Die Russinnen lernen, wie sie Männer manipulieren können. Doch diese Macht raffiniert nur die Frauenunterdrückung, meinen Experten.
An der Metalltür in einem Moskauer Hof weit vom Stadtzentrum entfernt hängt kein Schild. Im dunklen Kellerraum sitzen junge Frauen im Halbkreis und fixieren mit ihren Blicken den Bildschirm an der Wand. Dort läuft der Spielfilm „Italienische Verführung - School for Seduktion“. Das ist kein gewöhnlicher Kinoabend. Viele Frauen, die Röcke und Schuhe auf hohen Absätzen tragen, sind inkognito hier. In der Schule der Sterven lernen sie, wie sie Männer verführen und manipulieren können.
Für den russischen Begriff „Sterva“ gibt es viele Übersetzungen: Luder, Bitch, Femme fatale. „Sterva ist eine erfolgreiche, zielstrebige Frau, die immer bekommt, was sie will“, sagt der Gründer der Schule, Wladimir Rakowskij. Der 45-Jährige in Jeans und Lederjacke ist sich sicher: Eine kluge Frau, eine Sterva, kann einen Mann wie ein Küchengerät oder ein Auto steuern. Wie? Das lehrt er in verschiedenen Kursmodulen: „Selbst- und Männerwahrnehmung“, „Wie verliebe ich einen Mann in mich und führe eine harmonische Beziehung“, „Wie heirate ich erfolgreich einen würdigen Mann“. So heißen die Kursmodule in der Luderschule. Die Teilnahme an vier Abenden kostet im Durchschnitt 250 Euro. Um eine zertifizierte Sterva zu werden, muss man fünf Module absolvieren.
Die Kursteilnehmerin Anja hüpft in den dunklen Raum hinein und nimmt einen Platzt in der Reihe. Sie hat sich wegen ihrer Arbeit verspätet. Ein wichtiges Projekt wurde heute abgeschlossen. Das musste gefeiert werden. Doch die Filmanalyse in der Luderschule, die sie seit anderthalb Jahren besucht, wollte die Wirtschaftsprüferin trotzdem nicht verpassen. Die Schule hat ihr Leben verändert, sagt die 27-Jährige. „Jetzt kann ich einen passenden Schlüssel zu jedem Mann finden“, sagt Anja und klimpert mit ihren langen Wimpern.
Dieser Schlüssel heißt der geübte Rollenwechsel. Laut Rakowskij lassen sich alle Frauen in vier Typen einteilen: strenge Leiterinnen, sorgsame Mütter, brave Mädchen und schlaue Mädchen. Eine Frau könne einen Mann manipulieren, wenn sie zu bestimmter Zeit geschickt in die passende Rolle schlüpft. „Wenn ein Mann nach einer Gattin sucht, sollst du ihm nicht über deinen Erfolg bei der Arbeit erzählen, sondern darüber, dass du Kinder magst“, lehrt Rakowskij.
Auf dem Ausbildungsplan stehen auch: Catwalking, erotischer Tanz, Stilfindung. Diese Disziplinen unterrichtet die Frau von Rakowskij. „Wladimir erklärt, was man machen soll, um einen Mann zu manipulieren. Ich zeige, wie es geht“, sagt die 24-Jährige im Minirock.
Vor zwölf Jahren gründete Wladimir Rakowskij die Luderschule, die zum Erfolgsmodell wurde. Ihre Filialen wurden bereits in mehreren Städten Russland und der GUS-Ländern eröffnet. „Anfragen gibt es auch aus Deutschland“, sagt der studierte Psychologe. Die Verhandlungen über eine Filiale sollen bereits laufen. Genaueres will Rakowskij noch nicht verraten. Denn die Methode solle noch an die deutschen Rollenverhältnisse angepasst werden. „In Deutschland kümmern sich die Männer oft um die Beziehung, die Frauen sind dagegen zu emanzipiert“, weiß Rakowskij.
Die Unabhängigkeit erwarten die russischen Männer von ihren Partnerinnen am wenigsten, zeigte eine Umfrage des Allrussischen Zentrums für Meinungsforschung (VCIOM) vom Februar 2010. Nur zwei Prozent der befragten Männer schätzen diese Eigenschaft. Die meisten glauben, eine Frau muss äußerlich attraktiv (44 Prozent) und gute Hausfrau (49 Prozent) sein.
Das ist die erbarmungslose Statistik, die die Russinnen zur Männerjagd zwingt. Jedes Mädchen weiß aus einem bekannten sowjetischen Lied, dass es für zehn Mädels nur neun Jungs gebe. Die Realität sieht noch härter aus: 2008 gab es in Russland 16 Prozent Frauen mehr als Männer.
Das moderne Moskau bietet Hochkonjunktur. „In relativ kurzer Zeit entstand hier ein Klan von männlichen Top-Verdienern“, sagt die Soziologin Elena Kotschkina. Zehn Prozent Männer verdienen mehr als 15 Tausend US-Dollar monatlich, behauptet sie. Dabei gebe es einen Mangel an Frauen, die die soziale Rolle ihrer Begleiterinnen erfüllen können. Die Luderschule bediene diese „Marktnische“. Es gehe dabei nicht um elitären Prostituierten, sondern um Frauen, die ein Leben mit ganz anderem Einkommensniveau führen können. „Dafür reichen das Barbie-Aussehen und die Fremdsprachenkenntnisse nicht. Es bedarf einen Kopf“, setzt die Expertin für Genderfragen fort. Er müsse groß genug sein, um eine heraustragende Person eines Machos aufzunehmen. Nach Kotschkinas Meinung erlebe das Patriarchat in Russland heutzutage seine Renaissance. Durch die scheinbare Macht über Männer werde sie Frauenunterdrückung nur raffiniert.
Die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau – das war der Grund, warum Anjas Beziehung vor einem Jahr platzte. „Wir hatten eine Putzfrau, die unser Haus regelmäßig putzte. Aber mein Freund wollte, dass ich selber den Fußboden wische. Auch wenn ich erst um 21 Uhr zurück von der Arbeit kam“, erzählt sie. Anja trennte sich von ihrem Freund und begann regelmäßig die Luderschule zu besuchen. Die erste Frage des Trainers hieß: Willst du Blondine werden? Anja will eine Familie und ein eigenes Haus. Ihren Traummann beschreibt sie so: äußerlich Sean Connery, innerlich „ein richtiger Mann“. Durch die Luderschule hat sie noch keinen Mr Right, dafür aber sich selbst gefunden. Als sie sich mit hellen Locken im Spiegel sah, rief sie: „Das bin ich! Das ist meins!“
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