Eine alte Bekannte: The New World Order

Will man den Schritt der Londoner G-20-Konferenz zu einer neuen Weltordnung messen, kommt es wahrscheinlich weniger auf die konkreten Vereinbarungen an. Ihre Wirkung bleibt umstritten. Der Erfolg der Konferenz sollten wir besser an ihrer diplomatischen Wirkung und ihrer Bedeutung für die weitere Zusammenarbeit der Beteiligten messen. -> Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen zu Außen- und Sicherheitspolitik.

Es klang fast wie ein Zitat, als Premierminister Gordon Brown, Gastgeber der G-20-Konferenz in London, vor die Presse trat, um sein Résumé vorzutragen. Es gipfelte in der Behauptung: „Eine neue Weltordnung entsteht, und damit treten wir in eine neue Ära internationaler Zusammenarbeit ein.“ Die Konferenz markiere einen historischen Moment. Vor bald zwanzig Jahren hatte der damalige US-Präsident vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen erklärt, es liege nun in „unseren Händen“, eine historische Wende zu einer neuen Weltordnung und in eine lange Ära des Friedens voranzutreiben. Dann war über Jahre wenig von einer neuen Weltordnung die Rede oder wenn doch, so nur mit Spott.

Ausgerechnet Gordon Brown

Schon bevor Gordon Brown Tony Blair als Premierminister ablöste, begann er den Ton der neuen Weltordnung anzuschlagen(1). Im Vorfeld der ersten G-20-Konferenz zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise vom November 2008 griff er dann das Leitmotiv wieder auf: „Das Bündnis zwischen Britannien und den USA und umfassender zwischen Europa und den USA muss die Führung gewährleisten, nicht um von uns aus die Regeln zu diktieren, sondern um uns an die Spitze der globalen Bemühungen zu setzen, eine stärkere und gerechtere internationale Ordnung zu errichten.“ Seine Botschaft sei, dass „wir internationalistisch und nicht protektionistisch, eingreifend und nicht neutral, fortschrittlich und nicht reaktiv sein müssen, vorausschauend und nicht durch die Ereignisse gelähmt. Wir können den Augenblick nutzen und dadurch eine wirklich globale Gesellschaft errichten.“ Das war wie gesagt im November des letzten Jahres und George W. Bush war noch im Amt.

Gordon Brown nutzte auf seine Weise den Augenblick, als der residierende US-Präsident  schon ganz abgewirtschaftet hatte und der gewählte Präsident sich noch im Hintergrund halten musste. Brown versuchte das Thema „neue Weltordnung“ zu besetzen. Und es ist ja bezeichnend, dass der Ministerpräsident einer europäischen, global und für sich allein genommen zweitrangigen Macht an die amerikanische Rhetorik von 1990 anknüpfte. Das Forum, an das er sich wandte, war eine Konferenz der G20 und der Anlass eine Wirtschafts- und Finanzkrise. Als dann die zweite Konferenz in London nicht scheiterte, konnte der britische Gastgeber, dem innenpolitisch das Wasser bis zum Lippenrand steht, einen ersten großen Erfolg auf dem propagierten Weg verkünden.

Andere Situation

Es ist interessant, die Situation, in der Bush sen. mit seinem Konzept einer neuen Weltordnung hervortrat, mit der Situation zu vergleichen, in der ein schwach eingeschätzter britischer Premier die damalige Rhetorik wieder aufnimmt. Als Bush sen. 1990 von der neuen Weltordnung zu sprechen begann, war der Kalte Krieg gerade zu Ende gegangen, die Sowjetunion aber noch nicht aufgelöst. Zugleich machte der Überfall Saddam Husseins auf Kuwait in der Absicht, dieses UNO-Mitglied als Provinz dem Irak einzuverleiben, deutlich, dass damit mit dem Ende des Kalten Krieges auch die Blockordnung nicht mehr funktionierte. Mit seinem Konzept einer neuen Weltordnung reagierte Bush sen. auf die Auflösung dieser alten Ordnung und die Provokation eines usurpatorischen Diktators, der glaubte, nun straflos gleich noch den Ordnungsrahmen der UNO sprengen zu können. Aber gerade auf diesen Ordnungsrahmen setzte Bush damals. Seine Hoffnung war, ihn nun in Verständigung mit der Sowjetunion sicherheitspolitisch nutzen zu können. Entgegen Saddam Husseins Erwartungen wurde sein Angriff auf Kuwait so zu einem Angriff auf einen Kernpunkt der damaligen amerikanischen Außenpolitik.

Die Konzeption der neuen Weltordnung, wie sie Bush sen. 1990 vorschwebte, erwies sich als kurzlebig. Mit der Auflösung der Sowjetunion entfiel der ernstzunehmende Partner, mit dem Bush zuvor durchaus gerechnet hatte. Der glatte militärische Erfolg über den Irak befestigte die militärische Vormachtstellung der USA. Die neue Weltordnung verschwand von der Tagesordnung. Stattdessen wurde die Vorstellung der einzig verbliebenen Supermacht und der unipolaren Welt geboren. Daraus nichts gemacht zu haben, wurde der Ansatzpunkt der neokonservativen Kritik an Bush sen. und dann an Clinton. So konnte Condoleezza Rice nach den Anschlägen vom September 2001 von 12 verlorenen Jahren für die amerikanische Außenpolitik sprechen. Nimmt man Gordon Browns Rückgriff auf die neue Weltordnung ernst, kann man von 20 verlorenen Jahren sprechen. Und weil es vor allem 20 verlorene Jahre für die USA und ihre unerlässliche Führungsrolle bei der Errichtung einer neuen Weltordnung waren, ist die Bescheidenheit des neuen Präsidenten nicht gespielt. Time stellte nach Ende der Londoner Konferenz fest, Barack Obama habe schon mit seinen ersten öffentlichen Bemerkungen in London bei einer Pressekonferenz mit Gordon Brown einen neuen Ton gefunden. Dort hatte er gesagt, er sei gekommen, „um zuzuhören, nicht um Lehren zu erteilen“ (2).

Keine bloße Neuauflage

Wenn also heute von neuer Weltordnung gesprochen wird, kann es sich nicht um eine Neuauflage des Projekts von Bush sen. handeln. Er hatte die Abwicklung des Blockgegensatzes vor Augen und setzte auf die amerikanische Führung in enger Partnerschaft mit der anderen bisherigen Blockmacht. Im Grunde strebte er eine Welt an, in der nach dem Wegfall des Blockgegensatzes und bei Fortwirken der nun nicht mehr konfrontativen, sondern kooperativen Rolle der beiden Supermächte den USA ganz natürlich das entscheidende Gewicht zukam. Tempi passati: Mit all dem ist es vorbei. Dafür ist die alte Frage nach einer neuen Weltordnung durch die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise heute umso dringlicher geworden.

Es ist einiges passiert seit 1990, wenn mit Gordon Brown der größte Teil der Weltöffentlichkeit heute die G20 als entscheidendes Forum der internationalen Verständigung sieht. Hatten sich die G7 der stärksten Industriestaaten um Russland zur G8 erweitert, war das zunächst nicht mehr als eine Ergänzung. Wenn Russland sich als bloßes Anhängsel behandelt fühlte, hatte es nicht ganz unrecht. G20 dagegen ist keine Ergänzung von G7 und G8, sondern ein neues Forum mit eigenem und neu zusammen gesetztem Gewicht. Das fällt auf.

Während der „Kapitalismus-Konferenz“ von Attac fragte in einem Workshop ein engagierter Anti-Globalisierer sich und die Gleichgesinnten, ob man denn gegen einen G20-Gipfel einfach in der gleichen Weise protestieren könne wie gegen G7 und G8? Der Frage wurde nicht weiter nachgegangen. Sie hat sich praktisch beantwortet. Der Protest gegen den G20-Gipfel in London fiel trotz der weltstädtischen Umgebung wesentlich schwächer aus als der gegen die G8 in der Abgeschiedenheit von Heiligensee. Andererseits zeigte sich der Leitartikler des  Independent vom 2. April überrascht von der unübersichtlichen „Kombination eines neuen und unkalkulierbaren Präsidenten im Weißen Haus, einem aufsteigenden China, einem freundlicheren Russland und einer ausgesprocheneren französisch-deutschen Allianz“. Auf einmal hätten die Vereinigten Staaten und Britannien ein bisschen kleiner, China ein bisschen größer und Kontinentaleuropa wie eine Kraft ausgesehen, mit der man rechnen müsse (3). Roger Cohen, Kolumnist der New York Times, meinte am 2. April, die G20 müssten nach dem Schiffbruch des angloamerikanischen Kapitalismus die Konturen der Weltwirtschaft des XXI. Jahrhunderts umreißen: „Die Aufgabe, die hier in London angegangen wird, wird viel Zeit verlangen. Wie es der Zufall will, begann der G20-Gipfel in der gleichen Woche, in der sich die Führer der NATO in Frankreich und Deutschland zum 60. Geburtstag des atlantischen Bündnisses trafen. Diese Versammlungen einer alten und einer neuen Organisation verweisen beide auf Amerikas veränderte Stellung in der Welt.“(4) Die Welt von heute ist pluralistisch.

London – ein Erfolg?

Will man nun den Schritt der G-20-Konferenz zu einer neuen Weltordnung messen, kommt es wahrscheinlich weniger auf die konkreten Vereinbarungen an. Ihre Wirkung bleibt umstritten. Da der Verlauf der Krise nicht genau vorhersehbar ist, kann auch die Wirkung der Gegenmaßnahmen bestenfalls vermutet werden. So kann der Erfolg der Konferenz nur an ihrer diplomatischen Wirkung und ihrer Bedeutung für die weitere Zusammenarbeit der Beteiligten gemessen werden. Hier ist ein Vergleich mit der Londoner Konferenz von 1933 hilfreich. Auch dort ging es um die Frage, ob und wie mit einer Weltwirtschaftskrise kooperativ umgegangen werden kann. Die Krise war damals schon in eine Depression umgeschlagen. Sie dauerte bereits vier Jahre. Die Konferenz scheiterte völlig und mündete in isolierten Rettungsversuchen der einzelnen Mächte und Machtblöcke. Die schlimmsten Auswirkungen dieses Scheiterns waren nicht ökonomisch, sondern diplomatisch und politisch. Sie zerstörten den internationalen Kommunikationsraum, beziehungsweise erleichterten dessen Zerstörung durch die neuen Totalitarismen. (5)

Eine Zeitlang wurde gedacht, die gegenwärtige Krise sei nicht so tiefgehend wie die Weltwirtschaftskrise der Jahre nach 1929. Zumindest für die bisherige Entwicklung ist dies eine Täuschung. Alle Indikatoren der gegenwärtigen globalen Krise zeigen zunächst und bis auf weiteres rascher und tiefer nach unten als in den Jahren nach 1929 (6). Den entscheidenden Unterschied zur damaligen Situation macht nicht eine günstigere wirtschaftliche Lage aus, sondern die weltpolitische Konstellation und die internationale Politik. Die Staaten versuchen ernsthaft, sich wirkungsvoll zu koordinieren. Insofern die G-20-Konferenz in London diesen Versuch eher gefördert hat, als ihn in Frustration und gegenseitigen Beschuldigungen enden zu lassen, war sie wohl ein wichtiger Schritt zu einer neuen Weltordnung. Die wird viele Stützen brauchen.


Bemerkungen:
1. Brown wants a ‚new world order’, BBC News 19.1.2007
2. Barack Obama’s New World Order, 3. April 09
3. France and Germany dare to challenge the US-British way 
4. America Agonistes
5. Vgl. Amity Shlaes, G-20: Ghosts of Conferences Past
6. S. die statistischen Vergleiche des Verlaufs der Krisen bei Berry Eichengreen und Kevin H. O’Rourke: A Tale of Two Depressions


 

Jeden Monat kommentiert Joscha Schmierer aktuelle außenpolitische Themen. Der Autor, freier Publizist, war von 1999 – 2007 Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amts. -> Alle Zwischenrufe zur Außenpolitik