Wo immer über Klimapolitik verhandelt wird, wollen die Kohlekonzerne Einfluss nehmen. Oft gelingt das sehr gut. Ein Kapitel aus dem Kohleatlas.
Seit vom Klimawandel und von der Rolle fossiler Brennstoffe dabei die Rede ist, mischt sich die Kohleindustrie in die Debatte ein und wirft ihr politisches und wirtschaftliches Gewicht in die Waagschale. Schon Anfang der 1990er-Jahre schloss sie sich weltweit zusammen, um die Klimaforschung zu bekämpfen. Die großen privatwirtschaftlichen Kohlekonzerne, auf Englisch auch „Big Coal“ genannt, bekämpfen seit über zwei Jahrzehnten alle Maßnahmen gegen den Klimawandel. Dass viele der weltgrößten Kohleunternehmen Staatsbetriebe sind – zum Beispiel in Polen, Tschechien, Indien und China –, hat die Bemühungen um mehr Klimaschutz alles andere als beschleunigt.
Die Kohlebranche sitzt häufig mit am Tisch, wenn politische Entscheidungen fallen.
So ernannte die deutsche Bundesregierung den Schweden Lars Göran Josefsson zu einem von zwei Klimaschutzbeauftragten, als Kanzlerin Angela Merkel im Jahr 2008 die EU-Ratspräsidentschaft übernahm und den G-8-Gipfel in Heiligendamm ausrichtete. Josefsson war zu jenem Zeitpunkt Chef von Vattenfall, dem größten Energiekonzern der EU und Betreiber der Braunkohlekraftwerke in der Lausitz. Im Anschluss wechselte er als Berater zu UN-Generalsekretär Ban Ki-moon. Beim Klimagipfel im südafrikanischen Durban 2011 waren Vertreter zweier heimischer Konzerne gar Mitglieder der Regierungsdelegation des gastgebenden Landes. Der eine repräsentierte Eskom, den größten Stromversorger Afrikas und einer der größten CO2-Emittenten der Welt. Der andere vertrat Sasol, den weltgrößten Hersteller von Kohlebenzin, einem Treibstoff, der durch Kohleverflüssigung gewonnen wird.
Industriekritische Organisationen wie das Corporate Europe Observatory (CEO) beobachten seit Jahren, wie Konzerne versuchen, Einfluss auf Klimaverhandlungen zu nehmen – bei der UN-Klimakonferenz 2013 in Warschau sei es auf die Spitze getrieben worden. Polen bezieht seinen Strom zu 90 Prozent aus Kohlekraftwerken. Als Gastgeber setzte die polnische Regierung mehrere interessierte Konzerne auf die Sponsorenliste. Einer war das weltgrößte Stahlunternehmen ArcelorMittal, dessen Werke so viel CO2 freisetzen wie das gesamte Kohleland Tschechien. Die Regierung half der World Coal Association (WCA, Weltkohlevereinigung), parallel zur Klimakonferenz ihren Kohlegipfel abzuhalten. Und das abschließende Kommuniqué dieser Veranstaltung wurde gemeinsam mit dem polnischen Wirtschaftsministerium verfasst. Polen finanzierte auch Veranstaltungen der Lobbygruppe Central Europe Energy Partners (CEEP), deren Mitglieder mehrheitlich staatliche polnische Energieunternehmen sind. 2012 verlangte das Land erfolgreich unbeschränkte Emissionsrechte für seinen Stromsektor.
Die Kohlelobby in der EU nimmt zunehmend die erneuerbaren Energien ins Visier. Sie argumentiert, dass nicht unbedingt festgelegt werden müsse, welchen Anteil sie am Energiemix haben müssen, weil der Handel mit Emissionsrechten ausreichend sei. Eine der lautesten Stimmen hierbei war bisher die Lobbygruppe Euracoal. Tatsächlich nahm die EU ihre ambitionierten Ziele zurück.
Auch Europas geplante Grenzwerte bei der Luftreinhaltung wurden von der Kohlelobby beeinflusst. Der Weg ist einfach: Ein Teil der Fachleute, die von den Mitgliedsländern in die entscheidende „Technische Arbeitsgruppe“ geschickt werden, vertritt direkt die Interessen der Kohleindustrie. Grotesk ist die Zusammensetzung besonders im Fall Griechenlands: Die Delegierten arbeiten allesamt für den staatlichen Energiekonzern Public Power Corporation, dessen Kraftwerke zu den schmutzigsten der EU gehören, oder für Hellenic Petroleum. Die Konzerne versuchen auf diese Weise, sich selbst zu regulieren. Eigene Standards der Industrie und Selbstverpflichtungen bleiben jedoch meist hinter den fachlichen und politischen Erfordernissen zurück.
In den USA gibt es traditionell eine mächtige Kohlelobby. In allen ihren Kampagnen war die Diskreditierung wissenschaftlicher Studien stets ein Kernelement. Seit den 1990er-Jahren finanzieren Kohleunternehmen und ihre Verbände sogar Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die Erkenntnisse zur Klimaerwärmung bestreiten. Mit spürbarem Erfolg: 2014 erkannten acht Republikaner im US-Kongress die Klimaerwärmung als wissenschaftlich erwiesen an, 278 lehnten dies ab. Dem entspricht das Spendenverhalten der Kohleindustrie: Von 1990 bis 2014 flossen 56 Millionen US-Dollar an US-Politiker, 84 Prozent davon an Republikaner.
Die American Coalition for Clean Coal Electricity ist einer der bedeutendsten Verbände der Kohlelobbyisten in den USA. Sie betreibt Kampagnen gegen gesetzliche Maßnahmen im Kohlesektor und im Klimaschutz. Der konservative American Legislative Exchange Council (ALEC) setzt sich aus Abgeordneten in den US-Bundestaaten zusammen und erhält Geld von der Energiebranche, auch von Big Coal. 2013/14 wurde der ALEC in mindestens 16 Bundesstaaten gegen erneuerbare Energien aktiv. Die Aktivitäten lassen keine Ebene aus, vom Entwurf einer Verordnung gegen die Einspeisung von privat erzeugtem Solarstrom bis zum Kampf gegen die Umweltschutzbehörde EPA und die Klimapolitik von US-Präsident Obama.
Auch in Australien bekämpfte Big Coal erneuerbare Energien. Die seit 2013 amtierende konservative Regierung hob die umfassende Gesetzgebung zum Klimaschutz wieder auf, die zuvor von einer Labor-Regierung eingeführt worden war. Jetzt wenden sie sich gegen das Ziel, die australischen Stromerzeuger bis zum Jahr 2020 auf einen Anteil von 20 Prozent erneuerbarer Energien zu verpflichten.
Premierminister Tony Abbott berief den Klimawandelleugner Dick Warburton, um das Ziel zu überprüfen. Die Industrie finanzierte große Werbekampagnen. Sie wurden von den Medien im Besitz des Unternehmers Rupert Murdoch unterstützt, in deren Berichterstattung die Effizienz erneuerbarer Energien und die Ergebnisse der Klimaforschung immer wieder angezweifelt wurden. Die Verunsicherung war erfolgreich. Im Verlauf des Jahres 2014 wurde in Australien weniger Geld in Anlagen zur Gewinnung sauberen Stroms gesteckt als in Honduras oder Myanmar.