Bildung um jeden Preis

Ob Schulpreise die Schulentwicklung fördern und das Bildsystem verändern - das wollten wir wissen und luden zum Fachgespräch. Trotz positiver Effekte bleibt die Sorge um die Schulen, die sich nie bewerben und vernachlässigt fühlen.

„Wir brauchten Geld“, erinnerte sich die frühere Schulleiterin der Erika-Mann-Schule, Karin Babbe, an ihre Motivation, an Wettbewerben überhaupt teilzunehmen. Wie bei vielen anderen Schulen im sozialen Brennpunkt sei es finanziell sehr eng gewesen. „Wir haben geschaut, was passt zu uns, was brauchen wir, was bietet uns der Wettbewerb an?“ Die heutige Schulrätin im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf hatte in den 17 Jahren als Schuldirektorin zehn Preise gewonnen und berichtete im Fachgespräch „Bildung um jeden Preis? Wie Schulpreise unser Bildungssystem verändern“, das am 26. Februar in der Heinrich-Böll-Stiftung stattfand, aus der Praxis.

Ihre Bilanz der Wirkung von Schulpreisen fiel positiv aus. Die Schule habe bereits bei der Bewerbungsphase von der Selbstreflexion profitiert. „Dieses Schärfen unseres Lernverständnisses, unseres Bildungssinns, das war das, was den ersten Gewinn darstellt“, sagte Babbe. Anders als bei Schulinspektionen bekämen Preisträger-Schulen die nötige Anerkennung und Wertschätzung für ihre Arbeit. Sie könnten das Preisgeld nutzen, um konkrete Projekte umzusetzen, zögen aber auch viel Gewinn aus dem anschließenden Erfahrungsaustausch mit anderen Schulen und aus fachlichen Netzwerken. Im Fall ihrer Schule in Berlin-Wedding hätten die Preise auch dabei geholfen, das Vertrauen der Eltern in die Grundschule und auch in den Kiez zu stärken. Sie seien aus dem sozialen Brennpunkt nicht weggezogen, sondern dort geblieben.   

Vielfältige Schulpreis-Landschaft

Im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung hatte der Bildungsforscher Franz Koranyi von der Freien Universität Berlin recherchiert, was sich über Wirkungsmechanismen von Schulpreisen herausfinden lasse. Er konzentrierte sich dabei auf die Best-Practice-Wettbewerbe und identifizierte deutschlandweit 14 solcher Schulpreise, zu denen prominente Beispiele wie der „Deutsche Schulpreis“ oder „Starke Schule“ gehören. Die vergebenen Preise variierten von einer Urkunde bis zu attraktiven Geldpreisen. Thematisch deckten diese Wettbewerbe eine große Bandbreite ab, mal gehe es um allgemeine Schulentwicklung, mal um Themen wie Inklusion, demokratische Schulen oder Umwelt. Wissenstransfer könne über die Preisverleihung oder über Netzwerke laufen, betonte der Wissenschaftler.

Die Teilnehmer/innen des Fachgesprächs
„Wir wollen über diesen Deutschen Schulpreis Vorbilder schaffen“, sagte Roman Rösch, der diesen prominenten Wettbewerb der Robert Bosch Stiftung und der Heidehof-Stiftung über die letzten zehn Jahre begleitet hat. Die übergeordnete Zielsetzung sei es, mehr gute Schulen in Deutschland zu schaffen. Um dieses Anliegen langfristig zu befördern, haben die Träger 2015 die Deutsche Schulakademie gegründet, als deren Geschäftsführer Rösch seither agiert. „Wir öffnen also den Deutschen Schulpreis mit dieser Deutschen Schulakademie für eine größere Anzahl von Schulen“, beschrieb Rösch deren Aufgabe. Die Akademie sei auf Kooperationen angelegt, beispielsweise auch mit Lehrerfortbildungsinstituten, und solle gute Praxis weiter vorantreiben. Von ihr sollen auch Schulen profitieren, die nicht an den Wettbewerben teilnähmen.

Der Geschäftsführer des Förderprogramms „Demokratisch Handeln“, Wolfgang Beutel, klagte darüber, dass sich die pädagogische Forschung bislang zu wenig um die Wirkung von Schulpreisen kümmere. Es gebe dazu kaum Fachliteratur, obwohl sich aus den Wettbewerben interessante Themen ergäben, welche die Erziehungswissenschaft aber bislang vernachlässige. Dabei seien die Schulpreise aus seiner Sicht „evaluativ gehaltvolle Ergänzungskonzepte zur systembezogenen Bildungsforschung“. Sein Appell an Politik, Wissenschaft und an die pädagogische Praxis sei, Wettbewerbe stärker als bislang ernst zu nehmen und nach deren Möglichkeiten zu fragen.

Netzwerke stärken

In der anschließenden Debatte wies die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann darauf hin, dass Schulpreise für die Schulentwicklung eines Bundeslandes wichtig seien. Sie habe sich angewöhnt, alle Schulpreis-Schulen zu besuchen oder ihre Wertschätzung dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass sie an Preisverleihungen teilnehme. „Mein Ziel ist eigentlich, den Vernetzungsaspekt dadurch in gewisser Weise zu stärken“, sagte Löhrmann. Sie würde sich wünschen, dass Träger von Schulpreise auch stärker Netzwerke auszeichnen würden, um diesen Ansatz, der in die Breite wirkt, zusätzlich zu fördern.

Die schulpolitische Sprecherin der grünen Bürgerschaftsfraktion in Hamburg, Stefanie von Berg, zeigte sich mit Blick auf die Situation in der Hansestadt skeptisch, ob Schulpreise das Bildungssystem tatsächlich veränderten. Es gebe in Hamburg drei Schulen, die mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet worden seien, aber sie beobachte dort keinen nennenswerten Transfer der Erfahrungen.

Die frühere Leiterin einer deutschen Auslandsschule, Ulrike Kunert, stellte die grundsätzliche Frage, ob Wettbewerbe wirklich geeignet seien, die Schulqualität zu verbessern. Sie würde interessieren, wie es den rund 94 Schulen ergehe, die jedes Jahr beim Deutschen Schulpreis leer ausgingen. Könnte es nicht sein, dass die Schulpreise eine gewisse Alibifunktion hätten, weil sich Politiker bei den Preisverleihungen öffentlich profilieren könnten, aber andere Aufgaben inzwischen nicht angegangen würden. Aus Kunerts Sicht fehlt es in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern beispielsweise an Assistenzsystemen für Schulleiter. Solche Themen würden im Gesamtsystem leicht vernachlässigt, wenn man es dabei belasse, einzelne Schulen auszuzeichnen.

Schulentwicklungstourismus fördert Transfer

Susanne Wiegmann, Leiterin von „Starke Schule“ erinnerte daran, dass ihr Preis ursprünglich ein Hauptschulpreis gewesen sei. Er unterscheide sich vom Deutschen Schulpreis ausdrücklich durch die Zielgruppe. Es handele sich bei der Hauptschule um eine Schulform, die „wenig Lobby“ habe, betonte Wiegmann. Inzwischen gebe es zwar immer weniger Hauptschulen, aber auch an den verbleibenden sei es nötig, zum Wohle der Jugendlichen gute Arbeit zu leisten. Sie beobachte einen „Schulentwicklungstourismus“, der einen regen Austausch zwischen den Schulen befördere.

Marie Luise von Halem, bildungspolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion in Brandenburg lobte, dass es heute bei den Wettbewerben nicht mehr nur um Spitzenleistungen gehe, sondern die Jurys den Schulen sehr viel mehr Wertschätzung und Beratung anböten. Dennoch äußerte von Halem ihre Sorge angesichts der Schulen, die sich für solche Schulpreise nicht bewerben und auch nicht in andere Bundesländer reisten, um sich dort von Preisträger-Schulen anregen zu lassen. „Sie fühlen sich oft besonders benachteiligt“, sagte von Halem und forderte eine stärkere Einbeziehung solcher Schulen.  

Rösch entgegnete, dass man Schulwettbewerbe auch nicht überschätzen dürfe. „Ein Wettbewerb ist nicht dafür gedacht, alle Schulen zu erreichen“, sagte er. Man könne darüber nicht alles lösen. Er verwies aber darauf, dass es heute immer stärker um Netzwerksarbeit und Schulförderung gehe, damit sich eine Wirkung in der Breite erzielen lasse. Der Schwerpunkt der Träger liege deshalb stärker auf dem weiteren Ausbau der Deutschen Schulakademie. Sie solle langfristig auch zu einer starken, kompetenten Stimme in der deutschen Bildungslandschaft werden.