölkerung vom Drogenhandel „befreien“ wollten. Kritische Stimmen hingegen unterstrichen den erpresserischen Charakter dieser Gruppen und den Widerspruch an sich, dass Mitglieder des Staatsapparates sich privat organisierten, um Gewinn zu machen. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand die Frage, ob die sogenannten „Milizen” tatsächlich neu waren oder ob sie eine Fortsetzung alter Praktiken wie die der „Polícia Mineira“ unter neuem Namen waren.

Die Milizen wurden zu einem der am heftigsten diskutierten und am wenigsten begriffenen Themen der Stadt. Häufig erschienen Zeitungsnachrichten oder gingen Gerüchte um, aber es gab keine zuverlässigen Daten. Ein in der Presse zitierter Geheimbericht über die Ausbreitung der Milizen war weder belegbar noch erhältlich. Im Unterschied zum Drogenhandel, der traditionell Gegenstand von – insbesondere ethnografischen – Studien ist (z.B. Zaluar, 1994; Barbosa, 1998; Alvito, 2001), gibt es noch keine empirische Untersuchung zur Untermauerung der Analysen zu diesem Thema.

Das Phänomen „Milizen“ und seine Entwicklung

Die vorliegende Studie soll ein erster Schritt sein, um dieses Vakuum zu füllen und das Phänomen objektiv und gründlich analysieren zu können. Folgende Fragen sollen beantwortet werden:

  • Was sind die Milizen?
  • Welche Bedeutung haben sie für die öffentliche Sicherheit in der Stadt?
  • Welchen Rang und welche Folgen haben sie für die Bevölkerung, die in den von ihnen beherrschten Stadtteilen lebt? Welche Unterschiede bestehen zwischen der Kontrolle durch die Milizen und der anderer bewaffneter Gruppen, insbesondere der Drogenhändler?
  • Wie sieht es angesichts der Entstehung der Milizen in Zukunft mit der öffentlichen Sicherheit aus?

Die vorliegende Studie sah sich mit einigen beträchtlichen Schwierigkeiten konfrontiert. Aus methodischer Sicht ist es zum einen schwierig, ein Phänomen zu untersuchen, für das es keine genaue Definition gibt und das im Unterschied zum Drogenhandel auch keine eindeutige Tradition besitzt. Zweitens beschreiben die Zeitungsberichte eine absolut dynamische, sich schnell verändernde Realität. Zum Beispiel gewann das Thema während der Ausarbeitung dieses Textes eine besondere Aktualität. Eine Nachricht jagte die andere, nachdem im Mai 2008 ein Journalistenteam von O Dia von „Milizangehörigen“ misshandelt worden war. Infolge der Ermittlungen wurden einige Mitglieder der als „Liga da Justiça” bekannten Miliz verhaftet.

Angst und Ungewissheit erschweren die Arbeit

Diese Vorfälle konnten nicht mehr in die Studie aufgenommen werden, zeigen aber, wie sich das Bild in kurzer Zeit verändern kann. Drittens – und das ist der kritischste Punkt – ist es eine große Herausforderung, eine Realität zu untersuchen, die sehr häufig von Angst und Ungewissheit geprägt ist. Viele Leute weigerten sich, Zeugnis abzulegen; und die es taten, wollten meist Geheimhaltung zugesichert haben. Etliche Male lehnten die Befragten die Aufzeichnung des Gesprächs ab, und sehr oft waren nur Personen bereit zu sprechen, die nicht direkt betroffenen waren, die z.B. zwar die Wohnviertel kannten, aber nicht in ihnen lebten.

Zeugenaussagen zu den Milizen zu bekommen, war mühseliger als Äußerungen über den Drogenhandel zu hören. Mehrere Faktoren stecken dahinter. Dadurch dass die Milizangehörigen Vertreter der Staatsmacht, namentlich der Polizei zu sein schienen, war die Angst groß, dass sie Kenntnis von Aussagen erhalten könnten. Auch die Identität der Milizangehörigen muss geheim gehalten werden – im Gegensatz zum traditionellen Drogenhändler, dessen Ruhm unter anderem ein Ausgleich für ein kurzes, das Gesetz missachtende Leben ist. Die Adresse der Polizisten ist bekannt und auch die Nummer ihres Beamten-Sparfonds, und daher könnte die Bekanntgabe der Identität ihre Berufsausübung gefährden.

Aufgrund dieser Umstände mussten Sicherheitsvorkehrungen für die Interviews getroffen werden. Sehr oft wurden die Personen in der Universität oder an anderen Orten außerhalb ihres Umfeldes befragt. Ausgehend von diesen Erwägungen ist die vorliegende Arbeit als Sondierungsstudie zu verstehen. Zusätzliche Forschungsarbeit wird zu leisten sein, um dem Phänomen „Milizen“ und seiner Entwicklung genauer auf den Grund zu gehen.


Über das Phänomen der sogenannten Milizen in Rio de Janeiro -
Vom Regen in die Traufe?
   
Herausgeber/in Heinrich-Böll-Stiftung
Erscheinungsort Berlin
Erscheinungsdatum 28. 2008
Seiten 81
ISBN --
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Produktdetails
Veröffentlichungsdatum
28. Oktober 2008
Herausgegeben von
Heinrich-Böll-Stiftung
Seitenzahl
81
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