Bashar al-Assads Murmeltiertag

Friedliche Demonstration gegen die syrische Regierung am 4. Juni in einer Vorstadt von Homs. Foto: Ibn Dimashq Shaam News Network Lizenz: CC-BY-NC-SA Quelle: Flickr

10. August 2012
Bente Scheller
In dem amerikanischen Spielfilm “Und täglich grüßt das Murmeltier” durchlebt ein unsympathischer Egozentriker immer wieder den gleichen ihm verhassten Tag. Zunächst ist er genervt, aber betrachtet die ewige Wiederholung bald als einen Freibrief zum rücksichtslosen Handeln. Er wiegt sich in Sicherheit, dass er nicht zur Rechenschaft gezogen werden wird und sich daher auch nicht um die langfristigen Folgen seines Handelns kümmern muss.

Möglicherweise fühlt sich Bashar al-Assad genau wie der Protagonist des Spielfilms. In den letzten anderthalb Jahren hat es nicht einen Tag ohne landesweite Proteste gegen sein Regime gegeben. Von Anfang an hat er versucht, den Aufstand gewaltsam niederzuschlagen. Zuerst weniger offensichtlich, weil er im Lichte der internationalen Intervention in Libyen fürchtete, Syrien werde als nächstes an der Reihe sein. Seit der syrische Präsident verstanden hat, dass die divergierenden internationalen Interessen ihn vor einem Militärschlag schützen, macht er nicht mehr viel Federlesens.

Im oben erwähnten Spielfilm erkennt der Protagonist letztlich, dass er sein Verhalten ändern muss, um seine Wünsche zu verwirklichen und der Endlosschleife zu entrinnen. Assad hingegen versucht, die Realität mit Waffengewalt seinem Traum anzupassen, dem Traum vom Machterhalt. Doch wozu? Es ist offensichtlich, dass das Wohl der syrischen Bevölkerung ihn wenig kümmert. Wer Ende März 2011 seine kichernde Ansprache im syrischen Parlament verfolgte, konnte sehen, dass er die Anliegen der Demonstranten bereits zu diesem Zeitpunkt nicht ernst nahm. Während er wiederholt von “kleinen Gruppen (von außen unterstützter) Terroristen“ sprach, die angeblich zwischen friedlichen Demonstranten Deckung suchten, hat Assad nicht gezögert, einen allgemeinen Schießbefehl auf die Protestzüge zu erteilen.

Zu Beginn des Aufstands versuchte Assad sich in kosmetischen Reformen, ähnlich wie er bereits bei seiner Machtübernahme 2001 Reformen zugesagt hatte. Er hat jedoch, auch das ein altes Phänomen, wenig Engagement gezeigt, diese umzusetzen. Anfang Mai 2011 hob er nach 48 Jahren den Ausnahmezustand auf.  Was zu einem anderen Zeitpunkt ein spektakulärer Schritt gewesen wäre, erschien in diesem Kontext geradezu absurd, da die syrischen Sicherheitskräfte nun nicht mehr unter Notstandsgesetzen, sondern außerhalb jeglicher juristischer Grenzen zu handeln schienen.

Aufgabe des Gewaltmonopols

Die syrische Bevölkerung konnte zusehends beobachten, dass die Regierung sich an die Macht klammerte, obwohl sie beständig weniger gewillt schien, die damit einhergehenden Pflichten zu übernehmen. Die Regierung höhlte das Gewaltmonopol des Staates aus, in dem sie die Shabiha - mafiaartige bewaffnete Banden - förderte, und sie zu einer massiven irregulären Miliz päppelte. Ungeachtet dessen, dass die Regierung ausländische Drahtzieher für die Aufstände verantwortlich machte, hat die Präsenz der staatlichen Sicherheitskräfte vornehmlich in den Grenzregionen des Landes abgenommen. In Teilen des Nordens hat sie schon früh der PKK die Kontrolle überlassen, die im Austausch für die Unterstützung der syrischen Regierung dieser geholfen hat, die Revolution zu unterdrücken. Auch an allen anderen Grenzen – inklusive der israelischen – hat die syrische Regierung ihre Truppen ausgedünnt, um die Revolution im Landesinnern niederzuschlagen. Dabei geht es ihr vor allem darum, sicherzustellen, dass zumindest die beiden Metropolen Damaskus und Aleppo, nicht den Rebellen zufallen – selbst wenn das heißt, sie in Schutt und Asche zu verwandeln.

Die PKK und die Shabiha sind nicht vergleichbar, nicht in ihrer Entstehungsgeschichte, Zusammensetzung oder Zielsetzung – nur in einem gleichen sie sich: Beide bestehen überwiegend oder ausschließlich aus einer konfessionellen oder ethnischen Gruppe. Weil das Regime ihnen freie Hand gegen die Revolution lässt, schürt es allgemeine Aversionen gegen diese beiden Gruppen. Hinzu kommt im Falle der Shabiha, dass diese oft in ihrer eigenen Nachbarschaft oder in benachbarten Dörfern wüten, wie beispielsweise in Houla. Nicht nur, dass ihr Vorgehen meist noch brutaler als das der regulären Truppen ist, ihre Opfer kennen sie oft.

Das befördert den sozialen Verfall, eine Verrohung und die Eskalation der Gewalt. Leider ist das ein Thema, dessen sich die syrische Opposition nicht ausreichend annimmt. Bis jetzt mangelt es an detaillierten Plänen, wie die Opposition konfessionell oder ethnisch motivierte Gewalt in einer Übergangsperiode verhindern will. Ohne eine Garantie zum Schutz vor Racheakten, gibt es für Teile der Bevölkerung gute Gründe, nicht die Seiten zu wechseln.

Wie Padre Paolo, Gründer der christlichen Gemeinschaft des Klosters Mar Moussa und respektierter Unterstützer der Revolution sagt: “Die Frage ist: Wollen wir siegen oder wollen wir uns selbst verlieren? Wenn du deinem Feind keine überzeugenden Auswege aufzeigst und ihm stattdessen eine Schlacht auf Leben und Tod aufzwingst, wird er bis zum letzten Atemzug und ohne Rücksicht auf Verluste kämpfen.”

Friedliche Mehrheit in den Medien unsichtbar

Es ist gut, dass Menschenrechtsgruppen und Medien Menschenrechtsverletzungen beider Seiten dokumentieren. Man sollte hierbei nicht vergessen, dass es nicht die Opposition war, die auf eine militärische Auseinandersetzung gedrungen hat. Trotz der gewaltsamen Reaktion des Regimes sind die Proteste monatelang friedlich geblieben. Auch heute sterben die meisten bei Bombardements von Dörfern und Wohnvierteln durch die syrische Armee. Tausende sind verschwunden und verhaftet.  Wurden durch durch den Geheimdienst an Orte verbracht, von denen es meist keine Wiederkehr gibt. Auch das ist etwas, was die Wut vieler Syrer zusätzlich steigert. Viele Familien wissen bis heute nicht, was mit ihren 1982 verschwundenen Mitgliedern geschehen ist.

Die Debatte in den Medien ist dominiert von den gewaltbereiten Akteure der syrischen Revolution: wieviel und welche Unterstützung bekommen sie von außen und wie viele al-Qaida-Mitglieder sich möglicherweise unter ihnen? Dagegen bekommt die große Mehrheit derer, die friedlich einen Wandel fordert, kaum Aufmerksamkeit. Das sind die Menschen, die ihr Leben heute auf Demonstrationen riskieren - friedlich und unbewaffnet. Beachtlich ist, dass trotz des bedenklichen Ausmaßes der Gewalt die Zahl der Protestkundgebungen steigt. Leila Vignal schreibt in ihrer „Anatomie einer Revolution“: „Am 17. Juni 2011 gab es 51 Protestaktionen, […] am 6. Januar 2012 waren es 493 und am 1. Juni 2012 sogar 939.”

Statt sich mit deren Zukunftsvorstellungen zu befassen, wird – wie auch in den anderen arabischen Revolutionen – das Schreckgespenst des Islamismus an die Wand gemalt. Die Wahl eines moderaten Präsidenten in Libyen, ungeachtet der dort angeblich ebenfalls massiven Unterstützung der Islamisten durch Qatar, sollte Zweifel an dieser Art vereinfachender Voraussagen wecken.

Warum stürzt das Regime nicht?

Warum ist das syrische Regime noch nicht gestürzt, obwohl bereits mehrfach seit Ramadan 2011 eine „Entscheidungsschlacht“ prophezeit wurde? Einerseits sind da Russland und Iran als mächtige Verbündete Syriens. Sie tragen auf verschiedene Weise dazu bei, dass sich das Regime im Sattel hält.

Der wichtigste Grund ist jedoch die Angst. Viele Menschen in Syrien haben Angst vor einer unsicheren Zukunft. Es fällt ihnen schwer der syrischen Opposition Vertrauen entgegenzubringen, weil sie sehen, dass ihr einerseits Plan und Vision fehlen und andererseits Rivalitäten zwischen Parteien und Individuen ein gemeinsames Handeln verhindern. Gleichzeitig ist es jedoch auch die Angst vor dem derzeitigen Regime, die z.B. für die geringe Zahl von Überläufern in höheren Rängen verantwortlich ist.

Ein bitterer syrischer Witz aus der Zeit von Hafez al-Assad illustriert dies: “Der syrische, russische und amerikanische Präsident diskutieren in einem Flugzeug, wer die loyalsten Untergebenen hat. Sie beschließen, dass jeder von ihnen seinen Bodyguard auffordern wird, aus dem Flugzeug zu springen. Der amerikanische Bodyguard betont, dass er seinen Job sehr ernst nimmt, dass er aber auch Frau und Kinder habe, und sein Leben daher nicht sinnlos wegwerfen könne. Der Russe weigert sich ebenfalls unter Verweis auf seine Verpflichtungen gegenüber seiner Familie. Der Syrer springt - ohne mit der Wimper zu zucken. „Wieso?“ fragen die beiden anderen Präsidenten. Hafez lächelt kalt und sagt: „Er hat Frau und Kinder.“

Auch heute zeigt dieser alte Witz: Ohne eine befreite Zone wie in Libyen und mit begrenzten Möglichkeiten die eigene Familie in Sicherheit zu bringen, ist das Überlaufen keine leichte Entscheidung.

Der Anschlag, bei dem am 18. Juli wichtige Mitglieder der syrischen Sicherheitsinstitutionen starben, hat den inneren Kreis der syrischen Führung beträchtlich schrumpfen lassen. Assad hat zwar rasch Nachfolger benannt, wie jetzt auch im Fall des jüngst übergelaufenen Premierministers. Die Zahl derer, die für diese Positionen zur Verfügung stehen, die das Vertrauen Assads genießen und auch eine ausreichende Machtbasis in den jeweiligen Institutionen haben, schrumpft. Vielleicht reicht es, um sich noch eine Zeitlang über Wasser zu halten, aber nicht, um die Oberhand zu gewinnen. Für die syrische Bevölkerung ist genau das das Drama: je mehr Zeit vergeht, desto größer werden die gesellschaftlichen Verwerfungen.

Wenn man sich anschaut, wie Bashar al-Assad in der Krise agiert, scheint es, als habe er bereits akzeptiert, dass er nicht an der Macht bleiben wird. Das Ausmaß der Zerstörung, das Assad über Wirtschaft, Infrastruktur, Außenbeziehungen und die Gesellschaft gebracht hat, bedeutet eine schwere Bürde für jede künftige Regierung. Wer solch schwierige Bedingungen für einen Neuanfang schafft, rechnet nicht damit, dass er selbst noch dabei sein wird.
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Die Autorin Bente Scheller ist Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut, Libanon.

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