Frauenpolitik. Männerpolitik? Genderpolitik!

Wir müssen die Frauenpolitik verändern und ergänzen. Nicht, weil alle Ungleichheiten verschwunden sind. Sondern, weil die große Mehrheit – gerade der jüngeren Menschen – längst erkannt hat, dass die Beseitigung der Ungleichheit nicht (mehr) nur Frauensache ist, meint Jan Philipp Albrecht. -> Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen zu Feminismus & Gender.

Wenn Alphamädchen und Feuchtgebiete den alten Häsinnen der Frauenpolitik zu schaffen machen, dann liegt das sicherlich nicht nur an einem Aufbegehren gegen die Alten. Vielmehr zeigt sich in der aktuellen Auseinandersetzung, dass es Klärungsbedarf gibt. Und zwar nicht nur in der Frauenwelt. Klärungsbedarf darüber, welche Aufgabe und welchen Stellenwert Frauenpolitik und Genderpolitik haben. Und vielleicht auch darüber, ob es Zeit für eine eigenständige Männerpolitik wäre.

Die großen Frauenbewegungen sind vorbei. Heute erscheint es schwer, Massen von Frauen auf die Straße zu bringen, um für einen Tabubruch wie etwa den legalen Schwangerschaftsabbruch zu kämpfen ohne § 218. Viele würden sagen, die Gleichstellung der Frau ist vollbracht. Das ist natürlich Quatsch. Noch immer gibt es massive Ungleichheit, etwa bei der Bezahlung und den Chancen im Berufsleben. Noch immer gibt es versteckte Diskriminierung, etwa in der alltäglichen Sprache oder in der Werbewelt. Dennoch müssen wir festhalten: Es geht nicht mehr um die großen Befreiungsschläge. Es geht um stetige und sich wiederholende Anpassungskämpfe. Die selbsternannten „neuen Feministinnen“ wollen gemeinsam mit auch männlichen Mitstreitern für eine Welt eintreten, in der sie als Frauen die gleichen Chancen haben wie Männer.

Frauenpolitik ist heute mehr und mehr Genderpolitik

Die neue Frauenpolitik ist somit kooperativ. Sie entwickelt sich mehr und mehr zu einem Teil der so genannten Genderpolitik. Und genau das wollen die Vorkämpferinnen wie Alice Schwarzer nicht akzeptieren. Sie sehen den eigenständigen Stellenwert von Frauenpolitik. Für sie ist eine massive Änderung der patriarchal geprägten Gesellschaft nicht durch Kuschelpolitik erreichbar. Und somit versuchen sie schon seit Jahren die Vereinnahmung durch eine umfassende Genderpolitik zu verhindern. Schwarzer und Co treten hier ordentlich auf die Bremse und das ist es, was die „neuen FeministInnen“ nervt. Diese sind aber nur ein Symptom von vielen. So hat die Genderpolitik insgesamt, ja auch im politischen Sammelbecken der klassischen Frauenbewegung – bei den Grünen –, Schwierigkeiten, den Stellenwert der Frauenpolitik einzunehmen.

Es fragt sich aber, ob hier überhaupt ein Gegeneinander besteht. Denn gerade die Genderpolitik, die auf eine Akzeptanz der geschlechterspezifischen Verhaltensweisen setzt, kann dafür sorgen, dass noch vorhandene Ungleichheiten weiter abgebaut werden. Allein mit Frauenpolitik ist dies nicht mehr zu erreichen. Denn: Reden wir über gewachsene Grundstrukturen der Gesellschaft, dann können wir nicht mehr nur über die eine Hälfte der Bevölkerung reden, sondern müssen beide Geschlechter in einen Aufarbeitungs- und Anpassungsprozess einbeziehen. Eine umfassende Genderpolitik stellt also die Herausforderung der kommenden Jahre dar – für Bewegung und Politik. Nur mit ihrem ganzheitlichen Ansatz können die bestehenden Ungleichheiten abgebaut werden.

In Sachen Männerpolitik ist noch viel Arbeit zu leisten

Hierzu ist neben der weiter bestehenden Frauenpolitik, auch eine spezifische Männerpolitik von Nöten. Denn was bislang vollständig ausgeblendet blieb, kommt nach und nach zum Vorschein: Oftmals liegen geschlechterspezifische Ungleichheiten nicht in übermäßigen „Stärken“ des männlichen Geschlechts, sondern beruhen auf ausgeprägten Schwächen. Männer sind in unserer Gesellschaft enormem Druck ausgesetzt. Die zumindest teilweise Befreiung der Frauen von gesellschaftlichen Rollenbildern ist bei ihnen bislang nicht angekommen. Sie sind auch weiterhin gefangen in der Vorstellung, sie müssten als Alleinverdiener die Familie ernähren und bekämen Anerkennung und Zuneigung nur durch Erfolg im Berufsleben.

Es kommt auf die Beseitigung von Ungleichheiten an

Viele gesellschaftliche Probleme beruhen auf spezifisch „männlichen“ Verhaltensmustern. Es wäre also genau hier anzusetzen, um eine weitere Gleichstellung zu erreichen. Musste die Frauenbewegung die grundständigen Rechte der Frauen noch im Kampf gegen die dominante und arrogante Männerwelt durchboxen, so wird dies bei den verbleibenden Ungleichheiten nicht mehr möglich sein. Denn es gibt kein schlichtes Gegenüber mehr zwischen Männer- und Frauenwelt. Vielmehr haben sich in unserer Gesellschaft verschiedenste Gruppierungen von Männern und Frauen herausgebildet, die unterschiedliche Auffassungen von „berechtigten“ oder „unberechtigten“ Ungleichbehandlungen hat. Und da ist auch wieder ein Ansatz der „neuen FeministInnen“: Gleichheit erzeugen wir nicht durch Gleichmacherei.

Vielmehr ist es notwendig, auf die ganz konkreten Eigenschaften von Personengruppen einzugehen und durch ihre Akzeptanz Förderungsinstrumente zu entwickeln, die nach und nach eine gleiche Ausgangsposition für alle herstellen sollen. Denn dies war und ist die eigentliche Vision von Frauenpolitik, ja auch von Männerpolitik, also schlichtweg von Genderpolitik: Eines Tages sollen alle Menschen – völlig unabhängig von ihrem Geschlecht – gleiche Möglichkeiten im Leben haben. Wir müssen die Frauenpolitik also verändern und ergänzen. Nicht, weil alle Ungleichheiten verschwunden sind. Sondern, weil die große Mehrheit – gerade der jüngeren Menschen – längst erkannt hat, dass die Beseitigung der Ungleichheit nicht (mehr) nur Frauensache ist. Deshalb braucht es auch endlich männliche Genderpolitiker. Hier gibt es einiges zu tun.


Jan Philipp Albrecht ist seit 2006 Bundesvorstandssprecher der Grünen Jugend. Er ist Jahrgang 1982 und wuchs im niedersächsischen Wolfenbüttel auf. Seit 2003 studiert er Jura mit Schwerpunkt Europa- und Völkerrecht in Bremen, Brüssel und Berlin. Sein langjähriges Engagement bei Bündnis 90/Die Grünen und in der Grünen Jugend hat ihn auch zu einem Genderpolitiker gemacht.