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Ich habe überlebt. Darf ich schweigen? - Ein Projekt zur Erinnerung an Srebrenica

Srebrenica ist zur Chiffre des Bosnienkrieges geworden. Und es bleibt das Menetekel der internationalen Politik, die dem Morden in Europa am Ende des 20. Jahrhunderts tatenlos zusah. Auch in diesem Jahr wurden am 11. Juli, dem Srebrenica-Gedenktag, in Potočari 409 seit dem letzten Jahr identifizierte Opfer beigesetzt, das Jüngste wurde am ersten Tag des Genozids geboren und getötet.



Der Krieg wirkt bis heute nach: In einer Staatsstruktur – gegründet durch den Daytoner Friedensvertrag, der zugleich eine Verfassung für das durch den Krieg aufgeteilte Bosnien und Herzegowina enthielt. Sie gibt nationalistischen, ethnisch orientierten Politikern die Möglichkeit, jegliche Veränderung zu blockieren und den Status quo, der ihre Macht sichert, auf ewig zu erhalten. Darum ist Bosnien und Herzegowina auf dem Weg der EU-Annäherung hinter den Ländern, die Kriegs- und Friedensvertragsparteien waren, weit zurück geblieben. Vom Beitritt, den Kroatien in diesem Juli vollzog, und vom Kandidatenstatus, der Serbien zuerkannt wird, ist Bosnien noch Lichtjahre entfernt.



Der Kriegt wirkt aber auch in den Menschen nach: In jenen, die den Krieg im Land unmittelbar erlebten, die Belagerung, Vertreibung, Lager, Folter, Vergewaltigung ertrugen. Und in denen, die wegen des Krieges flohen und in Ländern wie Deutschland Asyl fanden. Eine von ihnen ist Jasmina Hadžiahmetović, Initiatorin und Regisseurin des Stücks „Erwartung_Nada“. Die Heinrich Böll Stiftung kooperierte mit ihr und organisierte begleitende Publikumsgespräche. Dazu lud sie Gäste aus Bosnien-Herzegowina, Kroatien und aus Serbien ein. In den Diskussionen im Anschluss an jede der drei Aufführungen ging es um den Hintergrund des Stücks und die Beweggründe der Macher/innen, den Versuch einer historischen Einordnung der Geschehnisse und ihre aktuelle Aufarbeitung und schließlich um die Frage, wie Bosnien-Herzegowina in Zukunft aussehen soll und was junge Leute aus dem Land dafür tun und tun können. 

Besonders beeindruckend war der Auftritt der Rechtsanwältin Jadranka Cigelj aus Zagreb, die in „Appartment 102 Omarska. Ein Zeitzeugnis“ ihre eigene Gewalterfahrung verarbeitete. (Textteile aus diesem Buch wie aus dem Augenzeugenbericht des Srebrenica-Überlebenden Emir Suljagić wurden in dem Theaterstück dramatisiert.)

Eingeladen von der Stiftung war auch eine Journalistin aus Novi Sad (Serbien). Sie sprach darüber, wie geteilt der Blick der serbischen Gesellschaft auf die Kriegsereignisse und die politische Verantwortung der damaligen serbischen Führung noch immer ist. Und sie schrieb für serbische Medien einen Bericht über die Tage in Berlin, den wir in deutscher Übersetzung hier zugänglich machen möchten.



Die jüngeren Aktivist/innen aus Bosnien-Herzegowina, die nach der dritten und letzten Aufführung mit dem Publikum ins Gespräch kamen, setzen sich auf unterschiedliche Art und Weise dafür ein, die Blockaden im Land zu überwinden und der Apathie und Hoffnungslosigkeit vieler Bürger/innen neue Ideen und Aktionen entgegen zu setzen. Dražana Lepir aus Banja Luka (Entität Republika Srpska) ist dabei besonderen Anfeindungen ausgesetzt, selbst wenn sie sich mit ihrer NGO nur für die Erhaltung eines Stücks Park in der Innenstadt einsetzt. Jede Art von Bürgerinitiative stößt bei Politik und Verwaltung in der Republika Srpska auf größtes Misstrauen, könnte es doch den mühsam aufrecht erhaltenen Eindruck der politischen Normalität beschädigen.



Nihad Kresevljaković, Leiter des SARTR (Sarajevo War Theater) und Regisseur des Films „Do you remember Sarajevo?“ ist engagiert, um dem Verschweigen, Verzerren und Verdrängen der Wahrheit Fakten entgegen zu setzen. Seit kurzem tut er das auch in der von ehemaligen Kriegsreportern, Forscher/innen und Künstler/innen gegründeten Stiftung WARM Foundation – diese Abkürzung steht für War, Art, Reporting, Memories.



Alma Mašić aus Zenica und Saša Gavrić vom Sarajevo Open Center arbeiten in ihren Organisationen vor allem mit jungen Leuten. Sie bringen ihnen außerhalb des formalen Bildungssystems universelle Werte nahe in einer Gesellschaft, in der die ethnische Segregation inzwischen so weit vorangeschritten ist, dass in den Schulbüchern drei verschiedene Geschichte(n) gelehrt werden.



Inzwischen haben sich in ganz Bosnien-Herzegowina Bürgerinitiativen, NGOs und Einzelpersonen zur Koalition „Jednakost / Equality“ zusammengeschlossen und kämpfen gegen die Diskriminierung jener, die sich nicht ethnisch zuordnen lassen möchten, sondern sich als bosnische Staatsbürger/innen definieren. Darüber hinaus fordert die Koalition eine Reform der Dayton-Verfassung, um auf dem „Weg nach Europa“ endlich voran zu kommen.