Der Kampf um die Seele Nigerias

umgestürztes Plakat des ICPC - Anti-Korruption
Teaser Bild Untertitel
Umgestürztes Wahlplakat der Anti-Korruptions-Kommission (ICPC). Seit 2014 arbeiten die ICPC und Integrity in der Korruptionsbekämpfung zusammen.

Bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Nigeria dominieren die Themen Korruption und die mangelnde öffentliche Sicherheit die politische Diskussion. Soji Apampa von Integrity entwickelt seit 1995 Instrumente gegen die Korrumpierbarkeit.

„Korruption und mangelnde Sicherheit sind die beiden größten Probleme Nigerias“, bekräftigte Präsident Goodluck Jonathan erst kürzlich während eines Neujahrsgottesdienstes in Abuja, der Hauptstadt Nigerias. Wie eng diese beiden Themen miteinander verknüpft sind, erläuterte ein ehemaliger Mitarbeiter des Militärs treffend in einem Gespräch mit dem Nachrichtensender BBC: Er führte die Unfähigkeit der Sicherheitskräfte, den Boko-Haram-Terror im Nordosten von Nigeria zu bekämpfen, darauf zurück, dass sowohl die Moral der Truppen als auch die technische Ausstattung der Armee in einem desolaten Zustand sei und folgerte ernüchternd: "Die Korruption ist Schuld am Verfall der Nation".

Tatsächlich scheinen die mangelnde öffentliche Sicherheit und die Korruption in Nigeria zwei Seiten derselben Medaille zu sein, fast so wie bei (den polaren Prinzipien) Yin und Yang. Das Thema Korruption dominiert somit auch die Wahlkampagnen der beiden führenden politischen Parteien in Nigeria: der Regierungspartei People’s Democratic Party (PDP) und der All Progressive Congress (APC), einer Koalition aus Oppositionskräften. Die zentrale Frage im politischen Rennen um Wählerstimmen ist: „Wie viel mehr ungezügelte Korruption kann Nigeria vertragen, bevor das Land zusammenbricht?“.

Wie die Korruption den Staat zersetzt

Die Korruption in Nigeria ist endemisch, allgegenwärtig und systemimmanent. Dafür gibt es mindestens sechs Gründe:

  1. Im Laufe der Jahrzehnte sind menschliche Wertvorstellungen bis zu dem Punkt degeneriert, an dem ethisches Handeln von vielen Bürgern nicht mehr erwarten werden kann. Die Anfänge der Korruption liegen bereits in der Zeit der britischen Kolonialherrschaft, wo die Eliten des Landes zivilen Ungehorsam und unethisches Handeln als Sabotagemittel gegen die kolonialen Herrscher einsetzten.
  2. Das unethische Handeln der nigerianischen Eliten im seit 1960 unabhängigen Nigeria hat die Erosion menschlicher Werte drastisch verstärkt, weshalb die Korruption nun alarmierende Ausmaße angenommen hat. Wer nach der Unabhängigkeit im Dorf eine Ziege klaute, konnte mit scharfer Bestrafung durch die Dorfgemeinschaft rechnen; wer hingegen den jungen Staat beklaute und die Gelder an die Dorfgemeinschaft weitergab, erntete Lob.
  3. Die keimende Korruption im jungen Staat explodierte mit der Entdeckung des Öls, und der ‚Robin Hood‘-Charakter der Staatsbeklauung änderte sich schnell: die Eliten teilten ihre Beute nicht mehr, sondern zäunten ihre korrupten Hoheitsgebiete gegen Eindringlinge ab. Heute gehen hohe Wachstumszahlen einher mit steigender Armut. Die Mehrheit der Nigerianer/innen hat sich an ein hohes Maß von Korruption gewöhnt, das traditionelle Bewusstsein von Gut und Böse ist so geschwächt, dass die Korruption freien Lauf hat, sowohl in der Geschäftswelt als auch in Familien und bei Einzelpersonen.
  4. Da viele Vergehen rechtlich nicht geahndet werden, hat sich eine massive Apathie und Resignation in der Bevölkerung ausgebreitet. Die Menschen wehren sich nicht mehr gegen Korruption, sondern erdulden sie auch dort, wo gesellschaftliche Kontrollen wohlmöglich zum Erfolg führen könnten.
  5. Die fehlende Kontrolle hat mittlerweile ein „System der falschen Anreize“ geschaffen, in dem ehrliche Leute kaum Karriere machen können. Die weitgehende Straffreiheit führt zur Verbreitung verschiedenster Formen der Korruption. Nur wer seine Beute nicht mit den Eliten teilt, läuft Gefahr, für unlautere Machenschaften zur Rechenschaft gezogen zu werden.
  6. Die ungestrafte Korruption festigt den Glauben an ihre Unvermeidlichkeit, was dazu führt, dass sich die Menschen an die Situation anpassen, um zu überleben. Für viele Menschen gehört die Korruption bereits zum alltäglichen Leben, zum modus operandi Nigerias, sowohl auf persönlicher als auch auf institutioneller Ebene.

Nigerias Krisen

Korruption ist die Hauptursache für die Krisen Nigerias in den vergangenen Jahren. Im aktuellen Wahlkampf werden die Eliten des Landes mit der Frage konfrontiert, wie sie die Korruption bekämpfen wollen. Dadurch befinden sie sich auf dem hot seat, weil die Bürgerinnen und Bürger darüber mit ihrem Stimmzettel abstimmen werden. Die Regierungspartei PDP vertritt eine softly-softly Herangehensweise, sie nähert sich dem Thema „auf leisen Sohlen“. Die Oppositionspartei APC hingegen findet eine radikalere Antwort zur Korruptionsbekämpfung. Ihre Vorschläge schüren Angst innerhalb der Eliten, die ihre Position auch wegen des politischen Hintergrundes der APC-Kandidaten gefährdet sehen. Es steht viel auf dem Spiel: Die Präsidentschaftswahlen am 28. März 2015 sind auch ein Kampf um die Seele Nigerias.[1]

Finanzkrise seit dramatischem Einbruch der Ölpreise

Auslöser für die jüngste Krise im Land war der dramatische Einbruch der Ölpreise auf dem Weltmarkt. Er sank innerhalb eines halben Jahres von über 100 US-Dollar pro Fass auf unter 50 US-Dollar, was zu einer drastischen Abwertung des Nigerianischen Naira von rund 30 Prozent in weniger als drei Monaten führte. Nigerias Wirtschaft ist weitestgehend vom Öl abhängig, aber dem Land gelang es nicht – wie schon in den 1970er und 1980er Jahren während des beispiellosen Ölbooms – ausreichende Rücklagen zu bilden. Nun ist das Land mit der Unvermeidlichkeit der Sparmaßnahmen konfrontiert. Die Regierung bezeichnet den Rückgang der Staatseinnahmen als Wirtschaftsschock, aber einige Kritiker setzen dagegen, dass man eine vorhersehbare Entwicklung nicht als Schock bezeichnen könne.

Hinzu kommt, dass Charles Soludo, ein Ex-Gouverneur der Zentralbank Nigerias, die Regierung beschuldigte, in den letzten vier Jahren 30 Trillion Naira (142 Milliarden Dollar) veruntreut zu haben. Diese Offenbarung führte zu einem bitteren Schlagabtausch der Argumente zwischen Soludo und der jetzigen Finanzministerin Ngozi Okonjo-Iweala, einer ehemaligen Direktorin der Weltbank. Die Opposition und unabhängige Regierungskritiker scheinen entschlossen, die Regierung zur Finanzkrise des Landes zur Rede zu stellen. Sie verurteilen, dass korrupte Machenschaften vom Regime toleriert wurden und die nigerianischen Bürger/innen in diese desolate Situation gebracht haben.

Mehr Arbeit für die Regierung als je zuvor

Wer auch immer die Wahlen gewinnen wird, sicher ist, dass die neue Regierung mit weniger Ressourcen mehr leisten muss. Viele Bürger/innen sehen darin eine positive Entwicklung, da das Land so gezwungen wäre, die Korruption effizient zu bekämpfen und die Plünderung der natürlichen Ressourcen einzuschränken, mit denen bislang der Staatshaushalt aufgebessert wurde. Die Hoffnung dieser Bürger ist, dass sich mit einem Abbau der Korruption ein Wirtschaftswachstum erreichen ließe, das nicht nur auf Öl basiert und so den Bürgern zugutekäme. Denkbar wäre aber auch, dass sich die Eliten aufbäumen, um ihre Einnahmen zu sichern, was zu einer Eskalation der Gewalt und zu noch mehr Unsicherheit und Spannungen im Land führen könnte.

Die Diskussion über den Wahlausgang verläuft zwischen zwei Fronten. Während die einen das Glas halb voll sehen, ist es für die anderen halb leer. Beide Seiten versuchen im Wahlkampf mit allen Regeln der Kunst, den anderen zu diskreditieren. Die Präsidentschaftswahlen 2015 in Nigeria sind in vielerlei Hinsicht der Höhepunkt eines epischen Kampfes um die Seele einer Nation. Und es stellt sich die Frage: Wird das Land weiter in die Krise hineinrutschen oder wird es eine Antwort auf die Kultur der Korruption finden? Eine Antwort wird nach dem 28. März 2015 vielleicht die neue Regierung geben.

 

[1] Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Nigeria sollten am 14. Februar 2015 stattfinden. Kurzfristig wurden diese jedoch aufgrund der dramatischen Sicherheitslage um sechs Wochen, auf den 28. März 2015, verschoben.