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Abgesang auf den Europäischen Emissionshandel

Lesedauer: 5 Minuten

Der Europäische Emissionshandel (ETS) steckt tief in der Krise. Eigentlich sollte der Handel mit den Verschmutzungszertifikaten das Klima schützen und Unternehmen verpflichten, für jede ausgestoßene Tonne Kohlendioxid die entsprechenden Emissionsrechte zu kaufen. Die Gesamtmenge der Emissionen wiederum wird durch politisch gesetzte Zielvorgaben („Cap“) begrenzt. Doch ein Überschuss an Zertifikaten sorgt dafür, dass Verschmutzen billig bleibt – und stellt die Glaubwürdigkeit des zentralen Instruments europäischer Klimapolitik in Frage.

Die Europäische Kommission legte deshalb einen Vorschlag zur Reform des Europäischen Emissionshandels (ETS) vor: Das sogenannte Backloading sieht vor, die Auktion von 900 Millionen Zertifikaten für die Jahre 2013-2015 zunächst zurückzuhalten, um sie erst 2019-2020 einzuspeisen und so das Angebot künstlich zu verknappen. Das sollte die Preise stabilisieren und ein erster Schritt hin zu strukturellen Reformen sein. Doch das Europäische Parlament erteilte dem Backloading-Vorschlag am 16. April eine Absage und sendete damit regelrechte Schockwellen durch die Klima-Community. Nun ist eine Reform auf diesem Wege erstmal vom Tisch.

Viele der jetzt so sichtbaren Schwächen liegen im Design des ETS und sind struktureller Natur. Aufgrund der Wirtschaftskrise sind die Emissionen weit niedriger, als bei der Festlegung der Obergrenzen für 2013 bis 2020 erwartet wurde. Unternehmen können sich dank Preisverfall, großzügig und zudem gratis zugeteilten Zertifikaten und billiger Kompensationsmöglichkeiten im Rahmen des Clean Development Mechanism (CDM) sehr günstig eindecken. Die Nachfrage liegt bis 2020 fast bei Null. So machen Klimasünder Rekordgewinne, werden neue Kohlekraftwerke gebaut und klimaschutzwirksame Maßnahmen wie Energieeffizienz und Förderung von Erneuerbaren Energien gegenüber dem ETS marginalisiert.

Tatsächlich strukturelle Reformen, die den Preis mittelfristig auf ein annehmbares Niveau heben würden und die richtigen Investitionsreize geben (beispielsweise das Stilllegen von 2 Mrd. CO2-Zertifikate), würden eine Änderung der EU-Emissionshandelsrichtlinie erfordern. Ein entsprechender Entwurf müsste bis zum Frühsommer von der EU-Kommission vorgelegt werden, um ihn vor der Europawahl 2014 durch Parlament und Rat zu bekommen. Die aktuellen politischen Dynamiken lassen das als sehr unrealistisch erscheinen.

Zu alledem haben "Marktmacher" wie die Deutsche Bank, Morgan Stanley, Credit Agricole oder Barclays ihre CO2 Handelsabteilungen geschlossen oder deutlich verkleinert. Angesichts der aktuellen und absehbaren Preissituation lassen sich für sie keine Gewinne mehr erzielen. 

Nun überbieten sich die NGOs mit Schelten von Rösler, Merkel und Co. Zurecht. Es ist ein schlechtes Zeugnis für die europäische Klimapolitik, dass es noch nicht einmal gelingt, eine solche Schönheits-OP am Emissionshandel vorzunehmen. Und es ist auch richtig, dass wir dies der starken Lobby von BASF, RWE, Business Europe und anderen zu verdanken haben.

Reform als kleineres Übel

Interessante Einblicke in die Interessen und Taktik eines Konzerns wie Shell (der gemeinsam mit E.ON und anderen übrigens öffentlich stark für das Backloading geworben hat), gab dabei letzte Woche David Hone, Shell’s Senior Berater für Klimawandel, bei einer internationalen Konferenz der Bundesregierung zur Zukunft des Emissionshandels global: Shell unterstützt die Reform des ETS, weil die Alternativen wie verbindliche Regulierungen aller Kraftwerke und Einrichtungen mit dem Ziel des Ausstiegs aus den Fossilen aus Sicht des Konzerns in jedem Fall schlimmer wäre. Das Problem mit dem ETS, so Hone, sei nicht der Preis oder das Überangebot (Wie auch? Shell und andere verdienen ja mächtig daran und wollen das auch in Zukunft tun), sondern die Tatsache, dass es neben dem ETS noch andere Politiken und Ziele gibt (Erneuerbare Energien / Einspeisevergütung, Effizienzrichtlinie usw.). Ziel müsse es doch sein, dass es nur noch ein Ziel und ein Instrument gibt und der Markt dann den Energiemix bestimmt. Aus Sicht von Shell heißt das vor allem - die Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS).

Und hier ist sich Shell dann auch mit dem europäischen Arbeitgeberverband Business Europe einig: Der ETS liegt am Boden. Jetzt geht es darum, dafür zu sorgen, dass die EU-Klimapolitik für 2030 ganz im Sinne der Öl-, Chemie- und Agrarlobby gestaltet wird: Erneuerbare-Energien-Einspeisevergütung kippen, CCS-salonfähig machen, Einstieg in Schiefergas und in der Zwischenzeit dafür sorgen, dass neue Kohlekraftwerke (und außerhalb Deutschlands auch Atomkraftwerke) gebaut werden.

Immerhin – so könnte man es positiv sehen – haben wir jetzt die Debatte, die wir brauchen: Wie soll eine effektive, zukunftsfähige und gerechte Klima- und Energiepolitik der EU aussehen?

Mit ihrem Aufruf Scrap the ETS ("Den Europäischen Emissionshandel in die Tonne kloppen") hat eine internationale zivilgesellschaftliche Koalition dabei vor einigen Wochen für einen großen Aufschrei bei den etablierten Umweltverbänden und NGOs gesorgt. Den Aufruf haben inzwischen über 120 Organisationen, Netzwerken und Bewegungen weltweit unterzeichnet und einigen von ihnen mischen sich nun auch konkret in den politischen Prozess in Brüssel ein.

Ihr Argument: Alternativen zum ETS liegen auf der Hand - Einspeisevergütung für Erneuerbare Energien, Effizienzrichtlinie - und warum nicht auch ein verbindlicher Ausstieg aus der Kohle analog Atomausstieg? Die EU ist klimapolitisch ohne den ETS weder ein unbeschriebenes Blatt noch blank. Aber der Druck, den die fossile Lobby sowie die Automobilindustrie, Chemiebranche, Agrarsektor und andere auf die Gestaltung europäischer Klima- und Energiepolitik ausüben, ist deutlich spürbar. Wichtig ist zu klären, mit welchen politischen Instrumenten wir diese Übergriffe am besten abwehren und wichtige demokratische Gestaltungsspielräume wiedergewinnen können.

Die Ablehnung des Backloading war ein kleiner Vorgeschmack auf die Art der Auseinandersetzungen, die uns in den nächsten Monaten und Jahren bevorstehen. Es wäre wünschenswert, dass wir uns anlässlich solcher Entscheidungen zugestehen, über einen grundsätzlichen Richtungswechsel - politisch und hinsichtlich einer zivilgesellschaftlichen Strategie - nachzudenken und die Argumente der ETS-Kritiker/innen dabei ernst nehmen. Denn Irrwege können wir uns angesichts des Ernsts der Lage schlichtweg nicht mehr leisten. 


Lili Fuhr ist Referentin Internationale Umweltpolitik der Heinrich-Böll-Stiftung

Der Artikel wurde ursprünglich in Form zweiter Postings auf unserem Blog Klima der Gerechtigkeit publiziert.