Über Doping. Sport als Spiegel der Gesellschaft.

sport doping

Eröffnung der gemeinsamen Tagung der Doping-Opfer-Hilfe und der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, 21. Januar 2014

Herzlich Willkommen in der Heinrich-Böll-Stiftung zum Symposium,

„Von Glanz und Risiken. Elitekörper in Deutschland, Schadensbilanz und Prognose". Ich freue mich, dass eine so illustre Schar von Spitzensportlerinnen, Wissenschaftlern, Abgeordneten und Journalisten den Weg hierher gefunden hat.

Anlass für diese Tagung ist die Verleihung der Heidi-Krieger-Medaille - weltweit die einzige Auszeichnung für das Engagement gegen Doping-Missbrauch – an Prof. Dr. Werner Franke, den ich schon vorab ganz herzlich begrüßen möchte. Lieber Herr Franke: Es geht Ihnen ein Ruf wie Donnerhall voraus, und ich bin sicher, dass Sie ihm auch heute wieder alle Ehre machen werden.

Die Rolle der Heinrich Böll-Stiftung bei dieser Veranstaltung ist die eines Kooperationspartners und Gastgebers. Die Lorbeeren für Idee und Konzeption gebühren ganz und gar dem Verein Doping-Opfer-Hilfe mit seiner Vorsitzenden Ines Geipel – eine engagierte Intellektuelle im besten Sinn. Vielen Dank für die freundschaftliche, unkomplizierte Zusammenarbeit!

Als Ines Geipel im letzten Jahr anklopfte, um mich für die Unterstützung dieses Projekts zu erwärmen, kamen wir schnell ins Gespräch. Doping und Leistungssport ist für die Böll-Stiftung ein ungewohntes Thema, wir haben da wenig Eigenkompetenz. Dennoch gibt es ein paar verbindende Stränge:

Doping ist, erstens, eine Frage der Menschenrechte. Die systematische, oft jahrelange Verabreichung von Steroiden, Stimulantien, Psychopharmaka ist ein massiver Eingriff in die physische und psychische Integrität der Athleten. Wir reden hier über Praktiken, die in vielen Fällen zerstörte Körper und zerrüttete Seelen hinterlassen. Spektakuläre Todesfälle von aktiven Sportlerinnen und Sportlern sind nur die Spitze eines Eisbergs von Langzeitschäden und erhöhter Mortalität. Organisiertes Doping, bei dem Sportler offen oder subtil zum Mitmachen genötigt werden, ist Körperverletzung und Missbrauch von Abhängigen.

Die Auseinandersetzung mit dem Dopingsystem in der DDR ist, zweitens, ein erhellendes Element der historischen Aufarbeitung. Wir wissen längst, auch dank der hartnäckigen Aufklärungsarbeit von Prof. Franke, dass auch der Sport in der alten Bundesrepublik (West) alles andere als eine heile Welt war. Auch im Westen gab es systematisches, wissenschaftlich angeleitetes Doping. Dennoch sollte man die spezifische Differenz zum staatlich organisierten Zwangsdoping in Ostdeutschland nicht verwischen.

Ines Geipel hat die enge Verflechtung von Politik, Staatssicherheit und Doping in ihrer Aussage vor der Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung der Folgen der SED-Diktatur im Land Brandenburg" am Fall der Leichtathletin Birgit Uibel offengelegt. Es ist die exemplarische Geschichte einer jungen Frau, deren Leben durch das DDR-Dopingsystem ruiniert wurde - eine tief traurige und empörende Geschichte. Empörend auch, weil sie verdeutlicht, wie viele Sportfunktionäre, Mediziner und Trainer informelle Mitarbeiter der Staatssicherheit waren – und wie diese Seilschaften sich über die Wende hinweg erhalten haben.

Doping im Sport ist, drittens, ein Spiegel der modernen Wettbewerbs- und Leistungsgesellschaft. Es gibt auch jenseits von staatlich organisiertem Zwangsdoping mächtige Triebkräfte für die biochemische Selbst-Manipulation:

  • Der Ehrgeiz der Sportler selbst, der unbedingte Wille zu Erfolg und Ruhm, der dazu verführt, die eigene Leistungsfähigkeit mit medizinischen Mitteln zu steigern
  • Der Erwartungsdruck der Öffentlichkeit, die Siege und Medaillen sehen will
  • Die Ausrichtung der Sportförderung an Spitzenleistungen und Medaillen
  • Die zunehmende Kommerzialisierung des Sports, die Jagd nach Sponsorengeldern, Werbeverträgen, Siegprämien und hoch dotierten Profiverträgen, die an permanente Hochleistungen gekoppelt sind.

Es ist eben nicht nur äußerer Zwang, der Athleten dazu bringt, zu leistungssteigernden Stimulantien zu greifen. Das Streben nach Selbstoptimierung, zur Erweiterung der Leistungsgrenzen, die durch Talent und Physis vorgegeben sind, ist tief in unserer Kultur verankert. Es findet sich auch im Motto der olympischen Spiele: citius, altius, fortius – schneller, höher, stärker. Es geht um permanente Steigerung. Dazu gehört auch die Bereitschaft, Risiken für die eigene Gesundheit einzugehen. Sie ist dem Leistungssport immanent, auch diesseits des Dopings.

Hochleistungssport hat ja nichts mit Gesundheit zu tun. Es geht darum, das Maximum aus sich herauszuholen. Das hat der Sport mit anderen Sphären gemeinsam, in denen es um „High Performance" geht: Rockmusik, Börsenspekulation, Politik, Topmanagement. In all diesen Berufen ist Drogengebrauch weit verbreitet: Aufputschmittel und Tranquilizer, Alkohol, Kokain. Wo sind die Grenzen zu ziehen zwischen dem akzeptiertem und dem verbotenen Gebrauch leistungssteigernder Substanzen? Die Antwort darauf fällt leicht, wenn es um Doping von Kindern und Jugendlichen geht: das ist ein Verbrechen, Punkt. Auch wird kaum jemand offen widersprechen, dass die Ausübung von Druck durch Trainer und Funktionäre verwerflich ist.

Weniger eindeutig ist die Antwort, wenn sich erwachsene Menschen in vollem Bewusstsein der Risiken für den Einsatz leistungssteigernder Substanzen entscheiden. Dagegen kann man mit guten Gründen argumentieren, dass Doping gegen das Fairnessgebot im Sport verstößt. Wer Doping toleriert, setzt faktisch eine Aufrüstungsspirale in Gang, der sich niemand entziehen kann, der vorne mitmischen will. Man kann sich dann nur noch entscheiden, mitzumachen oder auszusteigen. Damit wird faktisch ein Systemzwang zum Doping erzeugt, der den Sport zu einer Monsterveranstaltung macht. Der Radsport hat das vorexerziert.

Am Ende geht es um ethische Grundfragen unserer Gesellschaft: wollen wir den Erfolg um jeden Preis? Sind wir bereit, unsere körperliche und seelische Integrität aufs Spiel zu setzen, um ganz nach vorn oder ganz nach oben zu kommen? Ist die biochemische und im nächsten Schritt die genetische Manipulation von Athleten vereinbar mit unserer Vorstellung von Menschenwürde? Die Auseinandersetzung um Doping führt weit über den Sport hinaus. Es geht um unser Menschenbild und die Normen, die unser Zusammenleben prägen. Auch deshalb passt diese Veranstaltung sehr gut in unser Haus.

Ich wünsche uns allen gutes Gelingen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Eröffnung: Glanz und Risiken - Heinrich-Böll-Stiftung

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