Polen: Ist das Europäische Parlament nur eine Attrappe?

Flaggen von Polen, der Europäischen Union und der European People's Party
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Kongress der Europeans People's Party in Warschau 2009

In der polnischen Öffentlichkeit und Berichterstattung dominiert derzeit die Krise in der Ukraine. Die Europawahl und eine Diskussion über die Zukunft der EU interessiert in Polen nur wenige.

Wie Meinungsumfragen zeigen, ist das Interesse an den Wahlen zum Europäischen Parlament in Polen ziemlich gering: Das Interesse an den Kommunalwahlen im Herbst 2014 ist mit 55 Prozent der Befragten, die diese Wahl als wichtig oder sehr wichtig betrachten, deutlich größer als das Interesse für die Europawahlen, von deren Bedeutung nur 36 Prozent der Befragten überzeugt sind, so das Zentrum für Öffentliche Meinungsforschung (CBOS).

Diese ohnehin schon geringe Zahl bedeutet aber nicht, dass genau so viele Wählerinnen und Wähler tatsächlich an die Urnen gehen werden. Die Chancen auf eine gute Wahlbeteiligung werden als sehr gering eingeschätzt. Im Jahre 2004 betrug die Wahlbeteiligung lediglich 20,9 Prozent, 2009 stieg sie auf 24,5 Prozent. Dieses Mal könnten sie wieder geringer sein.

In der öffentlichen Meinung und im vorherrschenden Mediendiskurs spielen Brüssel und Straßburg nur eine nebensächliche Rolle. Zwar wächst das Bewusstsein darüber, dass ein sehr großer Teil der für die Polinnen und Polen relevanten Gesetzgebung von den EU-Institutionen kommt. Gleichzeitig gibt es aber kaum öffentliche Berichterstattung und Debatten über die Entscheidungen, die in Brüssel und Straßburg getroffen werden.

Das Europäische Parlament scheint in der polnischen Wahrnehmung an drei überlappenden Problemen zu leiden: Erstens, ist es immer noch kein typisches Parlament – auch wenn seine politische Bedeutung mit jedem EU-Vertrag kontinuierlich gestiegen ist, fehlt ihm eine wesentliche Kompetenz: die Gesetzesinitiative. Das wiederum begrenzt deutlich die Möglichkeiten der Opposition, Alternativen zu Vorhaben der Europäischen Kommission oder der Mitgliedsstaaten zu präsentieren. Die Grünen setzen sich seit Jahren entschieden für die Stärkung der Kompetenzen des EP ein.

Zweitens, machen die oftmals ad hoc geschmiedeten und wechselnden politischen Allianzen die Sache nicht einfacher. Sie stellen ein Mosaik aus einer Reihe von Nationalinteressen und verschiedenen (weltanschaulichen) Ideologien dar. Bei Abstimmungen sind inzwischen auch andere politische Formationen sichtbar, als nur die großen Fraktionen von Sozialdemokraten und Christ-Demokraten. Nichtsdestotrotz ist die Repräsentation von bestimmten politischen Richtungen nicht so eindeutig wie sie in den nationalen Parlamenten zum Ausdruck kommen.

Drittens kommt in Polen noch ein anderer Aspekt zum Tragen: Die Europäische Union wird hauptsächlich als Finanzquelle betrachtet. Allgemein geht es darum, von der EU so viel wie möglich zu profitieren, ohne dabei Verpflichtungen hinsichtlich einer bestimmten Gemeinschaftspolitik erfüllen zu müssen. So gibt es wenig Raum für eine Erzählung über eine Werte- oder Rechtsgemeinschaft oder die Durchführung von großen grenzübergreifenden Projekten. Wesentlich ist nur das Geld und wie es ausgegeben wird.

In dieser Narration ist die Bewegungsfreiheit, von der vor allem privilegierte Gruppen profitieren, entscheidend: reisen, studieren und ohne große bürokratische Hürden in einem anderen europäischen Staat arbeiten. Dagegen steht die Erzählung von der EU als ein Ort von Verboten und Verordnungen. Die EU-Verordnung darüber, wie stark Bananen gekrümmt sein können, oder ob Karotten Obst sind, wirken immer noch als Anekdoten und gelten als Beweise dafür, dass die EU eine Bedrohung darstellt. Doch auch neu gewonnene Freiheiten werden als Bedrohung wahrgenommen: Das Recht auf legale Abtreibung oder gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind Beispiele von einer „moralischen Zersetzung“ gegen die sich ein Teil der polnischen Gesellschaft stellt.

Sicherlich ist mehr Information über die EU, die Aktivitäten des Europaparlaments und seinen Einfluss auf andere Institutionen der EU vonnöten. In Polen – wie in vielen anderen Ländern auch – gibt es noch immer keine wirklich europäischen Medien. Sicherlich gibt es Internetseiten, wie EuropeDecides und Nachrichten-Portale wie EurActiv, die über die Wahlkampagne berichten. Doch bleibt ihre Reichweite beschränkt. Andere Informationsquellen, wie zum Beispiel PressEurope mit Artikeln aus verschiedenen europäischen Zeitungen, verschwinden vom Markt, da sie sich nicht finanzieren können.

Entscheidend ist deshalb, dass und wie wir vertiefte Debatten in den Medien, aber auch in Familien und Freundeskreisen führen. Es geht nicht weniger als um die Zukunft der Europäischen Union. Ob sie Kohle und Schiefergas oder erneuerbare Energien fördern wird? Ob bei Verhandlungen um Handelsabkommen soziale und umweltfreundliche Standards eingehalten werden oder lediglich niedrige Produktionspreise die Richtung bestimmen? Ob die EU der fortschreitenden Überwachung von Bürgern Einhalt gebietet oder sie weiterhin zulässt? Ob neue Arbeitsplätze oder Fiskaldisziplin und Austerity-Programme Priorität haben?

All das waren Themen der letzten Legislaturperiode des Europäischen Parlaments. Und nicht der Krümmungsradius der Banane. Der Wahlkampf könnte wesentliche Zukunftsfragen adressieren. Wir sollten nicht passiv bleiben und zuschauen, wie andere das Wort ergreifen.