Populistische Charismatiker

Er ist Jäger, Angler, Drachenflieger, Eishockeyspieler und so weiter. Wladimir Putin gibt sich als charismatischer Herrscher. Sein Populismus erinnert an den Faschismus Mussolinis, schreibt unser Kolumnist Jochen Schimmang.

Welcher Wertschätzung sich Wladimir Putin bei Populisten jeglicher Couleur erfreut, vornehmlich aber bei Rechtspopulisten, ist allgemein bekannt. Nicht umsonst hat es vor Wochen in seiner Heimatstadt St. Petersburg ein Treffen gegeben, das sich "Internationales Russisches Konservatives Forum" nannte und an dem rund 300 Vertreter faschistischer, nationalistischer und rechtsextremer Parteien und Gruppen teilnahmen, die alle hochwillkommen waren. Und auf Pegida-Demonstrationen sollen ja leibhaftig Schilder mit der rührenden Aufschrift "Putin hilf!" mitgeführt worden sein. Das zeugt nicht nur von einer gewissen Armut im Geiste, sondern auch von einer Wundergläubigkeit, die des Versuchs einer Erklärung bedarf.

Populistische Herrschaft – man kann vielleicht in diesem Fall auch von charismatischer Herrschaft im Sinn Max Webers sprechen – bedarf eines wirksamen Heilsversprechens und einer ebenso wirksamen Selbstinszenierung des Herrschers:

"Sehr bezeichnend ist, dass er sich in zahllosen Berufsrollen fotografieren ließ. Ob als Landarbeiter bei der Weizenernte, als Bergmann, als Hafenarbeiter oder als Maurer mit der Spitzhacke, er schien jedermann zu sein und doch niemand. Die gleiche Wirkung hatte er, wenn er als Rennfahrer, als Tennisspieler, als Schwimmer, als Reiter oder sogar als Skifahrer abgelichtet wurde."

In diesen Sätzen des renommierten Historikers und Faschismusforschers Wolfgang Schieder ist allerdings nicht von Putin die Rede, sondern von Benito Mussolini. Heute denkt man bei diesen Zeilen jedoch unwillkürlich an den gestählten nackten Oberkörper des russischen Präsidenten und an seine Auftritte als Jäger, Schwimmer, Angler, Taucher, Drachenflieger, Eishockeyspieler und so weiter. Die Ähnlichkeiten beschränken sich aber nicht auf die Ebene der öffentlichen physischen Performance. Was Mussolini der Auftritt auf dem Balkon des Palazzo Venezia und die Rede vor den Massen war, ist dem russischen Präsidenten heute seine Inszenierung im Fernsehen und sein öffentlicher "Dialog"  mit dem russischen Volk. Die Omnipräsenz von medialer Kommunikation lässt heute "das Gespräch" zwischen Herrscher und Volk angebrachter erscheinen als die monologische mitreißende Rede über mehrere Stunden, die zuletzt eigentlich nur noch Fidel Castro gepflegt hat.

Massiv unproduktiv

Über das Showgeschäft allein aber kann man auf Dauer keine charismatische Herrschaft ausüben. Der Charismatiker muss sich bewähren, das heißt, er muss wenigstens einen Teil seiner Versprechen einlösen. In den Jahren des russischen Booms war das für Putin relativ einfach, weil das Konsumniveau für breitere Kreise der Bevölkerung stieg. Mit dem Verfall der Rohstoffpreise und völlig unabhängig von den westlichen Sanktionen hat sich das geändert, zumal gleichzeitig immer deutlicher wird, dass die russische Wirtschaft massiv unproduktiv ist, weil sie sich bis heute allein auf den Rohstoffreichtum gestützt hat. Ein nennenswerter produktiver Sektor ist nicht entwickelt worden. Auch Mussolini förderte mit seiner – relativ dilettantischen – Wirtschaftspolitik nicht so sehr die norditalienische Großindustrie im Dreieck Mailand, Turin und Genua und deren Exportfähigkeit, sondern die Landwirtschaft; er strebte damit vorrangig die Autarkie an, offenbar eine Lieblingsidee vieler autokratischen Regime.

Die Autarkie ist gewissermaßen die Vorstufe zur nationalen Größe. Nationale Größe kann sich nur auf dem internationalen Feld abbilden, auf Deutsch gesagt: durch militärische Eroberungen, gern mit Rekurs auf die Wiederherstellung ehemaliger Reiche, sei es das antike römische oder das weniger antike sowjetische. (Wer einmal in Wolgograd, einstmals Stalingrad, die gigantische Gedenkstätte auf dem Mamajew-Hügel besucht und die Riten bei der Wachablösung verfolgt hat, der weiß, dass die Sowjetunion nie ganz untergegangen ist.) Solange die nationale Größe mit relativ geringen eigenen Opfern verbunden ist, stärkt das die Popularität des Herrschers enorm.

Mussolinis Beliebtheit war nie größer als nach dem Überfall auf Abessinien und in der ersten Zeit danach. Sie bröckelte ab, als sich herausstellte, dass die dauerhafte Unterwerfung Abessiniens nicht gelang, jahrelang große Truppenkontingente im Land gehalten werden mussten und viele Söhne des Landes in einem zähen Krieg in Afrika starben.

Ein duldsames Volk

Die Zustimmung zu Putin war vermutlich nie größer als nach der gewaltsamen Heimholung der Krim ins russische Reich und dauert nach allen Berichten trotz des wirtschaftlichen Niedergangs weiter an. Das Volk murrt nicht, sondern duldet. Es ist aber nicht nur "das Volk". Der Populismus ist nie ausschließlich ein Volksvergnügen, sondern wird immer durch intellektuelle Schichten mitgetragen und ideologisch unterfüttert. Dass der italienische Faschismus sehr früh begeisterte Zustimmung bei Künstlern und Meisterdenkern gefunden hat, von den Futuristen bis zu Giovanni Gentile, ist bekannt. Er wurde anfangs als Modernisierungsprojekt verstanden, bevor er mit der Zeit in Stagnation und Erstarrung versank. Beifall gab es deshalb auch von der New York Times und überhaupt aus dem westlichen Ausland, das sollte man nicht vergessen.

Der gegenwärtige deutsche Populismus hat inzwischen ebenfalls seine Meisterdenker gefunden, von denen einige sich als Modernisierer und andere sich gern als "wertkonservativ" verstehen – eine Verknüpfung, die das Potential für ein breites Publikum hat, auch wenn sie jetzt zu zerreißen droht. Die Träume vom Großslawischen Reich unter russischer Führung schließlich, gern auch unter tatkräftiger Mithilfe durch die orthodoxe Religion, haben ehemals schon in Dostojewski einen eloquenten Befürworter gehabt und lassen sich mühelos mit moderner Technologie verbinden.

Dass es heute für regimekritische Geister in Russland nicht mehr angeraten ist, selbst gegenüber manchen Freunden sich offen zu äußern, hat die Schriftstellerin Alissa Ganijewa in einem taz-Interview berichtet. Sie spricht von einer "totalen Informationsblockade" in Russland und erzählt:

"Wenn du auf einmal verstehst, dass du mit Freunden, die dir immer als vernünftig und gebildet erschienen, nicht mehr wie früher zusammen sein kannst, dann tut das sehr weh. Wir umschiffen Themen, weil es sonst Streit gäbe. Du möchtest den Freund ja nicht verlieren und versuchst, über irgendetwas anderes zu reden."

Wie sich damals auf diese Weise in den gut zwei Jahrzehnten des italienischen Faschismus das gegenseitige Misstrauen bis zur Sprachlosigkeit ausgebreitet hat, hatte ihre italienische Kollegin Natalia Ginzburg bereits 1952 in ihrem Roman Alle unsere Gestern eindrucksvoll geschildert.

Gewalt vor der Theorie

Die Zustimmung der Massen ist die eine Seite, die Bereitschaft zur gewaltsamen Aktion die andere. Ideologisch war Mussolini laut Schieder ein Eklektiker, von zwei Ausnahmen abgesehen. Gründlicher gelesen hat er nur Gustave Le Bons Psychologie der Massen und George Sorels Über die Gewalt. Der Faschismus verdankt seinen Namen dem 1919 gegründeten "Fascio di Combattimento", also einem Kampfbund, der später in die "squadre d'azione fascista" mündete, die nichts weiter als Schlägertruppen waren. Die Aktion und die Gewalt stehen vor aller Theorie.

Über Putins Lektüren ist mir nichts bekannt. Im Russland von heute aber ist der politische Mord, wer immer dann später auch als "Täter" gefasst wird, längst ein gängiges Herrschaftsinstrument. Die Botschaft, dass der populistische Herrscher über das Gewaltmonopol verfügt und dies auch auszuüben bereit ist, darf nie verblassen.

Alle diese Strukturähnlichkeiten sind nicht zufällig: Der italienische Faschismus, wie Mussolini ihn erfunden hat, war die Urform des modernen Populismus. Er ist bis heute das Modell aller nachfolgenden Bewegungen dieser Art, aus welcher ideologischen Mottenkiste sie sich im Einzelnen auch bedienen. Denn auch dass der Populismus nicht an Inhalten haftet, sondern sich seine Versatzstücke je nach Situation zusammenstellt, ist all seinen Spielarten gemein.

Der begabte Journalist und Mime Mussolini hat nach dem Ersten Weltkrieg das Momentum genutzt, auch begünstigt durch die Furcht der konservativen Kräfte vor der roten Gefahr. Auch Putin war 1999 Nutznießer der Ängste nach dem anarchischen russischen Jahrzehnt. Man sollte nicht vergessen, dass er von den russischen Oligarchen als Marionette eingesetzt wurde. Diese Marionette hat dann schnell ihre Fäden durchschnitten und auf eigene Rechnung regiert.