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Das Beispiel von Arendt

Festrede

Festrede von Michael Ignatieff anlässlich der Hannah-Arendt-Preisverleihung 2003.

Lesedauer: 2 Minuten

Statt Ihnen eine apologia pro mea vita zu geben, möchte ich über Hannah Arendt als Beispiel reden.

Sie war erstens ein Beispiel, weil sie sich ihre eigene Autorität erschuf. Sie kam in New York als mittelloser Flüchtling an, als sie starb, wurde sie allgemein als bekannte Intellektuelle respektiert. Sie erlangte Autorität durch die Macht des Denkens. Mit dem Begriff Autorität meine ich, dass man auf sie hörte, sie respektierte und weithin als weise Frau ansah. Ich meine auch, dass ihr Einfluss sie überdauert hat und dass die Auseinandersetzung über ihre Arbeit auch eine Generation nach ihrem Tod noch andauert.

Ihr Beispiel hilft uns bei der Identifikation dessen, was intellektuelle Autorität ist und wie sie sich von anderen Formen der Autorität unterscheidet.

Erstens ist diese Autorität nicht mit Macht verbunden. Hannah Arendt hat nie Macht oder politischen Einfluss ausgeübt, aber sehr wohl intellektuelle Autorität. Der Unterschied zwischen Macht und Autorität steht offensichtlich mit der Fähigkeit zur Ausübung von Zwang in Zusammenhang. Die, die Macht haben, können ohne Zustimmung Zwang ausüben. Die, die Autorität haben, können sich Gehorsam durch Zustimmung sichern.

Einem Intellektuellen mit Autorität fehlt jede Möglichkeit zur Ausübung von Zwang. Die charakteristische Methode für einen Intellektuellen ist Überredung, Argument und Rhetorik, die alle ihre Wirkung eher innerhalb eines Umfeldes von Zustimmung und nicht von Macht ausüben; wenigstens sollten sie es.

Die ‚organischen Intellektuellen’ der kommunistischen und faschistischen Ären – die ihren Intellekt an politischer Macht ausrichteten – übten schließlich beträchtliche Macht zur Ausübung von Zwang in totalitären Staaten aus. Über sie reden wir aber nicht. Stattdessen denken wir an die intellektuelle Autorität, die sich von freiwilliger Zustimmung zur Überzeugungskraft von Argumenten und Ideen herleitet. Hannah Arendt hatte diese Beziehung zu ihrem Publikum – und hat sie immer noch.

Die vollständige Rede steht Ihnen hier als Download (PDF, 42 KB) zur Verfügung.