Japans Territorialkonflikte und die imperiale Vergangenheit

Wieder einmal belasten ungelöste Territorialfragen Japans Verhältnis zu seinen Nachbarländern Südkorea und China. Sowohl der dort vorherrschende Anti-Japanismus als auch die lauten Stimmen japanischer Nationalist/innen heizen die Konflikte an. Doch wie hoch ist die Gefahr militärischer Auseinandersetzungen wirklich? -> Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen über und aus Asien.

Wieder einmal belasten ungelöste Territorialfragen Japans das Verhältnis zu seinen asiatischen Nachbarn Südkorea und China. Nach einem Besuch des südkoreanischen Präsidenten Lee Myung Bak auf der von beiden Ländern beanspruchten, aber von Südkorea verwalteten Inselgruppe Dokdo (koreanisch) und Takeshima (japanisch) und der Forderung nach einer Entschuldigung für die japanischen Kriegsverbrechen durch den japanischen Kaiser gingen im Land die Emotionen hoch.

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Perspectives Asien ist eine Publikationsreihe, die einem deutschen und europäischen Publikum asiatische Perspektiven vorstellt, Analysen zu globalen Trends liefert sowie vertiefte Einblicke in die Entwicklungen und politischen Debatten in Asien gibt. 

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Noch im Juni planten Südkorea und Japan den Abschluss zweier Kooperationsabkommen, durch welche die Zusammenarbeit der Marine beider Länder und der USA entscheidend verbessert werden sollte. Nach Protesten aus der südkoreanischen Bevölkerung gegen diese Zusammenarbeit mit der einstigen Kolonialmacht wurde die Vertragsunterzeichnung kurzfristig abgesagt. Stattdessen ging Präsident Lee, der wegen Korruptionsvorwürfen gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Präsidialbürokratie und vor allem gegen seinen eigenen Bruder innenpolitisch unter Druck steht, in den Beziehungen zu Japan plötzlich auf Konfrontationskurs, um von seinen innenpolitischen Problemen abzulenken.

Nach Wochen gegenseitiger Anschuldigungen und der verweigerten Annahme diplomatischer Schreiben sind die Beziehungen zwischen den beiden Ländern nun auf dem tiefsten Punkt seit 2005, als Premierminister Junichiro Koizumi den Yasukuni Schrein besuchte und Japan den Seeuntergrund um die umstrittenen Inseln von Forschungsschiffen untersuchen lassen wollte. Nur der Verzicht auf diese Untersuchung verhinderte eine damals eine bewaffnete Konfrontation zur See.

Identitätsstiftender Anti-Japanismus

Der Dokdo/Takeshima Streit ist für Südkorea aber vor allem ein Streit um nationale Identität. Die Inselgruppe wurde 1905 von Japan vor der endgültigen Inbesitznahme Koreas 1910 besetzt, und für viele Koreaner ist der Anspruch Japans auf die Inselgruppe Ausdruck des nicht aufgegebenen Anspruchs Japans auf ganz Korea. Mit der politischen Realität hat das nicht viel zu tun, vielmehr damit, dass die Identität Koreas sich wesentlich im Widerstand gegen Japan herausgebildet hat. Die von Japan vorgeschlagene Einschaltung des internationalen Gerichtshofs in Den Haag lehnt Südkorea ab, weil es dort 1907 vergeblich gegen seine Annektierung durch Japan geklagt hatte (1).

Die Japan unterstellten imperialen Gelüste verkennen, dass der anfangs noch ungeliebte in der Verfassung festgeschriebene Pazifismus zu einem tief empfundenen Lebensgefühl der japanischen Gesellschaft geworden ist. Zwar verfügt Japan über hochmoderne Streitkräfte, aber der Paragraph 9 der japanischen Verfassung schränkt die Aktivität der japanischen Streitkräfte weit mehr ein, als dies in anderen Ländern der Fall ist.

Zudem ist Südkorea in Japan heute sehr beliebt. Japanerinnen und Japaner lieben koreanisches Essen, koreanische Popmusik und Fernsehdramas und neuerdings auch koreanische Kosmetik. Zwar dürfte die Mehrheit der Japanerinnen und Japaner Takeshima als zu Japan gehörig betrachten, aber die Inseln mit Gewalt zurückzuholen, wie von vielen Koreanerinnen und Koreanern unterstellt, erscheint im Land als völlig undenkbar. Südkorea ist gefangen in seinem Bild eines vergangenen Japan, weil der Anti-Japanismus Teil der koreanischen Identität geworden ist.

Kaum Zugeständnisse auf japanischer Seite

Ein großer Teil der politischen Klasse Japans hat es allerdings nicht verwunden, dass das Land die Inseln als Resultat der Niederlage des von Japan selbst begonnenen Kolonialkrieg verloren hat. Nach Kriegsende wurden die Inseln von den Alliierten an Korea übergeben allerdings mit dem Hinweis, dass die Besitzfrage noch geklärt werden müsse. Der vertragliche Verzicht auf die Inseln im Austausch gegen Fischereirechte in der Region würde helfen, das Verhältnis zu Südkorea auf eine vertrauensvollere Grundlage zu stellen.

Ein ebenso wichtiger Schritt wäre ein eindeutiges Eingeständnis in die Verbrechen des Kolonialregimes. Teile der politischen Klasse sind dazu bis heute nicht bereit. Japans Ex-Premier Shinzo Abe etwa äußerte sich über die Zwangsprostitution, in die viele Koreanerinnen gezwungen wurden, mit den Worten: „Ich entschuldige mich für die Situation, in der sich die Frauen selbst vorgefunden haben“ (2). Der in Japan äußerst populäre Bürgermeister von Osaka Toru Hashimoto, der das politische System Japans modernisieren will und den manche schon als nächsten Premierminister sehen, sagte gar, es gäbe keine Beweise für die Zwangsprostitution (3). Und von Premierminister Noda weiß man, dass er es für richtig hält, den Yasukuni Schrein, in dem der 14 First-Class-Kriegsverbrecher gedacht wird, zu besuchen. Nur das Wissen um die außenpolitischen Folgen hält ihn davon ab. Die politische Klasse Japans trägt so wesentlich zum gegenwärtigen Konflikt mit Südkorea bei. Sie ermöglicht es weiten Kreisen der koreanischen Öffentlichkeit am Feindbild eines noch immer imperialistischen Japan festzuhalten.

Konflikt mit China droht

Weit gefährlicher als der Inselstreit mit Südkorea ist allerdings der Konflikt um die Senkaku-Inseln (japanisch) Diaoyu (chinesisch) und Tiaoyutai (taiwanesisch, auch Taiwan erhebt Ansprüche), weil er wirklich das Potential zu einem militärischen Konflikt beinhaltet. Bei den Senkaku-Inseln werden reiche Gas- und Ölvorkommen vermutet, aber die Region ist auch eine Durchfahrtsregion für die chinesische Marine in den Pazifik. Im Pazifik, 1.000 km vom chinesischen Festland entfernt, will China seine sogenannte zweite maritime Verteidigungslinie für einen Konflikt mit den USA aufbauen. Die sich in japanischem Besitz befindlichen Senkaku-Inseln würden die Durchfahrt in den Pazifik im Konfliktfall erschweren. Der Konflikt um die Senkaku-Inseln ist daher auch Teil des Kampfes um die Vormacht in Ostasien zwischen China und den USA.

Seit Jahren kommt es in der Region zu sogenannten gefährlichen Begegnungen zwischen japanischen und chinesischen Kriegsschiffen, bei denen sich chinesische und japanische Schiffe und Hubschrauber gefährlich nahe kommen. Um seinerseits in der Region mehr präsent zu sein und letztlich zur Verteidigung der Senkaku-Inseln hat Japan im Frühjahr 2012 eine Revision seiner Verteidigungsstrategie beschlossen und Marineeinheiten, die im Norden Japans stationiert waren, in den Süden verlegt. China und Japan haben zudem den Bau neuer Küstenwachschiffe mit stärkerer Bewaffnung in Auftrag gegeben.

Chinesische Militärstrategen erörtern mittlerweile in Zeitschriftenbeiträgen, ob der Streit um den Besitz der Senkaku Inseln nicht zu kurz greift, ob China nicht auch die Eigentümerschaft der benachbarten Ryukyu Inseln und Okinawa beanspruchen solle, die angeblich ehemals zu China gehört hätten (4). Die militärstrategische Bedeutung der Inseln und das von China dringend benötigte Gas und Öl der Region verbinden sich mit einer hochemotionalisierten anti-japanischen Stimmung, die in Japan immer noch dessen kriegerischen Imperialismus an der Macht sieht. Anders als gegenüber Südkorea gibt es in Japan zudem auch in der Bevölkerung massive Vorbehalte gegenüber China.

Auf Eskalation muss Deeskalation folgen

Das versucht der rechtsradikale Gouverneur von Tokyo, Shintaro Ishihara auszunutzen. Ishihara strebt die Restituierung eines starken, von den USA unabhängigen Japan an und sieht im mächtiger werdenden China vor allem eine Rivalen sieht, den es in die Schranken zu weisen gilt. Seine Absicht, drei der Senkaku-Inseln zu kaufen, löste in China sofort eine Protestwelle aus (5). Eine Gruppe Chinesen aus Hongkong besetzte im Juli die Inseln für mehrere Stunden, bis sie von der japanischen Küstenwache festgenommen und nach China zurückgeschickt wurden. Proteste gegen Japan im Internet und auf der Straße waren die Folge.

Auf die chinesische Besetzung einer der Inseln folgte eine Besetzung durch japanische Nationalist/innen, hinter denen Ishihara steht. Im Oktober will Ishihara selbst an einer Inselbesetzung teilnehmen und sich dann gerne von der Küstenwache verhaften lassen (6). Er spekuliert auf die anti-chinesischen Ressentiments in der japanischen Bevölkerung. In der Konfrontation soll Japan sich wieder als Großmacht erschaffen. Auch die chinesischen Besetzer wollen nächstes Jahr wieder auf die Inseln zurückkehren, aber dies wird wohl davon abhängen, ob die neue chinesische Führung dies zulassen wird. China versucht, den Konflikt nicht ausufern zu lassen.

Auch die japanische Regierung gebraucht im Vergleich zum Konflikt mit Südkorea gegenüber China weniger drastische Worte. Trotzdem besteht die Gefahr, dass beide Regierungen von nationalistischen Gruppierungen in eine militärische Konfrontation hineingetrieben werden. Im Falle Japans ist dies vor allem deshalb der Fall, weil die Regierung Noda angesichts einer baldigen Wahl auf konservative Stimmen schielt und den rechtsradikalen Ishihara deshalb nicht klar genug in die Schranken weist. Auch hier gilt, dass Japan dem chinesischen Nationalismus nur dann den Wind aus den Segeln nehmen kann, wenn es sich zu den Fehlern seiner Geschichte bekennt und sich klar gegen Ishihara stellt.

Japan darf sich zudem nicht darauf versteifen, die Inseln zum unverhandelbaren Eigentum zu erklären, auch wenn China seine Ansprüche erst nach Bekanntwerden der Gas- und Ölvorkommen in den siebziger Jahre formuliert hat, Japan die Inseln aber schon 1895 in Besitz genommen hat. Japan muss vielmehr mit China über die Inseln ins Gespräch kommen. Bezeichnenderweise haben das in letzter Zeit bereits mehrere japanische Diplomaten im Ruhestand betont (7). Sonst droht spätestens dann, wenn China seine Marine weiter aufgerüstet haben wird, ein größerer Konflikt.


Siegfried Knittel ist freier Journalist und lebt in Tokio.

Fußnoten:

(1) Zu den geschichtlichen Fakten des Artikels siehe Josef Kreiner (Hrg.). Geschichte Japans. 2012 Philipp Reclam Verlag, Leipzig
(2) Japans Comfort Women Past, Present and Future. In: Japan Daily Press v. 25.8.2012
(3) No evidence sex slaves were taken by military: Hashimoto. In: Japan Times v. 22.8.2012
(4) Chinese nationalists eye Okinawa. In: Financial Times v. 13.7.2012
(5) Diaoyu Islands can never be up for sale. In: Global Times v. 18.4.2012
(6) Ishihara also seeking October Senkaku trip. In: Japan Times v. 26.8.2012
(7) Interview - Kazuhiko Togo: Japan should talk on the Senkaku Islands squarely. In: Asahi Shimbun v. 20.08.2012