Dazugehören – was bedeutet das heute? Für die Veranstaltung „One Way Ticket – Willkommen in Europa?“ sucht die Schriftstellerin Olga Grjasnowa nach den Möglichkeiten des Ankommens in Deutschland.

Dazugehören – was bedeutet das heute? Für die Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung „One Way Ticket – Willkommen in Europa?“ im Rahmen der Woche der Kritik fragen die Publizistin Mely Kiyak und die Schriftstellerin Olga Grjasnowa nach den Möglichkeiten des Ankommens in Deutschland. Im Folgenden das Kurzstatement von Olga Grjasnowa - das von Mely Kiyak finden Sie hier.
Ein Freund beantragte vor ein Paar Wochen Asyl in Deutschland. Der Warteraum der Zentralen Aufnahmeeinrichtung des Landes Berlin für Asylbewerber, war voll und stickig. Ein nicht-weißer Mann hatte eine Erkältung, der Gang der Beamten wurden plötzlich schneller, die Bewegungen hektisch. Die Diensträume wurden eilig evakuiert, jedoch nicht der Warteraum für die potentiellen Asylbewerber. Niemand erklärte den Wartenden irgendetwas. Nachdem mein Freund mehrfach nachgefragt hatte, weshalb die Räume evakuiert würden, erklärte ihm schließlich ein Beamter, es gäbe einen Verdacht auf Ebola im Warteraum, doch er solle sich keine Sorgen machen.
Es bleiben vor allem zwei Fragen zurück:
- Hätte man das Gebäude auch unter Quarantäne gestellt, wenn ein weißer Mensch erkältet wäre? Zum Beispiel ein weißer Südafrikaner?
- Nehmen wir an, es würde sich tatsächlich um Ebola handeln. Glaubten die Beamten tatsächlich, dass es sich nicht mal lohnt, die Asylbewerber vor höchst ansteckenden Krankheit zu retten?
Ausländer sind in Deutschland nicht unbedingt willkommen und das lässt man sie oft spüren. Sei es durch demütigende Prozesse in deutschen Konsulaten – oder durch die deutschen Behörden im Land. Es wird viel von einer „Willkommenskultur in Deutschland“ geredet, leider sind wir von solch einer noch Lichtjahre entfernt. In der Ausländerbehörde ist man zwar nun „Kunde“, doch die Logik ist nach wie vor die des Wilhelminischen Reiches. So heißt es in der Zentralen Ausländerbehörde in Berlin: „Wir sind dafür da, Ihren Aufenthaltsstatus zu klären, ihn aber auch zu beendigen, wenn nötig.“ Am Empfang des Immigration Service im Bürgeramt von Brooklyn dagegen: „Welcome to New York, do you want to apply for a citizenship?“
Als Integrationsmaßnahme wurden zudem auf dem Amt in Berlin für die „Kunden“-Toiletten, die ausschließlich aus Löchern im Boden bestehen, eingebaut, doch sämtliche Kommunikation mit dem „Kunden“ findet nach wie vor ausschließlich auf Deutsch statt. Das Jobcenter verschickt großzügigst Briefe, in denen der „Kunde“ - in einem sogar mir vollkommen unverständlichem Deutsch - aufgefordert wird, einen Deutschkurs zu belegen.
Ein Ankommen in Deutschland wäre möglich, nur muss es auch politisch gewollt sein. Die BRD möchte angeblich eine geregelte Einwanderung. Hochqualifizierte sollen kommen, aber bitte nicht aus Syrien und schon gar nicht vom afrikanischen Kontinent. Die Mitarbeiterinnen in den Konsulaten werden dazu angehalten, Anträge abzulehnen, auch wenn alle notwendigen Dokumente vorliegen und ihre Richtigkeit haben. Die deutschen Botschaften in Ankara und Istanbul, die zuständig für die Ausgabe der Visa an syrische Staatsbürger sind, da die Botschaft in Damaskus bereits 2011 geschlossen wurde, stellen seit einer Weile Syrern grundsätzlich keine Visa aus – nur sagen sie es nicht und lassen die Menschen willentlich monatelang warten und vergeblich hoffen.
Zumindest in der Politik gibt es nun einen Konsens darüber, dass Einwanderung notwendig sei. Selbst Pediga fordert „qualifizierte Zuwanderung“ – das bedeutet jedoch, dass andere Länder die Ausbildung unserer Spezialisten bezahlen sollen, während wir unsere abschieben oder wegen fragwürdiger Bildungspolitik gar nicht erst zur Qualifikation zulassen. Ich glaube, wenn man neben Latein, Französisch und Spanisch auch Türkisch und Arabisch als zweite Fremdsprache an Schulen zulassen würde, wäre dies nicht nur eine längst überfällige Geste, sondern würde sich auch ökonomisch mehr als rechnen.
Was in Deutschland fehlt, ist nicht nur der politische Wille, es ist schlicht auch die Empathie mit Flüchtlingen oder mit Neuankommenden. Die dänische Autorin Janne Teller schrieb ein Kinderbuch mit dem Titel „Krieg. Stell dir vor, er wäre hier“ – für die deutsche Gesellschaft liegt dieser Gedanke jenseits ihrer Vorstellungskraft. Wir möchten uns nicht mit Menschen identifizieren, denen es schlecht geht oder die eine andere Hautfarbe haben. Es interessiert uns nicht, was ihnen außerhalb oder in Deutschland selbst wiederfahren ist. Wir wollen ihren Kummer nicht teilen. Wir wollen nichts sehen, nichts hören, nichts fühlen. Und schon gar nicht trösten oder helfen. Das Mitgefühl, also die Fähigkeit das Leid des anderen nachzuvollziehen - das, was den Menschen eigentlich ausmacht, ist uns verlorengegangen.
- Zum Statement von Mely Kiyak: Ankommen ist mehr als sich irgendwo aufzuhalten
Auch in "Brûle la mer", dem Auftaktfilm der "Woche der Kritik", steht die Erfahrung von Fremdheit und die Suche nach Identität im Zentrum.
BRÛLE LA MER (Burn the Sea)
R: Nathalie Nambot und Maki Berchache, K: Nicolas Rey, F 2014, 75 Min., Super8/16mm auf DCP, franz. OmeU – GP
„Harragas“ nennt man im Maghreb die Flüchtlinge, die übers Meer nach Europa kommen: „jene, die verbrennen“, ihre Papiere, die Grenzen, das Meer. Einer von ihnen ist Maki Berchache, der aus Tunesien nach Paris migrierte. Nathalie Nambot hat mit ihm ein Essay geschaffen. Ihr Film ist politischer Aktivismus, der eine Stimme verleiht, und zugleich dokumentarisches Gedicht, das Thesen verweigert. Auf Super8 und 16mm gedreht, ist BRÛLE LA MER auch ein Statement, das der digitalen Wende des Kinos das Bildkorn entgegenhält.