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Wie 1929… oder grundverschieden?

Szenen der Weltwirtschaftskrise: Männer, die an einer Suppenküche Schlange stehen. Franklin Delano Roosevelt Memorial in Washington DC.
Foto: Jeremy Collins. Dieses Foto steht unter einer Creative Commons-Lizenz.

20. April 2009
Joscha Schmierer
Von Joscha Schmierer

Auf seiner ersten Pressekonferenz im Weißen Haus zog Barack Obama einen dramatischen Vergleich und legte sich fest: «Meine Administration erbte ein Defizit von über einer Billion Dollar. Zugleich erbten wir aber die gewaltigste wirtschaftliche Notsituation seit der Großen Depression. Wenn zu wenig oder gar nichts getan wird, wird sie zu einem noch größeren Defizit an Jobs, Einkommen und Vertrauen führen. Dieses Defizit könnte aus der Krise eine Katastrophe werden lassen. Und ich weigere mich, dem tatenlos zuzusehen. So lange ich in diesem Amt bin, werde ich alles, was notwendig ist, unternehmen, damit dieses Land wieder Tritt fasst.» Und notwendig scheint zunächst, vor weiteren Schulden nicht zurückzuschrecken. Mit dem Hinweis auf die Große Depression mahnte der US-Präsident die Mitglieder des Kongresses zu Einigung und Eile bei der Verabschiedung des Antikrisenprogramms: «Die stärksten Demokratien (…) überleben, wenn Leute jeder Herkunft und jedes Bekenntnisses einen Weg finden, kleinere Differenzen zugunsten eines größeren Vorhabens hintanzustellen. Dieser Prüfung werden die Vereinigten Staaten in diesem Winter voller Elend unterzogen.»

Deutschland ist herausgefordert, die EU wird getestet

In Deutschland sind für 2009 schöne Gedenktage vorgesehen – an das Inkrafttreten des Grundgesetzes und den Mauerfall. Wenn aber die aktuellen Ereignisse an die Weltwirtschaftskrise erinnern, deren Beginn auf den Oktober vor achtzig Jahren datiert wird, bleibt für Selbstzufriedenheit kein Platz. Die Republik ist herausgefordert, die Europäische Union wird getestet. Werden die internationalen Integrationsbemühungen, die in der Globalisierung ihre Grundlage finden, sich gegen die Gefahren der Fragmentierung, die der Globalisierung immanent bleiben, behaupten können? 2009 wird kein Jahr guter Erinnerung, sondern ein Schlüsseljahr für die Zukunft. Es wird sich entscheiden, ob der Crash in den USA in eine weltweite Depression übergeht, gar in die politische, vielleicht sogar militärische Konfrontation von Mächten und neuen Blöcken mündet oder ob die globale Integration institutionell gestärkt aus der Krise hervorgeht. Die Welt steht nicht nur klimapolitisch, sondern auch politisch-klimatisch auf der Kippe.

Ökonomisch lässt sich ein Crash zwar nicht exakt voraussagen, wenn es aber zu ihm gekommen ist, lässt er sich ganz gut erklären. Es geht ihm immer eine manische Phase voraus, mit den Hoffnungen, dass die Wertsteigerung von Besitztiteln gegenüber den Gewinnerwartungen in Produktion und Handel den Vorrang erringt. Bei Aktien etwa wird nicht mehr auf die Dividende gesetzt, sondern auf den Profit bei ihrem Verkauf. Aus Geld scheint mehr Geld zu machen zu sein und das grenzenlos. Hier muss nicht ins Einzelne gegangen werden – der Crash ist da, er zieht seine Weiterungen. Wie weit werden sie gehen?

Was die Weltwirtschaftskrise 1929 vom heutigen Crash unterscheidet

Um hier Antworten zu finden, muss auch der Ökonom nach dem politischen Kontext fragen. Der größte Unterschied zwischen 1929 und heute besteht darin, dass die Weltwirtschaftskrise damals auf den politischen Trümmern ausbrach, die der Erste Weltkrieg hinterlassen hatte. Die Bemühungen, zur Vorkriegssituation zurückzukehren, hatten sich in den 20erund bis in die 30er-Jahre hinein auf die Rückkehr zum Goldstandard und zu festen Währungsbeziehungen konzentriert. Der Versuch, den Weltmarkt wiederherzustellen, scheiterte nicht zuletzt an den Schuldverhältnissen, die der Krieg zwischen Deutschland und den Siegermächten, aber auch zwischen Großbritannien und den USA hinterlassen hatte. Die polarisierten Machtverhältnisse standen im Widerspruch zum Wunsch, zu den ausbalancierten Wirtschafts- und Währungsbeziehungen vor dem Krieg zurückzufinden.

Brach also die Weltwirtschaftskrise in einer zerklüfteten Nachkriegslandschaft aus – das Kriegsende war gerade mal zehn Jahre her –, so machten die politischen Reaktionen aus ihr eine Zwischenkriegskrise. Nach dem Scheitern einer Rückkehr zum Goldstandard zielten die Mächte auf die Errichtung eigener Wirtschafts- und Währungsblöcke. Statt der Rückkehr zum freien Weltmarkt der Vorkriegszeit triumphierten nicht nur in Deutschland Protektionismus, Abwertungswettlauf und Festungsdenken. In Wirtschaftsimperien wurde der Ausweg gesucht und der lässt sich nicht beschreiten ohne imperiale politische Macht. Die entgegengesetzten, aber teilweise durchaus gleichartigen Wege aus der Krise führten in Aufrüstung und Krieg. Erst der Krieg, die Katastrophe, beendete eine Krise, die in die Depression und machtpolitische Rivalität geführt hatte.

Ben Bernanke, der amerikanische Notenbankchef, ist einer der besten Kenner der Weltwirtschaftskrise von 1929. «Die Depression», so schreibt er im Vorwort zu einer Sammlung von «Essays on the Great Depression», «war eine unglaublich dramatische Episode, eine Zeit (…) der wilden Währungsspekulation, voller Sturmwolken des Krieges, die sich im Hintergrund zusammenzogen.»

In «Entfernte Verwandtschaft» hat der Historiker Wolfgang Schievelbusch auf die Kriegsrhetorik hingewiesen, mit der der Depression im jeweils eigenen Land zu Leibe gerückt wurde: Rückgriff auf den Ersten Weltkrieg, Vorgriff auf den Zweiten. Schievelbusch meint, einen «wundersamen Parallelismus» in den Antikrisenprojekten und –mobilisierungen von Faschismus, Nationalsozialismus und New Deal zu erkennen: «Alle drei bedurften zur Überwindung ihrer Wirtschaftskrise einer Rüstungskonjunktur und letztlich des Krieges.» Dass auch in den USA erst der Krieg ein Ende der Arbeitslosigkeit brachte, weiß natürlich auch Ben Bernanke. Zwar hätte sich nach Roosevelts Amtseinführung im März 1933 die wirtschaftliche Lage verbessert – zwischen 1929 und 1933 war das Nationalprodukt real um fast dreißig Prozent gesunken –, «aber die Arbeitslosigkeit blieb das ganze Jahrzehnt über zweistellig. Die Beschäftigung erholte sich erst mit dem Zweiten Weltkrieg.» Die Weltwirtschaftskrise hatte die Hoffnungen, an die Ansätze einer über den Weltmarkt vermittelten Globalisierung wieder anknüpfen zu können, pulverisiert. Die imperiale Rivalität wurde potenziert und verbaute vollends die Möglichkeiten einer kooperativen Überwindung der Krise.

In einer globalisierten Welt globalisiert sich auch die Krise

Seit 1989 und der vorausgehenden Öffnung Chinas gibt es im Wortsinn eine Weltwirtschaft. In einer globalisierten Welt globalisiert sich auch die Krise. Das unerwartet schnelle und tiefe globale Ausgreifen des Crashs folgt dieser Logik. Insofern geht das Ausmaß heute noch über die Dimension des Crashs von 1929 hinaus. Aber der politische Kontext ist völlig verschieden. 1989 beendete zwar einen Krieg, aber da dieser nicht militärisch ausgetragen wurde, hinterließ er kein vergleichbares politisches Trümmerfeld wie der Erste Weltkrieg, diese «Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts». Die Auflösung des Sowjetimperiums hatte nicht die Form einer militärischen Niederlage. Die sich als Sieger des Kalten Krieges verstanden, konnten keine Reparationen fordern.

Mit dem Ende der europäischen Imperien hat sich das Verhältnis von kapitalistischer Weltwirtschaft und der politischen Form, in der sie sich entfaltet, geändert. Die Vorstellung von Autarkie ist mit Imperien verknüpft, bietet aber für Staaten keine Perspektive. Zwar besteht zwischen der Staatenwelt mit ihren Grenzen und Souveränitäten und der Weltwirtschaft in ihrer transnationalen Vernetzung ein Spannungsverhältnis, dem die Gefahr der Fragmentierung innewohnt. Durch Kooperation unter Staaten ist es jedoch regulierbar.

Die Weltwirtschaft bleibt währungspolitisch den Staaten ausgeliefert

Trotz internationaler Institutionen wie IWF, Weltbank und WTO können Staaten über ihre Antikrisenmaßnahmen freilich die transnationalen Netze zerreißen und die internationale Integration sprengen. Die Weltwirtschaft bleibt währungspolitisch den Staaten ausgeliefert. Das Zusammentreffen von internationaler Verschuldung der USA und ihrer Souveränität über die internationale Reservewährung enthält eine Menge Sprengkraft. Da Stützungsmaßnahmen für die nationale Wirtschaft in Staatsform und damit innerhalb von Staatsgrenzen stattfinden, ist ihr Übergang zu Protektionismus fließend. Sie können damit zur Quelle heftiger Streitereien unter Staaten werden.

Damit sind nur einige der Punkte benannt, an denen Staaten Brüche in der Weltwirtschaft herbeiführen und verschärfen und damit die Bedingungen schaffen können, unter denen der Crash zur Depression ausufert, welche die Weltwirtschaft versumpfen lässt. Dennoch macht gerade der Vergleich mit 1929 die viel günstigeren politischen Bedingungen deutlich, unter denen die Weltgesellschaft heute mit der Krise umgehen kann. Noch ist die Welt nicht in neue Blöcke auseinander gebrochen, sie zeichnen sich nicht einmal ab. Noch kann die Kooperation der Staaten die Form bilden, in der eine Depression vermieden wird. Wenn es der neuen US-Administration gelingt, ihre teuren Rettungsprogramme nicht mit protektionistischer Abschottung zu flankieren, kann sie eine führende Rolle spielen, um «Sturmwolken des Krieges» gar nicht erst aufkommen zu lassen. Die USA sind zur Finanzierung ihrer Programme nicht zuletzt auf China angewiesen. Protektionismus trüge suizidale Züge.

Böll.Thema Ausgabe 1/2009 - Green New Deal

Wir befinden uns inmitten einer Transformationskrise des Kapitalismus. Im Zentrum steht die Idee eines «Green New Deal», die weltweit als Antwort auf die Doppelkrise von Wirtschaft und Umwelt diskutiert wird. Diese Ausgabe von Böll.Thema leuchtet aus, wie die Weichen in Richtung Zukunft gestellt werden können. mehr»

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