Die grüne Revolution kommt auf leisen Sohlen

Müllberge an den Ufern von Lagos
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An den Ufern der Lagunen von Lagos sammelt sich immer wieder viel Müll an

Hakeem Ogunbambi ist Staatssekretär im Umweltministerium von Lagos. Im Interview mit Nicholas Ibekwe schildert er, wie der Bundesstaat Lagos gegen die prekären Verhältnisse in der Energieversorgung vorgehen und die Bürger/innen zu mehr Umweltschutz anhalten will.

 

Nicholas Ibekwe: Die Folgen des Klimawandels scheinen in Lagos nur beim Umweltministerium ein Thema zu sein. Müssten nicht auch andere Regierungsbehörden involviert sein?

Hakeem Ogunbambi: Diesen Eindruck möchte ich korrigieren: Mehrere Ministerien, Fachbereiche und Regierungsbehörden beschäftigen sich gemeinsam mit den Folgen des Klimawandels. Diese Zusammenarbeit ist bereits im Stadtbild erkennbar, etwa beim öffentlichen Nahverkehrsprojekt BRT (Bus Rapid Transport), welches das Verkehrsministerium initiiert hat und von den städtischen Verkehrsbetrieben in Lagos (LAMATA) verwaltet wird. Auch die Stadtbahn, die gerade quer durch Lagos gebaut wird, wird als schnelles Massenbeförderungsmittel dafür sorgen, dass Autos gemieden und der CO2-Ausstoß sowie Emissionen reduziert werden.

 

Was unternimmt das Umweltministerium konkret, um die Megacity Lagos für den Klimawandel zu wappnen?

Es gibt zwei Fachbereiche, die dem Umweltministerium unterstellt sind und die neue Konzepte entwickelt haben. Das  Umweltamt kümmert sich um eine nachhaltige Entwicklung wie etwa die Senkung des CO2-Ausstoßes, die Abfallwirtschaft und Umweltrichtlinien. Das separat organisierte Abwasseramt verantwortet Bereiche wie die Ableitungen von Sturmgewässern und Überschwemmungen sowie die Begradigung von Flüssen und Kanälen. Der Klimawandel führt zu einem steigenden Meeresspiegel, und so ist es die Aufgabe dieses Amtes in Lagos, Kanäle, Flüsse und andere Wasserwege zukunftsfähig zu machen. Weitere Gefahr droht durch Überschwemmungen und Sturmwellen. Zu deren Schutz gibt es das Ministerium für Küsteninfrastruktur. Hier wird versucht, die Auswirkungen der Küstenerosion und von Flutwellen abzumildern.

 

Eine gerechte und effiziente Landverteilung ist wichtig für eine effektive Anpassung an den Klimawandel. Wie sehen derzeit die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür aus?

Das Landnutzungsgesetz (Land Use Act) von 1978 regelt, dass das Land innerhalb eines Bundesstaates durch die öffentliche Hand verwaltet wird. Somit gehört jedes Stück Land in Lagos der Landesregierung. Will man die Rechte an einem Grundstück erwerben, müssen zunächst der Landtitel bzw. die Eigentumsrechte erworben werden. Wenn Menschen nach Lagos kommen und sich auf öffentlichen Plätzen niederlassen, entbehrt dies jeder rechtlichen Grundlage.

Mittlerweile ist es uns gelungen, viele öffentliche Räume zu begrünen. Damit will unser Ministerium ebenfalls zur Anpassung an den Klimawandel beitragen. Lagos ist viel grüner geworden, insbesondere in den Arealen rund um die Brücken und Autobahnkreuze. Doch genau diese Gebiete wurden in vielen Fällen illegal von Hausbesetzern vereinnahmt – Beispiele sieht man in der Nähe der Universität von Lagos. Die Hausbesetzer benutzen Müll, um die Lagune damit aufzufüllen und sich somit ein Stück Land zu sichern. Hier handelt es sich aber nicht um eine Rückgewinnung von Land, sondern schlicht um Umweltverschmutzung und illegale Landnutzung.

 

Lagos drohen immer mehr Überschwemmungen. Bestehende Abwasserkanäle müssten erweitert und saniert werden. Viele sind nicht funktionsfähig, weil sie bebaut wurden. Was unternimmt Ihr Ministerium, um diese Probleme zu lösen?

Es gibt generell zwei Möglichkeiten, mit denen die Strömung eines Flusses oder künstlicher Abwasserkanäle geregelt werden kann. Als erstes sollten diese so gebaut werden, dass das Wasser auf natürlich Art und Weise in die Lagune abfließt. Wo das nicht möglich ist, müsste mittels Pumpen das Wasser in die Lagune gepumpt werden, für deren Betrieb aber Strom oder andere Energiequellen benötigt werden. Doch daran mangelt es in Lagos. Wir empfehlen den Menschen deshalb, in trockene Landstriche zu ziehen. Wenn die Regenzeit vorbei ist, können sie wieder zurückkehren. Wichtig ist, dass wir die betroffenen Gebiete genau kennen und die Menschen rechtzeitig informieren können, wenn sie diese verlassen müssen. Das funktioniert bislang gut. Ein weiteres Mittel zur Regulierung von Überschwemmungen sind Wasserrückhaltebecken. Es gibt diese Becken überall im Nigeria, doch sie werden zunehmend in ihrer Funktion beeinträchtigt. Das Becken nahe des Nationaltheaters beispielsweise, der Oto Creek, ist völlig vermüllt. Dadurch vermindert sich die Kapazität des Beckens, und das Wasser fließt in benachbarte Gemeinden zurück. Das fehlende Umweltbewusstsein, also die Einstellung der Menschen, erhöht die Gefahr von Überschwemmungen.

 

Kann man Menschen einfach wegschicken, ohne ihnen eine andere Bleibe anzubieten?

Wir haben Gebiete für die Wiederansiedlung geschaffen. Eines davon ist in Agbowa, wo 1.000 Menschen untergekommen sind.

 

Reicht das denn aus für eine Stadt wie Lagos?

Nicht alle Gebiete in Lagos werden gleichzeitig überschwemmt. Was sich beispielsweise in Lagos nach den starken Regenfällen vom 10. Juli 2011 ereignete war einmalig und hatte andere Ursachen. An jenem Tag regnete es über elf Stunden lang ununterbrochen – so etwas passiert nur etwa alle 80 Jahre. In England z.B. dauert es manchmal ein bis zwei Wochen, bis das Wasser nach solchen Regenfällen wieder abgeflossen ist. Hier in Lagos wurden danach die Landschaft und Straßen schnell wieder trocken, und die Menschen konnten wieder nach Hause zurückkehren. Deshalb waren wir bisher auch in der Lage, mit den Überschwemmungen umzugehen. Im Jahr 2012 waren rund Dreiviertel der Fläche Nigerias überschwemmt. Unterdessen war Lagos trocken und sauber, obwohl es direkt an der Küste liegt. Das sagt mir, dass unsere Strategien für die Sturmwasserregulierung aufgehen. Die Landesregierung wird weiterhin große Mittel aufwenden, um die Probleme zu lösen. Wir leben nah an der Küste und haben erkannt, dass wir mit den Folgen des Klimawandels und einem steigenden Meeresspiegel umgehen müssen. Die Landesregierung nimmt diese Probleme sehr ernst.

 

Was unternimmt die Regierung gegen die Baracken und Hütten, die auf den Wasserkanälen gebaut wurden?

Unserer Strategie folgend, wird alles entfernt, was den Wasserablauf behindert.

 

Nach solchen „Entfernungen“ ist es in einigen Gebieten zu Problemen mit Entschädigungen gekommen. In einigen Fällen gab es gar keine Kompensationen.

Es gibt ein Sprichwort das besagt: Wenn es kein Gesetz gibt, gibt es auch keine Sünde. Wir haben Gesetze – deshalb können die Menschen nicht einfach beschließen, diese nicht zu befolgen. Wir haben viele Abrisse in Lagos durchgeführt. Doch die Menschen können nicht einfach behaupten, dass die Regierung ihre Häuser zerstört hätte und nun keine Entschädigung bezahlt. Diejenigen, die eine Baugenehmigung oder Zulassung für eine Landnutzung erhalten haben, werden angemessen entschädigt. Die meisten Bauherren verfügen jedoch nicht über die erforderlichen Papiere und missachten Gesetze und Regelungen. Wenn Sie also Menschen sehen, die weinen und sich darüber beklagen, dass sie vom Staat enteignet wurden, ist das nicht ganz richtig.

 

Viele Menschen leben dort aber seit vielen Generationen, wie z.B. die Menschen in Makoko ...

Ich besitze eine Karte von Makoko aus dem Jahr 1973, und darauf ist zu sehen, dass es die Baracken damals noch nicht gegeben hat. Damals konnte der Fluss Oyadiran ungehindert fließen und war ungefähr 50 Meter breit. Jetzt ist er nur noch fünf Meter breit. Durch die illegalen Baracken wurde die Lagune um über 300 Meter zurückgedrängt. Die Regierung von Lagos hat das Recht, diese Menschen und ihre Häuser zu entfernen, wenn diese eine Belastung für die Umwelt darstellen. Man muss sich nur einmal fragen, wie diese Menschen ihre Fäkalien entsorgen: direkt in der Lagune von Lagos. Die Lagune aber ist ein Gemeingut und gehört jedem, doch diese 5.000 oder 10.000 Menschen verunreinigen sie. Sie ist eine natürliche Ressource und spendet den Menschen Leben. Fängt man einen Fisch in der Lagune, wissen die Menschen, dass er gesundheitsschädlich ist. Viele glauben, dass einige Krebskrankheiten durch den Verzehr von Fischen aus der Lagune hervorgerufen wurden. Wenn wie die Menschen aus Makoko umsiedeln, dann wird das zur Folge haben, dass die Umweltbelastung und die Gesundheitsprobleme dort abnehmen. Das Problem ist, dass die Menschen nicht begriffen haben, dass die gesundheitlichen Probleme mit der Verschmutzung zusammenhängen. Die Menschen entsorgen Sondermüll, medizinischen Abfall und auch sonst alles Mögliche in der Lagune. Hier darf die Regierung nicht wegsehen. Wenn diese Menschen von einer Regierung versorgt werden wollen, müssen sie auch den Gesetzen Folge leisten.

 

Im Osten von Lagos, entlang der Lekki-Epe-Achse, entstehen neue Siedlungen. Warum sorgt die Regierung nicht dafür, dass dort nachhaltige Baurichtlinien angewandt oder energieeffiziente Technologien gefördert werden?

In den neuen Siedlungen werden teilweise Solaranlagen für die Stromversorgung genutzt. Die Regierung von Lagos fördert nachhaltige Projekte mit einer Aufklärungskampagne und dem Vorhaben „Grünes Lagos“. Wir versuchen beispielsweise bei der Straßenbeleuchtung Solarenergie einzusetzen. Wir unterstützen Industrien darin, ihre Generatoren von Diesel auf Gas umzustellen. Die Menschen haben begonnen, Energiesparlampen in ihren Heimen zu gebrauchen. Auch wir haben sie überall hier bei uns im Gebäude. Die Regierung fordert die Menschen zum Energiesparen auf. Doch in Nigeria interessieren sich noch nicht viele Menschen für ein umweltfreundliches Leben. Ich bin sicher, dass man in fünf Jahren schon sichtbare Ergebnisse in puncto Umweltschutz sehen wird. Die grüne Revolution hat begonnen, aber sie kommt auf leisen Sohlen.

 

In der neu entstehenden Freihandelszone – auch im Osten von Lagos – liegen Wohngebiete direkt neben Arealen, in denen Ökotourismus und Industriegebiete mit Petrochemie geplant sind. Ähnliches geschah schon in dem alten Hafenviertel von Lagos, Apapa,, wo Tankdepots inmitten von Wohnbereichen und Bürokomplexen untergebracht wurden. Das ist beunruhigend. Hat die Regierung aus den Geschehnissen in Apapa nichts gelernt?

Das Problem beim Hafen von Apapa ist, dass man ihn während der Militärdiktatur regelrecht verfallen ließ. Zunächst wurde er ja für eine bestimmte Kapazität angelegt. Später kam der Hafen von Tin Can Island hinzu, ohne dass an der bestehenden Infrastruktur etwas verändert worden wäre. Der neue Hafen wurde einfach gebaut, ohne das Straßennetz zu erweitern oder zu sanieren. Deswegen ist die Zufahrststraße immer verstopft. Es wurden auch keine neuen Wohnhäuser gebaut.

Die Freihandelszone von Lekki untersteht nicht der Bundesregierung, sondern der Landesregierung von Lagos. Wir bauen neue Städte, um sie wohnlicher, sicherer und gewinnbringender zu gestalten. Die Lekki-Freihandelszone wird eine solche Stadt. Die involvierten Behörden für Raumplanung und Gebäudeaufsicht sowie das Umweltministerium werden dafür sorgen, dass alle Baurichtlinien und Bestimmungen für eine Freihandelszone eingehalten und die „Environmental Impact Assessments“ (EIA), eine Art Prüfung der Umweltfolgen, rechtzeitig durchgeführt werden.

Für die Freihandelszone in Lekki plant die Landesregierung den Bau neuer Straßen und der „Vierten Festlandbrücke“ über die Lagune auf das Festland nach Ikorou, mit den umliegenden Einzugsgebieten, die sich bis in die angrenzenden Bundesstaaten ausdehnen. All diese Vorhaben werden die Freihandelszone funktionstüchtig machen, damit sich Fehler wie in Apapa nicht wiederholen.

 

Der Originaltext stammt aus der Publikation "Lagos – A Climate Resilient Megacity" und wurde für dieses Dossier von Jelena Nikolic aus dem Englischen übersetzt und aufbereitet.