Dauersauna mit Rettungsabsicht

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Selbst nachts sinkt die Temperatur an Board lediglich auf 37 Grad Celsius

Die Sea Watch ist wieder auf dem Weg ins Einsatzgebiet. Und sie ist nicht allein: Kriegsgschiffe, Frontex-Schiffe und Drohnen überwachen unentwegt das Mittelmeer. Gleichzeitig ertrinken jeden Tag Flüchtlinge, die in Seenot geraten.

Logbucheintrag sechs, 22.07.15.

Nach dem Kraftakt der Reparaturarbeiten am Schiff sind wir nun endlich unterwegs. Wir waren noch tanken: 2,5 Tonnen Diesel, 230 Liter Benzin fürs Beiboot und einiges an Reserven. Das kostet ordentlich und dauerte rund zwei Stunden. Die Stadttankstelle haben wir damit glücklich gemacht. Und nun wissen die vielen Unterstützer/innen wenigstens, wo ihr Geld hinfließt. Schließlich ohne viel Federlesens das Auslaufen. Wir haben noch das Beiboot auf dem Vordeck festgezurrt und dann - nach vielen guten Wünschen auch von der Hafenkommandantur - waren wir endlich auf dem Meer.

Es ist heiß, ich meine richtig heiß. Die Maschine läuft ohne eine Minute Ruhe und der Maschinenraum ist eine Sauna aus Stahl, auf die auch noch die Sonne brennt. Wir lernen, dass die Belüftung des Maschinenraumes suboptimal ist. Genau wie die der Kabinen. Alles ist auf die Nordsee ausgelegt. Dauersauna mit Rettungsabsicht. Wir freuen uns und unken ein bisschen, aber das Ziel, Menschen aus Situationen zu retten, die tausendmal schlimmer sind als unsere verhältnismäßig komfortable Seekuh, lässt uns ruhig bleiben und mitfühlen.

Die Flüchtlinge stehen tagelang in diesen Booten. Und das in praller Sonne, bei unvorstellbaren Temperaturen. Die Sonne brennt ohne den kleinsten Schutz und es gibt kein Verstecken oder Umfallen. Die Menschen sind ausgeliefert. Die glatte See reflektiert die Sonne. Das macht es noch heißer. Das Trinkwasser ist verseucht und es gibt nie genug für die bis zu 140 Personen.

Unterwegs ins Einsatzgebiet

Wir sind nun auf halber Strecke ins Einsatzgebiet. Heute hatten wir über Funk Kontakt mit einem deutschen Kriegsschiff, das sich nicht klar identifizieren wollte. Außerdem haben wir etliche Funksprüche von verschiedenen Kriegsschiffen in mehreren Sprachen gehört.

Es ist dunkel und wir navigieren in Gewässern, die voll sind von Frontex-Triton Schiffen. Und alles, was diese im Moment tun, ist "Informationen sammeln". Wir hoffen natürlich, dass keines der beteiligten Länder plötzlich Anweisung gibt, erste Schlepperboote an nordafrikanischen Stränden zu bombardieren. Wir wären dann mitten in einem unerklärten Krieg und wohl Ziel von bewaffneten Kanonenbooten der Zweitregierung in Libyen, die gedroht hat, im Fall eines Angriffes auf die "Souveränität" ihrer Regierung alle Seefahrzeuge anzugreifen, die in der Nähe kreuzen. Unsere einzige Verteidigung bestünde aus mehreren Laptops, die wir den Angreifern an den Kopf schmeißen könnten. Damit erschöpft sich dann aber auch schon unser aggressives Potential.

Oft sind Drohnen mit ihrem lauten pfeifenden bösen Bienensurren über unsere Köpfe geflogen, die den Militärflughafen in Lampedusa als Startbasis nutzen. Auch sehen wir oft Hubschrauber des Deutschen Bundesgrenzschutzes hier auf der Insel. Wie schön und menschlich wäre es, wenn diese geballte Militärmaschinerie zur Rettung von Schiffbrüchigen verwendet werden würde. Es müsste dann kein einziger Mensch mehr ertrinken bei seiner Flucht in diesem tiefblauen und so grausamen Mittelmeer.

Es fallen mir einige Dinge ein bei diesem ruhigen Brummen durch die heiße Mittelmeernacht. Der Fakt zum Beispiel, dass dieses Meer das bestüberwachte und genauest kontrollierte der Welt ist. Und dass die beteiligten Mächte trotzdem eiskalt Menschen absaufen lassen. Ich könnte kotzen. Die US-amerikanische sechste Flotte, in Neapel stationiert, hat alle Möglichkeiten und alle notwendigen Mittel, um jeden aus dem Wasser zu ziehen, der auch nur eine Minute mit dem Fuß drin steht. Warum rühren die sich nicht? Es ist kriminell und gegen internationales und nationales Seerecht, Hilfeleistung zu unterlassen, wenn man sie leisten könnte.

Dabei spielt es keine Rolle, wer der in Seenot geratene ist. US-Satelliten beobachten jeden Meter hier zwischen Libyen und Italien. Alle Geheimdienste der EU sind ständig dabei und wissen alles, was hier passiert. In jeder einzelnen Minute.

Warum sind die Menschen aus Afrika einfach Abfall für europäische und US-amerikanische Militärs? Was befürchten die? Gleich ist meine Wache zu Ende und ich kann schlafen. Wenn ich aufwache, sind wir im Einsatzgebiet und werden loslegen. Es ist immer noch um die 37 Grad an Bord. Schlafen wird lustig.