Die wahren Herren von Rio

Maracanã-Stadion
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Das traditionsreiche Stadion Maracanã wurde für eine Milliardensumme von zwei der grössten Bauunternehmen Brasiliens renoviert. Die Baumogule schufen ein System aus kartellähnlichen Absprachen, manipulierten Ausschreibungen und überhöhten Kostenrechnungen

Zerfurcht von dutzenden von Baustellen und urbanen Großprojekten, befindet sich Rio dieser Tage in einem Spiel mit gezinkten Karten, bei dem einige wenige Unternehmen und Politiker außerordentlich hohe Gewinne einstreichen. Der Verlierer ist die Bevölkerung. Die Wirtschaft verteilt in diesem Spiel nicht nur die Karten – die Karten gehören ihr mittlerweile. Sie bestimmt die Regeln eines Spiels, dessen Bank durch öffentliche Gelder gesichert ist.

Was als erstes auffällt: In diesem Spiel mischt nur eine sehr kleine Anzahl sehr großer Spieler mit. Hier ragen vier große Baufirmen, oder die "Vier Schwestern", wie beim Erdölkartell der siebziger Jahre, hervor: Odebrecht, Andrade Gutierrez, OAS und Camargo Correa. Diese Firmen sind – häufig in gemeinsamen Konsortien – an allen zwanzig größten Bauunternehmungen Rios, hauptsächlich Verkehrsprojekten, beteiligt.

Weitere Unternehmensgruppen verdienen in Rio an dieser Politik: die X-Gruppe des Unternehmers Eike Batista, heute am Rande der Pleite; der Konzern Rede Globo (Fernseh- und Radiostationen); weitere Bauunternehmen wie Queiroz Galvão, Brookfield, Cyrela, Rossi, Carvalho Hosken, João Fortes, Carioca Nielsen und Delta. Nach demselben Schema laufen im Rahmen der Fußball-WM und der Olympischen Spiele (organisiert vom "Rio 2016"-Konsortium) auch eine Reihe anderer Projekte ab: ein System zur Überwachung des öffentlichen Raumes mit Kameras und anderen Technologien; eine Müllwiederaufbereitungsanlage; Flutschutzmaßnahmen; Haussanierungen in Favelas und das Aufstellen von Freizeit- und Sportgeräten im öffentlichen Raum.

Die folgende Tabelle zeigt die direkte und indirekte Beteiligung der vier Großunternehmen an den verschiedenen Projekten. Ihre Rolle ist jeweils mit L (leitet das Projekt) und/oder B (beteiligt an Teilen des Projekts) ausgewiesen.

   Odebrecht  OAS  Camargo Correa  Andrade Guitierrez
Städtische Mobilität
Linha Amarela (Strassenbau)   L/B    
Metrô Rio (U-Bahn) B L/B B  
Nova Dutra (Strassenbau)     L L
Via Loagos (Strassenbau)     L L
Ponte Rio-Niterói (Brücke)     L L
Barcas S/A (Fährbetrieb)     L L
VLT (Strassenbahn in Rios Innenstadt) B B B B
SuperVia (Bahnstrecke) B      
Arco Metropolitano (Strassenbau) B B B B
Transolímpica (Strassenbau) L/B L/B L/B L/B
Transcarioca (Strassenbau)   B   B
Rio-Teresópolis (Strassenbau)   L    
Permetral/Via Binário (Strassenbau) B B    
Stadien und Sportstätten
Estádio Maracanã (Fußballstadion) L/B     B
Vila Olímpico (Olympiapark) L/B     L/B
Porto Maravilha (Hafensanierung) L/B L/B    
Estádio Engenhao (Fußballstadion) B B    
Häusersanierung in Favelas
PAC Manguinhos       B
PAC Complexo do Alemão B      
Teleférico do Complexo do Alemão
(Seilbahn in Favela)
L/B B      

Die massive Präsenz der vier Unternehmen bei den wichtigsten Bauunternehmungen Rios ist also offensichtlich. Auffällig ist daneben, dass diese führenden Baufirmen oft zusammen an großen Verkehrsprojekten arbeiten. Das gilt etwa für die Umgehungsstraße Arco Metropolitano und die Schnellstraße Transolímpica. Diese Verkehrswege verbinden den äußeren Westen Rios, wo der Olympiapark gebaut wird, mit dem strandnahen Stadtteil Barra da Tijuca, der Hochburg der Immobilienspekulation Rios, sowie der verkehrsreichen Avenida Brasil im Norden der Stadt. In diesem Fall läuft die Zusammenarbeit über das Konsortium Rio Olímpico, einem Zusammenschluss der Firmen Odebrecht, Invepar (OAS), die auch MetrôRio kontrolliert, und CCR (Andrade Gutierrez und Camargo Correa), die ihrerseits Nova Dutra, Via Lagos, die Brücke Rio-Niterói und die Fähren der Barcas SA kontrollieren. Alle "Vier Schwestern" sind auch am Konsortium für das Straßenbahnprojekt VLT Carioca beteiligt. Die Transcarioca Schnellstraße haben sich OAS und Andrade Gutierrez so aufgeteilt, dass jeweils eine Firma einen Abschnitt baut.

Obwohl diese Firmen ganz offensichtlich zusammenarbeiten oder sogar als Konsortium agieren, treten sie auch bei einigen öffentlichen Ausschreibungen offiziell gegeneinander an. Während OAS und Odebrecht das Konsortium Porto Novo bilden, das für Bauarbeiten und Dienste in der Hafenregion von Rio verantwortlich ist, bewarben sich beide Firmen getrennt bei der Ausschreibung für den Betrieb des Maracanã. Das traditionsreiche Stadion war zuvor für eine Milliardensumme von Odebrecht in Zusammenarbeit mit Andrade Gutierrez renoviert wurde.

Odebrecht und die Firma IMX gewannen die Ausschreibung. Das rief Rios Staatsanwaltschaft auf den Plan. Denn zum einen war IMX schon mit der Machbarkeitsstudie für das Projekt betraut worden und hatte daher einen Informationsvorsprung gegenüber den Konkurrenten. Und zum anderen hätte nach Auffassung der Staatsanwälte die Stadt nicht zusätzlich die Bewirtschaftung der Umgebung des Stadions in die Ausschreibung einbeziehen dürfen, da allein das Stadion schon Profit abwerfen wird. So aber erhöhe sich der tatsächliche Wert der Lizenz von 1,6 Millionen Euro auf  9,7 Millionen Euro pro Jahr.

Falsches Spiel der "Vier Schwestern"

Am 18. März 2010 veröffentlichte die Tageszeitung Folha de São Paulo einen Artikel, der auf offensichtliche Unregelmäßigkeiten bei der Ausschreibung für das staatliche Investitionsprogramm zur Beschleunigung des Wachstums (PAC) in Favelas in Rio hinwies. Es ging um drei Favelas – Alemão, Manguinhos und Rocinha –  und um die drei  Bauunternehmen Odebrecht, Andrade Gutierrez und Queiroz Galvão, die je eine der Ausschreibungen gewonnen hatten. Dabei kam heraus, dass Andrade Gutierrez und Queiroz Galvao ein Schriftstück einreichten, mit dem Odebrecht bereits seine Ausschreibung gewonnen hatte. Die anderen Firmen hatten es einfach unverändert übernommen.

In Rio steht bei allen Ausschreibungen für große Bauvorhaben der Verdacht der Kartellbildung im Raum. Das falsche Spiel der "Vier Schwestern" ist so offensichtlich, dass der Verdacht der Kartellbildung auf der Hand liegt. Und das wäre ein Verstoß gegen das brasilianische Wettbewerbsrecht, der Geld- und Gefängnisstrafen nach sich ziehen müsste.

Dass die Bauunternehmen den Markt beherrschen, wird auch dadurch deutlich, dass sie es sich erlauben können, die Kostenpläne nach dem Gewinn einer Ausschreibung weit über die Ausschreibungssumme hinaus hochzuschrauben. Sinnbildlich für diese Praxis steht der Umbau des Maracanã-Stadions. Das Stadion war Mitte der 2000er Jahre bereits renoviert worden. Die Kosten für den erneuten Umbau nach Fifa-Vorgaben haben sich während der Bauarbeiten der letzten Jahre schlichtweg verdoppelt. Dabei sind es vor allem öffentliche Mittel in Form von Steuervergünstigungen, Aufträgen aus dem Staatshaushalt und Finanzierung staatlicher Banken (besonders der staatlichen Entwicklungsbank BNDES), die diese transnationalen Unternehmen nähren.

Schließlich haben nicht wenige Politiker hier ein klares Eigeninteresse: In den vergangenen zehn Jahren haben die "Vier Schwestern" landesweit 154 Millionen Euro in Wahlkämpfe gepumpt. Vor kurzem hat eine Studie[1] anhand der Abgeordnetenhauswahlen von 2006 vorgerechnet, dass die Bauunternehmen jeden Euro Wahlkampfspende an einen Abgeordneten sechseinhalbfach in Form von öffentlichen Aufträgen zurückbekommen haben. Wenn man die Dimensionen der in diesem Beitrag genannten zwanzig milliardenschweren Bauprojekte in Rio bedenkt, haben die Investitionen der Bauunternehmen in die Politik dieser Stadt sich wahrscheinlich noch sehr viel höher ausgezahlt.

Sowohl in der Stadt als auch im Bundesstaat Rio de Janeiro führt die Partei PMDB Regierungskoalitionen und ist somit hauptverantwortlich für das Management von Stadt und Bundesstaat. Der derzeitige Gouverneur des Bundesstaats Rio de Janeiro, Sérgio Cabral, und die Parteien der regierenden Koalition wurden im letzten Wahlkampf umfassend von Unternehmen finanziert. Nun profitieren sie von der kostenintensiven "Vorbereitung" auf die Fußballweltmeisterschaft und die Olympischen Spiele, die von der Politik gehandhabt wird. Der Unternehmer Eike Batista hat allein 231.000 Euro gespendet, die vier Bauunternehmen zusammen 2,3 Millionen Euro. Insgesamt flossen 3,2 Millionen Euro Spendengelder an die Parteien der jetzt regierenden Koalition.

Referenzen:

[1] Die Wissenschaftler untersuchten die Wahlkampfspenden an Kandidaten der PT bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer 2006: Boas, Taylor; Hidalgo, F. Daniel; Richardson, Neal: The spoils of victory: campaign donations and government contracts in Brazil. Califórnia, 2011.