Ein Interview mit Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, über die Rolle des Marktes beim Klimaschutz, die größten Streitpunkte der verhandelnden Staaten und den UN-Klimagipfel 2011 in Südafrika.
Schon im Vorfeld waren die Erwartungen an eine substantielle Einigung in Cancún eher gering gewesen. Die Stimmung scheint sich mit der Weigerung Japans, einer zweiten Phase des Kyoto-Protokolls zuzustimmen, noch mal verschlechtert zu haben. Wie schätzen Sie den Stand der Dinge ein?
Die Stimmung ist besser als erwartet. Das liegt daran, dass die Erwartungen an den diesjährigen Klimagipfel so gering waren wie selten zuvor. Cancún könnte für Überraschungen noch gut sein. China zeigt Bewegung und will sich künftig in die Karten schauen lassen - es ist nun offener für eine Überprüfung seiner Selbstverpflichtungen bei der Reduktion von Treibhausgasen.
Immerhin fallen viele Länder - auch die USA - nicht hinter ihre Versprechungen von Kopenhagen zurück. Dennoch, auch wenn der Kopenhagen Blues verflogen scheint: Die Konflikte sind die gleichen wie noch vor einem Jahr. Es gibt viele Lippenbekenntnisse für das Ziel, die mittlere Erderwärmung möglichst unter zwei Grad zu halten, aber die seit Kopenhagen vorgelegten Selbstverpflichtungen, Treibhausgase zu reduzieren, sind damit nicht vereinbar.
Wenn es nicht bald zu drastischen Verpflichtungen kommt, landen wir bei einer Erderwärmung von drei, vier oder fünf Grad. Leider dominiert nicht diese Kernfrage die Verhandlungen. Vielmehr stehen juristische Fragen im Vordergrund. Welche rechtliche Form soll ein mögliches Abkommen ab 2012 haben, wenn das jetzige Kyoto-Protokoll ausläuft, das ausschließlich die Industrieländer zu Treibhausgasemissionen verpflichtet?
Hier liegen verschiedene Vorschläge auf dem Tisch. Soll man Kyoto einfach mit neuen Verpflichtungen fortschreiben und statt nur die Industrieländer auch die Schwellenländer mit einbeziehen? Nur Verpflichtungen für die Industrieländer und damit Kyoto in eine neue Periode überführen, das wollen Japan, Russland oder Kanada nicht. Oder zwei Protokolle? Als Fortschreibung des Kyoto-Protokolls, wie eben beschrieben, plus ein neues Protokoll, das für alle Länder gelten soll, aber auch Verpflichtungen zum Waldschutz oder zur Finanzierung festschreibt?
Auf welchen Gebieten gab es Fortschritte? Wo scheint eine Einigung möglich?
Es gibt bislang wenige bis keine Fortschritte. Neue Hoffnungen setzen viele auf den nächsten Gipfel 2011 in Südafrika. Wenn es dort nicht gelingen sollte, ein neues Abkommen für mehr Treibhausgasreduktionen zu verabschieden, werden sich die Hoffnungen auf 2012 richten, wenn in Brasilien der 20. Geburtstag des Rio-Erdgipfels von 1992 zelebriert wird. Für die UNO steht viel auf dem Spiel. Längst wird diskutiert, ob es nicht besser wäre, den Klimaschutz in anderen Foren zu diskutieren. Das ist vor allem für die ärmsten Länder oder die kleinen Inselstaaten, die vom Klimawandel stark betroffen sind, eine schlechte Nachricht, weil sie in kleineren Formaten wie dem neuen Zusammenschluss der Gruppe der G20 erst gar nicht mit am Tisch sitzen.
Was sind die größten Streitpunkte?
Neben den formalen Fragen und der Einbeziehung der Schwellenländer in Reduktionsziele ist einer der größten Streitpunkte die Finanzierung des Klimaschutzes. Wer zahlt wie viel wofür? Soll ein globaler Klimafonds unter dem Dach der Klimarahmenkonvention eingerichtet werden, oder soll vor allem die Weltbank vom Geldsegen profitieren, wenn dieser denn in größerem Stil eintrifft? Zu all diesen Schlüsselfragen gibt es noch immer keine Einigung.
Richtig zur Sache geht es bei der Frage, wer von dem Geld profitieren soll. Top-Thema ist, ob das Geld den vom Klimawandel am meisten Betroffenen – und damit Kleinbauern, Frauen, Indigenen – zu Gute kommen und prinzipiell für die Anpassung an den Klimawandel eingesetzt werden soll, oder ob es vor allem in den Energiesektor zur größtmöglichen Vermeidung von Treibhausgasen fließen soll. In dieser Frage sind auch die Entwicklungsländer untereinander heftig zerstritten.
Wer ist besonders vom Klimawandel betroffen und soll deshalb einen speziellen Zugang zu Mitteln aus den Klimafonds bekommen? Kriterien für die Klimafinanzierung, die sich an Menschenrechts- und Umweltstandards orientieren, gibt es leider bis heute noch nicht. Es wird viel über Quantität, aber wenig über die Qualität der Klimafinanzierung gestritten.
Emissionshandel, CDM, REDD - alles Instrumente, den Markt Umwelt- und Klimaschutz regulieren zu lassen? Kann das funktionieren? Was wären Alternativen?
Prinzipiell gilt: Marktmechanismen können im Klimaschutz wirksam und effektiv Ziele erreichen. Das wird aber nicht ausreichen. Es braucht ebenso das Ordnungsrecht und vor allem öffentliche Mittel. Für den Emissionshandel und für den sog. Clean Development Mechanismus (CDM) gilt: Sie brauchen dringend Reformen, wenn sie zielorientiert wirken sollen. Ob der Waldschutz durch öffentlich finanzierte Fonds gelingen kann oder über Marktmechanismen, das ist ein Konfliktthema in den Verhandlungen. Dabei wird der Waldschutz längst über solche Fonds etwa in Amazonien, im Kongobecken oder in Indonesien finanziert.
Es wäre ein Fortschritt, wenn endlich darüber diskutiert werden würde, mit welchen Instrumenten die Ziele am besten zu erreichen wären. Klar ist auch, dass der Markt und privatwirtschaftliche Akteure an manchen Investitionen schlicht kein Interesse haben. Anpassungsmaßnahmen, die armutsorientiert sein sollen, wie etwa Kleinbauern vor Bodenerosion oder gegen Überschwemmungen zu schützen, scheinen vielen Unternehmen wenig lukrativ....
Was wäre ein Erfolg, was ein Scheitern des Gipfels in Cancún?
Scheitern kann Cancún schon wegen der niedrigen Erwartungen nicht. Vielleicht ist der Gipfel gerade deshalb noch für eine Überraschung gut. Cancún dient dazu, verschiedene Interessen und Terrains abzustecken und maximale Positionen zu markieren. Es bleibt zu hoffen, dass es dann in Südafrika 2011 mehr Kompromissbereitschaft geben wird.
Schön wäre, wenn sich endlich neue Allianzen bilden würden zwischen denjenigen, die doch vorankommen wollen mit einem ambitionierten und fairen Klimaschutz. So wenig Europa seine Vorreiterrolle glaubwürdig ausfüllt, es ist immer noch besser als das nordamerikanische Verhalten. Die USA und Kanada sind große Bremser und China und Indien wollen nicht auf der globalen Ebene höher einsteigen mit ihren Reduktionsverpflichtungen, obwohl sie zu Hause viel besser aufgestellt sind als international. Es gäbe also Chancen für Bündnisse zwischen europäischen und den Inselstaaten, zwischen den neuen Vorreitern wie Südafrika und einigen lateinamerikanischen Ländern, auch das Gastgeberland Mexiko ist ambitioniert.
Das Interview führte Andreas Knobloch.