Wahlen und Außenpolitik in Indien

Außenpolitik spielt traditionell keine Rolle bei Wahlen in Indien. Trotz der wirtschaftlichen Liberalisierung seit 1991, der Exportförderung und den zunehmenden ausländischen Direktinvestitionen ist Indien noch kein Schwergewicht in der Weltwirtschaft. Allerdings haben außenpolitische Fragen in den letzten Jahren zunehmend innenpolitische Kontroversen und Regierungskrisen ausgelöst. So führten die Proteste gegen das Nuklearabkommen mit den USA im Sommer 2008 fast zum Scheitern der Regierung. Der Einspruch der Landesregierung von Westbengalen gegen ein Wasserabkommen mit Bangladesch im Herbst 2011 unterstrich die wachsende außenpolitische Bedeutung von Regionalparteien gegenüber den Nachbarstaaten. Aufgrund der indischen Haltung im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (VN) gegenüber einer Resolution zu den Kriegsverbrechen in Sri Lanka verließ die größte tamilische Partei im Frühjahr 2013 die Regierungskoalition.

Die Manmohan-Doktrin

Die Außenpolitik der United Progressive Alliance (UPA) Regierungen folgte seit 2004 der nach Premierminister Manmohan Singh benannten Doktrin, die Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Energiesicherheit in den Mittelpunkt stellte. Unter dem Schlagwort der „Konnektivität“ wurden wirtschaftliche Beziehungen zu den Nachbarstaaten in Südasien ausgebaut. Die UPA gewährte dabei, ganz in der Kontinuität ihrer Vorgänger, auch einseitige Handelserleichterungen. Damit setzte sich der Trend fort, der seit der Liberalisierung 1991 in der indischen Südasienpolitik zu erkennen ist. Die Region wird immer weniger vor dem Hintergrund der nationalen Sicherheit, sondern zunehmend im Kontext der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung und des indischen Marktes betrachtet.

Im Zuge des 2004 begonnenen Verbunddialogs mit Pakistan verständigten sich Singh und der pakistanische Präsident Musharraf 2007 auf gemeinsame Prinzipien zur Beilegung des Kaschmirkonflikts. Der Anschlag in Mumbai 2008 hat zwar den Dialog vorübergehend gestoppt, Indien setzt aber weiterhin auf den Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen mit Pakistan, um die Annäherung voranzutreiben.
Wirtschaftsfragen stehen auch im Zentrum der Beziehungen zur Volksrepublik China, die mittlerweile der größte Handelspartner Indiens ist. Das neue Grenzabkommen vom Oktober 2013 soll Grenzverletzungen unterbinden, die wiederholt das bilaterale Verhältnis belasteten. Das Abkommen mit den USA 2008 über die zivile nukleare Zusammenarbeit war vermutlich der größte außenpolitische Erfolg von Premierminister Singh. Erstens beendete es die jahrzehntelange internationale Isolation Indiens in dieser Frage. Zweitens sollte damit die Energiesicherheit erhöht und der indische Markt für ausländische Energieunternehmen geöffnet werden.

Außenpolitik zwischen Interdependenz und Unabhängigkeit

Trotz der zunehmenden wirtschaftlichen Interdependenz versucht Indien an seiner Politik der außenpolitischen Unabhängigkeit und strategischen Autonomie festzuhalten. Die Beziehungen nach Ost- und Südostasien wurden weiter ausgebaut, wobei neben den wirtschaftlichen Interessen auch das Verhältnis zu China eine Rolle gespielt hat. Indien hat es dabei aber bislang vermieden, sich in den Territorialkonflikten zwischen China und seinen Nachbarn in Ost- und Südostasien klar zu positionieren. Auch in der Rivalität zwischen China und den USA blieb Manmohan Singh, trotz heftigem Werben von amerikanischer Seite, der Linie früherer Regierungen treu, nicht für eine Seite Partei zu ergreifen. Trotzdem konnte Indien seine Ambitionen nach einem Großmachtstatus vorantreiben. Dies gelang durch das Nuklearabkommen, strategische Partnerschaftsabkommen u.a. mit den USA, China und der EU sowie die Teilnahme Indiens an der aufgewerteten G 20.

Im Bereich Klimapolitik haben Indiens nationale Entwicklungsinteressen eine klare Priorität gegenüber globalen Umwelt- und Klimaschutzerwägungen. Indien sucht in Global Governance Verhandlungen die enge Zusammenarbeit mit anderen Schwellenländern, z.B. im Rahmen von BRICS, wohingegen die Blockfreien-Bewegung deutlich an Bedeutung verloren hat. Bei regionalen Krisen wie in Libyen und Syrien betont Indien die nationale Souveränität und steht humanitären Interventionen und der Debatte über Responsibility to Protect (R2P) kritisch gegenüber.

Kontinuität vor Wandel

Wahlen und Regierungswechsel haben sich bislang nur selten auf die Außenpolitik ausgewirkt. Dementsprechend ist bei einem Regierungswechsel zur BJP oder einer Third Front eher Kontinuität als Wandel zu erwarten. Es gibt einen hohen parteiübergreifenden Konsens über nationale Interessen. Dazu zählen die Fortsetzung der wirtschaftlichen Liberalisierung, die Sicherung der Energieversorgung, die Gleichrangigkeit mit China und den Anspruch auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Die Hindu-nationalistische Agenda der BJP ist eher eine innen- als eine außenpolitische Herausforderung. Auch frühere BJP-Regierungen haben sich um die Annäherung an Pakistan und China bemüht.

Indiens internationale Bedeutung ergibt sich bislang eher durch seine demographische Größe und weniger durch sein Gewicht in der Weltwirtschaft. So werden internationale Vereinbarungen in den Bereichen Klima, Umwelt und Energie nur dann erfolgreich sein, wenn die Indische Union, die ein Sechstel der Weltbevölkerung repräsentiert, sich daran beteiligt. Singh hat auch interne Reformen in Gang gesetzt, um langfristig die außenpolitische Handlungsfähigkeit zu erhöhen. So soll die Zahl von gegenwärtig ca. 800 Diplomaten, die auf einer Ebene mit Singapur liegt, deutlich erhöht werden, um die gestiegenen internationalen Anforderungen zu bewältigen. Die 2012 neu geschaffene Development Partnership Administration soll die indische Entwicklungszusammenarbeit besser koordinieren. Darüber hinaus sollen die umfangreichen Rüstungsausgaben langfristig Indiens Führungsambitionen im südlichen Asien und Indischen Ozean untermauern.

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"Indien im Wahljahr – Aufbruch oder Stagnation?"