Die zehnjährige Regierungszeit der Kongress-geführten UPA-Koalition geht ohne eine nennenswerte Verbesserung in den indisch-pakistanischen Beziehungen zu Ende. Die Tatsache, dass der scheidende indische Premierminister Manmohan Singh trotz bester Absichten nicht ein einziges Mal sein Geburtsland besuchen konnte, spricht Bände und zeigt die strukturellen Zwänge dieser problembeladenen Beziehung.
Die allerersten Jahre brachten in der Geheimdiplomatie große Fortschritte, und wenn man dem früheren pakistanischen Außenminister Khursheed Mahmud Kasuri Glauben schenken darf, stand ein entscheidender Durchbruch in der Kaschmir-Frage bevor. Die innenpolitische Krise in Pakistan führte jedoch zu einer Schwächung von General Musharraf und schließlich zu seiner Amtsenthebung in den Jahren 2007/2008. In den späteren Phasen der bilateralen Diplomatie wurden bescheidene Verbesserungen durch eine Liberalisierung im Handel und durch gelockerte Visabestimmungen erzielt. Doch die Auswirkungen des Terroranschlags in Mumbai im Jahr 2008 belasteten die Entwicklung der bilateralen Beziehungen in den letzten sechs Jahren. Themen wie Terrorismus und das Erstarken nichtstaatlicher Akteure in Pakistan prägten die öffentliche Meinung in Indien, und es schien, als ob die Regierung Singh fast immer unter dem Einfluss der mächtigen kommerziellen Medienanstalten stand, die einer ausgewogenen Pakistanpolitik Indiens entgegenstanden.
Die neue Regierung in Indien tritt ein schweres Erbe an. Und dies gilt im besonderen Maße für die Hindu-nationalistische Partei BJP (Bharatiya Janata Party), die vermutlich als größte Einzelpartei aus den Parlamentswahlen zum indischen Unterhaus hervorgehen wird. Obwohl es noch völlig ungewiss ist, ob die BJP die nächste Regierung bilden wird, haben die selbsternannten Experten in Neu Delhi und die Wortführer der indischen Medien Narendra Modi bereits wiederholt zum Sieger gekürt.
Narendra Modi - eine umstrittene Figur
In Pakistan eilt ihm sein Ruf voraus. Er ist umstritten und wird insbesondere als rechter Hardliner und Vertreter der Hindutva-Ideologie wahrgenommen, der seine politische Karriere einer Hassrhetorik verdankt, die sich gegen die Muslime und ihrer Rolle in Indiens Vergangenheit und Zukunft richtet. Er gilt als Architekt der Anti-Muslim-Ausschreitungen in Gujarat in 2002, und sein Image rechtfertigt die Gründung des Staates Pakistan. Modi verkörpert im pakistanischen Denken den Archetypus des übelwollenden Hindu. Viele Pakistaner glauben, dass seine politische Popularität auf der anderen Seite der Grenze der Verdienst seiner Anti-Muslim- und Anti-Pakistan-Ideologie ist.
Dennoch herrscht in der öffentlichen Diskussion in Pakistan über Modi als potentiellen Premierminister Indiens ein eher gemäßigter Ton. Dies hat aber wohl mehr mit Pakistans eigenen aktuellen Nöten in Angelegenheiten der inneren Sicherheit und Stabilität zu tun, als mit einem Zugeständnis gegenüber Modis Bilanz in Sachen wirtschaftlicher Entwicklung und Staatsführung, wovon wohl ein mäßigender Einfluss auf sein Amt ausgehen wird. Gleichwohl ist in Politikerkreisen eine Debatte darüber entbrannt, was Modis Aufstieg für Pakistan bedeutet und wie Modi als möglicher neuer Premierminister mit einer an die Macht zurückgekehrten BJP den Kurs der bilateralen Beziehungen zwischen Pakistan und Indien sowie die regionale Stabilität im Allgemeinen beeinflussen könnte.
Offiziell hofft Pakistans Regierung, den gegenwärtig eingefrorenen Dialog mit der neuen Regierung in Neu Delhi wieder aufnehmen zu können. Kürzlich unterließ es Islamabad, Schritte in Richtung einer Normalisierung der Handelsbeziehungen mit dem Nachbarland zu unternehmen, indem es Indien einen diskriminierungsfreien Marktzugang verleiht. Der seit einem Jahr amtierende Premierminister Nawaz Sharif zog es vor, auf die neue Regierung in Delhi zu warten und trug damit den Ängsten der Wirtschaftslobby und Unternehmen Rechnung. Sharif möchte allerdings einen ergebnisorientierten Dialog mit der neuen politischen Führung in Indien beginnen, auch wenn man die Zukunft der indisch-pakistanischen Beziehungen skeptisch sieht, nicht zuletzt wegen des radikalen Wahlprogramms der BJP.
Programm der BJP lässt Verhandlungsspielraum zu
Man fragt sich, ob ein von Modi geführtes Indien den gemeinsamen Dialog wiederaufnehmen will oder sich stattdessen beim Streit um Kaschmir in Chauvinismus flüchtet, instabile Verhältnisse in Belutschistan schürt und in den Machtkampf in Afghanistan eingreift. Das Programm der BJP lässt gleichzeitig durchaus Verhandlungsspielraum zu und ist nicht allzu starr ausgelegt. Das überrascht nicht, denn die BJP hat während ihrer früheren Regierungszeit unter Beweis gestellt, dass sie durchaus mit Pakistan zusammenarbeiten kann. Der ehemalige indische Premierminister Vajpayee kam mit Sharif während seiner letzten Amtsperiode ins Gespräch und redete trotz des verheerenden Kargil-Krieges mit General Musharraf.
Im Falle Modis sind Nawaz Sharif durch Modis selbst kreiertes Image Schranken gesetzt. Modis Wahl zum Premierminister würde den nichtstaatlichen Akteuren genug Munition liefern, um Sharif von einem gezielten Dialog abzuhalten. Auch das mächtige Militär wird es in Anbetracht der öffentlichen Meinung vorziehen, sich einer Normalisierung zu widersetzen.
Das Programm der BJP wird in Pakistan wegen seiner radikalen und revisionistischen Untertöne zurückhaltend beurteilt. Zum Beispiel wird darin Kaschmir zu einem nicht verhandelbaren Thema erklärt, und es wird die Streichung des Paragrafen 370 der indischen Verfassung gefordert, der dem Bundesstaat Jammu und Kaschmir einen speziellen Status als autonomen Bundesstaat in der Indischen Union garantiert. Falls diese Forderung umgesetzt wird, werden die Spannungen mit Pakistan zwangsläufig eskalieren.
Darüber hinaus spricht sich das Programm der BJP auch für eine Revision Indiens traditioneller Nukleardoktrin aus, die auf dem Grundsatz beruht, keinen atomaren Erstschlag zu führen ('No-First Use' / NFU). In dieser Doktrin kommt Indiens erklärter Wille zum Ausdruck, dass es bei einem bewaffneten Konflikt nicht als erster Staat zu Atomwaffen greifen wird. Signalisiert die Forderung einer möglichen von Modi geführten BJP-Regierung, die etablierte NFU-Doktrin zu ändern, eine aggressive und provokative Haltung bei nuklearen und strategischen Fragen? Es ist zumindest erleichternd, dass sich Modi im Nachhinein öffentlich gegen eine Umkehr der Nukleardoktrin geäußert hat. Sollte jedoch eine Revision in Betracht genommen werden, könnte dies das fragile Gleichgewicht der nuklearen Abschreckung in Südasien ins Wanken bringen und Islamabad dazu zwingen, heftig zu reagieren, um das strategische Gleichgewicht wiederherzustellen. Pakistanische Experten befürchten, dass falls die BJP ihrer Rhetorik Taten folgen lassen, sie mit ihrer kalkuliert waghalsigen Politik Südasien womöglich in eine neue Krise stürzen und die regionale Stabilität und internationale Sicherheit aufs Spiel setzen.
Die BJP bezeichnet in ihrem Programm ähnlich wie die Kongresspartei Pakistan als eine Quelle des grenzüberschreitenden Terrorismus und weist darauf hin, wie die Politik Pakistans die internen Sicherheitsrisiken für Neu Delhi verschärft. Das Programm verspricht mit aller Rhetorik eine energische "Antwort", um Pakistan in Schach zu halten.
Ein kritischer Aspekt: das immer selbstbewusstere Auftreten der indische Armee
Das immer selbstbewusstere Auftreten der indischen Armee ist ein weiterer kritischer Aspekt, der Modis Politik in der näheren Zukunft bestimmen könnte. Die indische Armee hat in der jüngsten Vergangenheit den Ruf nach einem Truppenrückzug von dem strittigen Siachen-Gletscher ungehört verhallen lassen und brachte sogar ein geplantes Abkommen zwischen den beiden Staaten zu Fall, das einen ersten Schritt zur Lösung der Kaschmir-Frage hätte darstellen können. Eine mögliche enge Abstimmung zwischen dem selbstbewussten Militär und dem Hardliner Modi in der "Null-Toleranz"-Politik mit Pakistan in Fragen des Terrorismus wird die Spannungen zwischen Islamabad und Neu Delhi verschärfen. Selbst ein begrenzter Militärschlag der indischen Armee auf pakistanischem Territorium wäre denkbar, was zu einer Eskalation des Konflikts mit der inhärenten Gefahr eines Atomkriegs führen könnte.
Skeptiker in Islamabad befürchten, dass eine Wahl Modis zum Premierminister einen Rückschlag für die bilateralen Beziehungen zwischen Indien und Pakistan bedeuten könnte. Der ehemalige Botschafter in Indien, Riaz Khokhar, sagte der Journalistin Mariana Baabar, dass "falls Modi gewinnt, er ein Gefangener des RSS sein wird […] Er wird keine Flexibilität und keinen Pragmatismus bei wichtigen Streitfragen zwischen den beiden Ländern erkennen lassen." Ähnlich hat sich Berichten zufolge Pakistans ehemalige Gesandte für die Vereinigten Staaten und Großbritannien Maleeha Lodhi geäußert. "Es gibt", so bemerkt sie, "zu viele Unwägbarkeiten bei Modi [...] Der großspurige Nationalismus, für den er steht, könnte bei Fragen, die die bilateralen Beziehungen betreffen, zu einer verhärteten Haltung führen."[1]
Doch trotz der nationalistischen Grundhaltung der BJP und der Hardliner-Positionen von Modi ist Pakistans Führungsriege weniger pessimistisch. Sartaj Aziz, Berater für auswärtige Angelegenheiten, bemerkte der britischen Zeitung The Telegraph gegenüber, dass "das letzte Mal ein Durchbruch in unseren Beziehungen erzielt wurde, als die BJP an der Regierung war. Vajpayee war von der BJP".[2] Islamabads Vision von regionaler Kooperation unter Premierminister Nawaz Sharif konzentriert sich auf wirtschaftliche Gesichtspunkte, was zu besseren Beziehungen mit Afghanistan und Indien führen kann, und Pakistan zu einer Handelsdrehscheibe für Zentral-, West- und Südasien machen könnte. Hier könnten Modis Vision von ökonomischer Entwicklung und regionalem Handel mit den Vorstellungen der Regierung Sharif zusammentreffen.
Interessanterweise war Premierminister Vajpayee dank seiner langjährigen politischen Karriere in außenpolitischen Angelegenheiten sehr erfahren; zunächst als Parlamentsabgeordneter und später als Außenminister von 1977-79 erlernte er das praktische Handwerk der Außenpolitik und Diplomatie. Modi hingegen hat als Parlamentarier im Zentrum keinerlei Erfahrung und seine Haltung in außenpolitischen Fragen ist ein bisher größtenteils unentdecktes Feld. Pakistan ist fast das einzige außenpolitische Thema, das er in seinen öffentlichen Ansprachen thematisiert, obwohl er auch von einer engeren Wirtschaftsbeziehung zu China gesprochen hat.
Indisch-pakistanische Beziehungen: Ist Modi ein "Macher"?
Auch wenn eine solche Haltung Islamabads bis zu einem gewissen Grad inszeniert erscheinen mag, hat man dort tatsächlich den Eindruck, dass Modi als "Macher" einen Durchbruch in den indisch-pakistanischen Beziehungen erzielen könnte, zu dem sein durchsetzungsschwacher Vorgänger nicht in der Lage war. Es gibt vorsichtige Hoffnungen auf eine Entspannung, da Analysten glauben, dass ein Hardliner wie Modi radikalere Entscheidungen treffen kann als die säkularen Parteien Indiens, die stets Sorge tragen müssen, den rechten Flügel im eigenen Land zu besänftigen. Modi hat aufstachelnde Worte gegenüber Pakistan und seine 'Agenten' in Indien gebraucht, doch die eigentliche Ausübung der Macht ist ein säkularer Prozess und viele in Islamabad glauben, dass Modi irgendwann mit Pakistan ins Geschäft kommen muss, wenn er seine wirtschaftlichen Pläne für Indiens Fortschritt umsetzen will.
Indien würde durch ein verbessertes Verhältnis zu Pakistan Zugang zu den Märkten Zentralasiens, die für Neu Delhi immer wichtiger werden, erlangen. Der Wettbewerb mit China könnte eine strategische Entscheidung sein, die Modis Regierung zu einem mehr zentristischen Vorgehen bei der Auseinandersetzung mit Indiens traditionellem Erzfeind zwingt. Optimisten in Islamabad hoffen, dass Modis sogenanntes "Gujarat-Modell" für wirtschaftliche Entwicklung den Weg für eine bilaterale Zusammenarbeit ebnet, die eine Normalisierung der Handelsbeziehungen und damit relativ normale Beziehungen und dauerhafte Zusammenarbeit ermöglicht. Sobald der ganze Wahlrummel vorüber ist und falls eine Koalitionsregierung unter Führung Modis ihre Arbeit aufnimmt, wird eine neue Dynamik die Politik Neu Delhis leiten.
Es ist nicht klar, welches der vielen Gesichter Modis wir nach dem Mai 2014 zu sehen bekommen: den "Hindu-Extremisten", den "Anti-Muslim-Modi" oder den pragmatischen, an wirtschaftlicher Entwicklung interessierten Modi, der in die Fußspuren des ehemaligen indischen Premierministers Vajpayee tritt und die bilateralen Beziehungen zum Nachbarn in Islamabad neu gestaltet? Die Zeit wird es zeigen. Es ist zu erwarten, dass die beiden Staaten schon bald nach den Wahlen in Indien wieder den Dialog aufnehmen werden. Der wahre Test für Sharifs Führung wird beginnen, sobald die neue Regierung in Neu Delhi im Amt ist. Ob Islamabad den alten, ausgedienten Prinzipien im Umgang mit Indien verhaftet bleibt oder ob es Aussichten auf einen Neubeginn gibt, bleibt abzuwarten. Die kritischste Aufgabe für Islamabad besteht darin, die nichtstaatlichen Akteure im Zaum zu halten, die die ideologischen Grenzen Pakistans dieser Tage eifrig bewachen.
Referenzen
[1] Siehe auch: "Through a Spyglass", in The Outlook, 21. April 2014.
[2] Siehe auch: "Pakistan 'not worried' by prospect of Narendra Modi, a notorious hardliner, becoming Indian PM" in The Telegraph, 13. März 2014.
Weitere Artikel, Interviews, Analysen sowie Studien und Publikation zu Indien im Wahljahr 2014 in unserem Dossier:
"Indien im Wahljahr – Aufbruch oder Stagnation?".