Hürdenlauf mit Hindernissen: Die Rolle von Frauen im Spitzensport

Frauen während der Olympischen Spiele 1928 in Amsterdam.
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Frauen während der Olympischen Spiele 1928 in Amsterdam. Von den 2.833 Teilnehmenden, waren 2.606 Männer und 277 Frauen.

Die Olympischen Spiele 2012 waren ein Meilenstein auf dem Weg zur Gleichstellung der Geschlechter: Es traten dort 4.675 Frauen an, was einem Anteil von 44,2 Prozent an den insgesamt 10.567 Olympiateilnehmenden entsprach. Frauen waren in allen Sportarten vertreten. Jedes Land hatte mindestens eine Sportlerin dabei.

Die Gleichstellung der Geschlechter beim Sport und die Rolle des Sports bei der Förderung von Frauenrechten sind vieldiskutierte Themen. Sport nützt der Frauengesundheit – das ist schon lange unumstritten. Ebenso unumstritten ist heute, dass Sport die Gleichberechtigung fördert. Doch bis dahin war es ein langer Weg.

Erst seit 1981 nimmt das Internationale Olympische Komitee (IOC) Frauen als Mitglieder auf, beschäftigt sich jedoch in den letzten Jahrzehnten zunehmend mit der Geschlechtergleichstellung Die Olympische Charta von 1996 verpflichtete das IOC, Frauen und Männer gleich zu behandeln und Frauen auf allen Ebenen und in allen Organisationsstrukturen des Sports zu fördern. In der Folge ergriff das IOC Initiativen, die die Geschlechterfrage in den Mittelpunkt stellten, wie z.B. die Gründung der Kommission für Frauen und Sport und die Einberufung der alle vier Jahre stattfindenden Weltkonferenz zum Thema Frauen und Sport.

Doch wie kam es dazu, dass sich die Olympische Bewegung der Gleichstellung der Geschlechter annahm? Markiert die verstärkte Beteiligung von Frauen bei den Olympischen Spielen von 2012 wirklich einen definitiven Wendepunkt, was die Rolle der Frauen im Sport betrifft? Noch bis vor kurzem ging es innerhalb der Olympischen Bewegung bei der Geschlechterfrage nicht darum, Frauen verstärkt einzubeziehen, sondern ihre Teilnahme an Wettkämpfen einzuschränken. 1896 in Athen, bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit, waren Frauen noch vollständig ausgeschlossen. Ab 1900 wurden Frauen langsam, Disziplin für Disziplin, zu olympischen Wettkämpfen zugelassen. Grafik 1 zeigt die Entwicklung der Beteiligung von Sportlerinnen an Olympischen Spielen. Bis zu den Spielen von London 1948 blieb der Anteil der Frauen unter 10 Prozent. Bis in die 1980er Jahre verläuft die Kurve teilnehmender Frauen beinah horizontal. Erst ab den Spielen von Atlanta 1996 beginnt die Anzahl der Frauen wieder anzusteigen. Bei den Spielen von London 2012 ist schließlich ein Frauenanteil von 44,2 Prozent erreicht.

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Quelle: International Olympic Comitee (2013)

Sportliche Wettkämpfe sind zwar ein wirksames Mittel für die gesellschaftliche Inklusion von Frauen in die Gesellschaft, eine uneingeschränkte Beteiligung von Frauen beim Sport ist jedoch noch lange nicht erreicht.

Zu wenig Frauen in Führungspositionen

Der signifikante Anteil von Frauen unter den Sportler/innen bei den Olympischen Spielen 2012 spiegelt sich in der Zusammensetzung der Führungsgremien der Olympischen Bewegung noch nicht wider. Erst seit 1981 können Frauen Mitglieder im IOC werden. Nur 23,9 Prozent der 92 Mitglieder sind Frauen, damit bleibt ihr Anteil im IOC heute immer noch weit hinter dem Anteil der Athletinnen bei Olympischen Spielen zurück. Im Exekutivkomitee sieht es nicht anders aus: Nur vier (26,6%) seiner fünfzehn Mitglieder sind Frauen, unter den vier Vizepräsidenten gibt es nur eine Frau (25 Prozent).

1998 setzte sich das IOC für das Jahr 2005 einen Anteil von 20 Prozent Frauen in Führungspositionen zum Ziel. Eine Stichprobe bei 135 der 205 Nationalen Olympischen Komitees (NOKs) zeigt, dass 62 der NOKs (46 Prozent der Stichprobe) dieses Ziel nicht erreicht haben, und dass bei 10 NOKs (7,4 Prozent der Stichprobe) noch immer keine einzige Frau einen Sitz im Exekutivkomitee hat.

Grafik 2 zeigt die Anzahl von Frauen in den höchsten Führungspositionen der NOKs in den letzten sieben Jahren. Die Anzahl von NOK-Präsidentinnen fällt mit 5 Prozent sehr gering aus und ist im betrachteten Zeitraum auch kaum gestiegen, weit langsamer als die Anzahl von NOK-Generalsekretärinnen, die im selben Zeitraum um 50 Prozent stieg.

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Quellen: International Olympic Committee and Centre for Olympic Studies & Research of Loughborough University und International Olympic Committee (2014).

Für diese Situation sind wohl hauptsächlich die konservativen Strukturen dieser Organisationen verantwortlich, die nur sehr selten Personalwechsel bei Mitgliedern und im Präsidentenamt zulassen. So ist es auch in Brasilien, wo Carlos Nuzmann seit 1995 dem Nationalen Olympischen Komitee vorsteht.

Medienpräsenz und Bezahlung

Aufgrund der meinungsbildenden Kraft der Medien haben deren Entscheidungsträgerinnen und -träger auch die Mittel in der Hand, um in der Gesellschaft bestimmte Kategorisierungen und Machthierarchien zu etablieren. Zum Thema Sport werden, was die Medien angeht, vor allem zwei geschlechterspezifische Themen untersucht: die Sendezeit, die Frauen-Wettkämpfen gewidmet wird, und die Art und Weise der Darstellung von Sportlerinnen.

Frauensport wird heute von den Medienunternehmen immer noch stiefmütterlich behandelt, die Berichterstattung von männlichen Sportwettkämpfen dominiert auf allen Ebenen, stellen die Vereinten Nationen auf der Grundlage von Untersuchungen in verschiedenen Ländern fest. Die Studie weist darauf hin, dass in der Sportpresse geschlechterspezifische Stereotypen fortdauern und Frauensport nicht gleichrangig behandelt wird.

Die Unterrepräsentierung von Sportlerinnen in den Medien wirkt sich auch auf eine weitere Form von geschlechterspezifischer Diskriminierung aus: die Bezahlung. Die Zeitschrift Forbes veröffentlichte im Juni 2015 die Liste der 100 bestbezahlten Sportlerinnen und Sportler der vorangegangenen 12 Monate. In dieser Liste tauchten nur zwei Frauen auf: die russische Tennisspielerin Maria Sharapova, an 26. Stelle, und die amerikanische Tennisspielerin Serena Williams, an 46. Stelle. Unter den 20 Bestbezahlten finden sich nur Männer.

Medien und Sponsoring beeinflussen sich hierbei gegenseitig: Die Sponsoren von Sportlerinnen und Sportlern sind auch Käufer von Werbezeiten. Damit haben sie teilweise Einfluss auf die Programmgestaltung haben. Gleichzeitig hängt die Verteilung von Sponsorengeldern auf Sportlerinnen und Sportler davon ab, wie stark sie in den Medien präsent sind. Da Männer überproportional in der Sportberichterstattung vertreten sind, haben sie auch einen privilegierten Zugang zu dieser Einkommensquelle. Als Folge davon werden die bestehenden Ungleichheiten noch verstärkt.

Die Infragestellung des binären Geschlechterkonzepts

Die Kontrolle der „Weiblichkeit“ der Körper von Sportlerinnen ist eine Konstante in der jüngeren Geschichte des Sports. Die Entscheidung, bei welcher Art von Sport Frauen die Teilnahme an Olympischen Spielen zugestanden wurde, war dabei abhängig von bestimmten sozial konstruierten Vorstellungen und Maßstäben von Weiblichkeit. Michel Foucault bezeichnete diese aus dem Gesundheitsbereich vorgegeben Maßregelungen für Frauen (und Männer) auch als „Medikalisierung“ des Geschlechts („Sexualität und Wahrheit“, 1976).

Seit den Olympischen Spielen 1968 standen Frauen, die von den „Weiblichkeitsmaßstäben“ abwichen, unter Dopingverdacht, oder ihre Geschlechtszugehörigkeit wurde in Frage gestellt. Die Olympische Charta von 1971 legte als Bedingung für die Beteiligung von Frauen bei Olympischen Spielen fest, dass sie sich einem Weiblichkeitstest unterziehen mussten - einschließlich einer ärztlichen Untersuchung ihrer Geschlechtsorgane. Bei den Spielen 2000 wurde dies zwar revidiert, der Test existiert aber immer noch bei vielen Internationalen Sportverbänden, und auch implizit in den Dopingtests der World Anti-Doping Agency (WADA).

Wo liegt die Grenze der Zugehörigkeit zum männlichen oder weiblichen Geschlecht? Nach welchen Kriterien wird diese Einteilung vorgenommen? Fragen wie diese wurden 2012 bei der 5. Internationalen Weltkonferenz zum Thema Frauen und Sport des IOC diskutiert. Laut den Teilnehmenden existierten im Sport getrennte Wettkampf-Kategorien, weil Männer und Frauen „physiologisch unterschiedlich“ seien. Viele von ihnen erkannten jedoch an, dass es Geschlechtervarianten gibt, die sich nicht in die binäre Einteilung von Mann/Frau einordnen lassen. Von einigen wurde dabei auch das Prinzip der Wettkampf-Gerechtigkeit als solches hinterfragt. Wäre es etwa ungerechter, einen etwas höheren Testosteronspiegel zu haben als längere Finger oder längere Beine? Ist der Wettbewerbsvorteil von Intersexuellen größer als andere Faktoren, die die Leistungsfähigkeit beeinflussen? Wäre es gerecht, einer Frau die Teilnahme an einem Wettkampf aufgrund von Hormonschwankungen zu verwehren? Hier werden Schamgrenzen überschritten und die Privatsphäre von Sportler*innen wird verletzt. Auch die fragwürdige Behandlung transsexueller Athlet*innen wirft Fragen nach den Grenzen der Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität im Sport auf.

Zu guter Letzt

Heute sind Frauen stark in den Wettkämpfen vertreten: 2012 fand kein einziger Wettbewerb ohne weibliche Beteiligung statt. Das könnte glauben machen, der Sport habe die geschlechterspezifischen Hindernisse vollständig überwunden. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass noch viel zu tun bleibt, bis sie tatsächlich in allen Bereichen des Sports bewältigt sind.

Trotz einer hundertjährigen Geschichte der Ausgrenzung von Frauen an olympischen Disziplinen gab es doch im Laufe der Zeit konkrete Maßnahmen für ihre verstärkte Einbeziehung in den Sport. Jedoch müssten nun auch Zusammensetzung und Strukturen der konservativen Olympischen Bewegung verändert werden. Fraglich ist, inwieweit ihre Institutionen dazu bereit sind.

Hilfreich wären konkrete normative Maßnahmen, so z.B. die Einführung von Quoten für Führungspositionen oder Vorschriften für die Gleichbehandlung bei Exklusivverträgen mit Fernsehsendern und Sponsoren. Es ist allerdings zweifelhaft, ob das IOC milliardenschwere Verträge in Gefahr bringen würde, um eine männerzentrierte Ordnung aufzugeben, die in vielen Kulturen verwurzelt ist. Schließlich sind diese Verträge ihre Haupteinkommensquelle.

Bei der Frage der Gleichbehandlung der Geschlechter – ein inzwischen etabliertes Gebot – hat sich in der Welt des Sports mittlerweile ein großes Paradox etabliert. Die erreichten Fortschritte, wie eine bessere Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt mit den entsprechenden Auswirkungen auf Gesellschaft und Märkte, hat Unternehmen und Institutionen dazu gebracht, ihren Diskurs anzupassen. So sah sich auch das IOC gezwungen, Frauen verstärkt in Wettkämpfe einzubinden und die Geschlechterfrage zum Thema zu machen. Schließlich will das IOC glaubhaft wirken, wenn es Sponsoren und Medienpartnern Olympisches Gedankengut verkauft. Das bedeutet jedoch noch lange nicht die Aufgabe konservativer Organisationsstrukturen. Um das Paradox aufzulösen wurden zwar Diskurse verändert, einige Zugeständnisse gemacht und Geschlechterthemen aufgegriffen – die Strukturen eines männerzentrischen Systems werden aber weiter reproduziert.

Weitere wichtige Geschlechterfragen im Sport sind z.B. die Vorherrschaft männlicher Spezialisten, sexueller Missbrauch und sexuelle Belästigung. Damit alle geschlechtsspezifischen Hürden im Sport überwunden werden können, müssen solche Fragen angegangen werden – ungeachtet der sich stellenden Machtfragen. Nur so kann der Sport letztendlich die befreiende Rolle erfüllen, die er für sich in Anspruch nimmt.