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Der Speer der Nation

Lesedauer: 3 Minuten

Dokumentation: Der Speer der Nation

Ausschnitt des Bildes "The Spear". Bild: Brett Murray Original: Wikimedia Commons Copyright: Brett Murray
Jacob Zuma hat nie einen Hehl daraus gemacht, vier Frauen zu haben und wohl 22 Kinder. Ein Teil seiner Landsleute findet diese patriarchalische Inszenierung peinlich, andere feiern oder verteidigen sie als Teil der afrikanischen Kultur.

Als Mitte Mai 2012 in Johannesburg ein Gemälde ausgestellt wurde, das den Präsidenten in revolutionärer Pose, aber mit offener Hose und exponierten Genitalien zeigte, entfachte der ANC einen Sturm der Entrüstung. Der Präsident und mit ihm seine Partei und die Mehrheit des Volkes seien in ihrer Würde verletzt worden, die Galerie Goodman müsse das Bild von der Wand und die Sonntagszeitung City Press es von der Website nehmen.

Weil die Galerie und die Zeitung nicht gleich gehorchten, zog der ANC fast alle Register: Er beantragte eine einstweilige Verfügung, rief zum Boykott von City Press und zur Demonstration vor der Galerie auf. Brett Murray, der Künstler, wurde als Rassist gebrandmarkt, Ferial Haffajee, die Chefredakteurin, verunglimpft und bedroht. Zwei Männer, der eine weiß, der andere schwarz, fühlten sich ermächtigt, die inkriminierten Körperteile des Bildes zu übermalen.

Am Ende nahm Ferial Haffajee das Bild von der Website – „aus Fürsorglichkeit und aus Furcht“. Liza Essers, die Direktorin der Galerie, erklärte, sie werde das wegen der Farbattacke zurückgezogene Bild nicht wieder ausstellen und es als „Geste des guten Willens“ zu einem späteren Zeitpunkt von der Website nehmen.
 
Zwei Dinge haben die Südafrikaner in den Maiwochen gelernt: dass die Verletzungen der Apartheidzeit noch virulent und sie sich weiter ziemlich fremd sind. Und zweitens, dass sie unter einer Regierung leben, die keinen klaren Kurs, aber Mitglieder hat, die zu Konsumentenboykotten aufrufen, sich als Bilderstürmer gerieren und den Druck der Straße mobilisieren. Man mag unterschiedlich über das Gemälde denken. Damit haben sie erreicht, was sie wollten und dem Gericht die Abwägung zwischen künstlerischer Freiheit und dem Schutz der Würde des einzelnen aus der Hand genommen. In Anbetracht der Angriffe gegen die unbotmäßige Presse und die unbeugsame Justiz und der Forderungen nach einer verschärften Umgestaltung der Gesellschaft, second transition genannt, sind diese von der Partei/der Regierung initiierten und inszenierten Aktionen „von unten“ eher Druck von oben.

Im Rahmen des zweiwöchigen Sturms sind in der südafrikanischen Presse einige bemerkenswerte Texte erschienen. Brett Murray erklärte seine Enttäuschung über den ANC, die viele weiße Anti-Apartheid-Aktivisten teilen. Justice Malala, ein scharfer Kritiker des ANC und des Präsidenten, hat an sich selbst beobachtet, wie sehr ihn die Debatte berührte, auch wenn er die künstlerische Freiheit verteidigt. Ferial Haffajee, die kluge Chefredakteurin von City Press, übermittelte ihre Beweggründe und ihre Entscheidung in einem offenen Brief an eine der Töchter Zumas. Phylicia Oppelt, auch sie eine unerschrockene Journalistin, hat analysiert, wie man Kritiker als Rassisten verunglimpft, obwohl ihr Lebensweg zeigt, dass sie Apartheid abscheulich fanden und dazu beigetragen haben, dass sie am Ende kapitulieren musste. 

   
Renate Wilke-Launer

Video: Die Verunstaltung des Gemäldes

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