Jenseits von Merkel - Ein Besuch auf dem afrikanischen Kontinent

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Mali, Niger und Äthiopien sind drei von fünf afrikanischen Ländern, mit denen die EU sogenannte Migrationspartnerschaften anstrebt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist seit Sonntag auf einer Reise nach Mali, Niger und Äthiopien. Anlass ist die Einweihung eines von Deutschland finanzierten Gebäudes für die Afrikanische Union (AU) in Addis Abeba am 11. Oktober. Die Reise ist aber auch Ausdruck des verstärkten Afrika-Engagements der Bundesregierung. Der politische Diskurs klingt vernünftig – selbst wenn sich dahinter die Externalisierung von Abschottung der Europäischen Union verbirgt. Die wirklichen Migrationsursachen bleiben weitgehend unberührt.

Auf der ersten Afrikareise der Kanzlerin seit fünf Jahren geht es um sicherheits- und migrationspolitische Fragen. Die erörterte Angela Merkel mit dem malischen Präsidenten Ibrahim Keita und einer Reihe von Religionsführern noch bevor sie die deutschen Soldaten der UN-Stabilisierungsmission MINUSMA traf. In Nigers Hauptstadt Niamey führte sie Gespräche mit dem Präsidenten des Landes Mahamadou Issoufou und traf auch das Bundeswehrkontingent, das von Niger aus die UN-Mission im benachbarten Mali unterstützt. Deutschland plant den Bau einer ständigen Militärbasis in Niger, von der aus Transportflüge nach Mali starten sollen, und spielt somit im Haupteinsatzland Frankreichs und der USA bei den Antiterroreinsätzen in der Sahelzone demnächst eine bedeutendere Rolle.

Lage bleibt angespannt

Mali und Niger - beides Länder, die krisengeschüttelt und bitterarm sind. In Mali lebt etwa die Hälfte der 15 Mio. starke Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Seit 2012 herrscht eine ständige Konfliktlage. Damals brachten infolge eines Militärputsches islamistische Gruppen Teile des Nordens unter ihre Kontrolle und riefen den Teilstaat Azawad aus. Erst eine militärische Intervention Frankreichs konnte die Islamisten aus den Städten des Nordens vertreiben. Doch der Frieden von 2015 ist brüchig, die Korruption weiter groß und die staatlichen Institutionen schwach.

Auch im Nachbarland Niger, dessen Bevölkerung noch ärmer ist und von ständiger Dürre und Hungersnöten bedroht wird, ist die Situation angespannt: Ein paar Tage vor der Reise der Kanzlerin wurden bei einem Terroranschlag auf ein Flüchtlingslager im Süden des Niger 22 Soldaten getötet. Aus dem Nachbarland Mali eingedrungene Kämpfer der al-Qaida im islamischen Maghreb hatten das Flüchtlingslager Tazalit in der Wüstenprovinz Tahoua überfallen und alle dort vorgefundenen Soldaten und Wachleute durch Kopfschüsse ermordet. Das Lager, in dem vor allem Tuaregflüchtlinge aus Mali leben, ist 180 km von der Grenze entfernt.

Zudem ist der Niger eine Art Drehscheibe der westafrikanischen Migration durch die Wüste nach Libyen und Europa. Ein wesentlicher Grund für Kanzlerin Merkel, dort dem Regionalbüro der Internationalen Organisation für Migration (IOM) einen Besuch abzustatten. Das IOM ist dafür verantwortlich sogenannte Informationszentren in Niger aufzubauen, um zunächst die Rückführung von irregulären Migranten zu steuern. Auch die nigrische Regierung ist aufgefordert etwas zu tun dagegen, dass die Menschen durch das Land weiter gen Norden ziehen. So ist mittlerweile ein Gesetz gegen Schlepper erlassen worden und der ein oder andere sei auch verhaftet worden, heißt es aus offiziellen Quellen, Journalisten aber berichten davon, dass sich in Agadez jeden Montag die Menschenkarawane in Bewegung setzt unter Begleitschutz von Sicherheitskräften. Die Stadt lebt von denen, die durchziehen und das ist schwer zu ändern.

"irreguläre" Einwanderer?

Die Kanzlerin und auch ihre Minister haben in der letzten Zeit ein verstärktes Engagement auf dem afrikanischen Kontinent angekündigt. Im Zentrum dieser Bemühungen steht die Abwehr von Migration nach Europa. Das Prinzip "Fluchtursachen bekämpfen" so hieß es „setze in Afrika an“. Besser sollte es heißen, dass man die Ursachen sogenannter „irregulärer Migration“ anzugehen gedenkt.

Die Bewegungen von Menschen aus Afrika in Richtung Europa sind derzeit intensiv. Anfang Oktober wurden an einem einzigen Tag im Mittelmeer vor der libyschen Küste 6.055 Menschen aus dem Wasser gerettet, am Tag darauf 4.655.  Nachdem durch das Abkommen mit der Türkei die Ankunftszahlen auf den griechischen Inseln stark zurückgegangen sind, ist der Weg von Libyen über das Mittelmeer nach Italien wieder Hauptroute nach Europa. Auf den Booten im Mittelmeer sind neben den syrischen oder irakischen Flüchtlingen auch zahllose Migrant/innen aus zentral- und westafrikanischen Ländern.

Dennoch erscheint die Reise der Kanzlerin eher wie Symbolpolitik: Nach dem „wir schaffen das!“ dem positiven Appell für eine Integration der aufgenommenen zumeist syrischen Flüchtlinge in Deutschland, ein rasches „wir sichern die Außengrenzen der EU“ mit dem Türkei-Abkommen nun noch ein „wir schaffen irreguläre Migration in Afrika ab“?

Chancen schaffen

Die Ursachen, welche die Menschen vom Kontinent Richtung Europa aufbrechen lässt, sind vielfältig. Zumeist tappen wir da im Dunkeln. Und was genau man dagegen tun will, dass Tausende sich auf den Weg machen trotz aller Risiken bleibt bei der ohnehin irreführenden Terminologie „Fluchtursachen bekämpfen“ auf der Strecke. Der neue Duktus in der deutschen Politik heißt „Zusammenarbeit auf Augenhöhe“ man spricht von der „Notwendigkeit von mehr Investitionen, Zugang zu europäischen Märkten, Wertschöpfung vor Ort“.

Merkel spricht auch von der Notwendigkeit den Terror zu bekämpfen, Schleuser zu schwächen und dann auch davon Ausbildungswege zu stärken, damit die vielen jungen Leute des Kontinents Chancen zu Hause sehen, und sich nicht auf den Weg nach Europa machen. Das klingt soweit vernünftig. Doch zahllose afrikanische junge Menschen, die ohne Hoffnung auf einen Job nach der Ausbildung sind, agieren jenseits solchen verspäteten Engagements. Denn auch die Privatsektorförderung westlicher Geber wird keine Arbeitsplätze in der Zahl schaffen, die von der schnell wachsenden jungen Bevölkerung gebraucht wird. Auch aus Deutschland gibt es kaum Privatinvestitionen in die afrikanische verarbeitende Industrie oder Landwirtschaft wo Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, die es wert wären zu bleiben. Auch aus Äthiopien machen sie sich auf den Weg. Im Land, das zur dritten Etappe der Reise der Kanzlerin wird, üben Teile der Bevölkerung aktuell den Aufstand. Nach zahlreichen Erschießungen bei Protesten folgten jüngst Angriffe auf ausländische Firmen und immer wieder zielen die Menschen auf die diktatorisch wirkende Regierung ihres Landes.

Große Infrastrukturdefizite

An vielen Bekundungen der Kanzlerin und auch ihrer Minister lässt sich die Einsicht erkennen, mehr auf dem Kontinent tun zu müssen – und das anders als bisher. Jetzt wo so viele schwarze Menschen auf den Booten im Mittelmeer und schließlich in den europäischen Städten und Gemeinden sichtbar werden, bietet sich vielleicht eine neue Chance über Beziehungen zwischen den Kontinenten nachzudenken und darüber, wem die Entwicklungshilfe genutzt hat.

Solange die Einkommensunterschiede zum industrialisierten Norden trotz eigenem afrikanischen Wachstum so groß bleiben, ist ein wichtiger Faktor, der die Menschen in Bewegung setzt, nicht kleinzukriegen. Daran, so weiß auch die Kanzlerin wird sich aber so schnell nichts ändern. Infrastrukturdefizite sind zu groß, Wertschöpfungsketten noch zu gering, die Landwirtschaft vielfach missachtet. Dazu kommen natürliche Faktoren und von Menschen gemachte Konflikte und Terror wie im Sahel. Umsteuern tut Not und dann - ein langer Atem.

Geregelte Migration zu erleichtern wäre eine mögliche Zwischenlösung, denn die Rücküberweisungen oder die im Heimatland eingesetzte gewonnene Ausbildung und mitgebrachtes Kapital bedeutet vielfach mehr als klassische Entwicklungshilfe.  

Wer mitmacht bekommt Entwicklungshilfe

Dass an der Migrations- und Flüchtlingspolitik aber so entzweite Europa bleibt dabei, auf Abwehr zu schalten: Mali, Niger und Äthiopien sind drei von fünf afrikanischen Ländern, mit denen die EU sogenannte Migrationspartnerschaften anstrebt und es scheint, dass Deutschland zusammen mit Italien und Frankreich für die beiden erstgenannten die Verantwortung übernommen hat. Das bedeutet, Anreize schaffen für die Regierungen dort, Migration stärker zu verhindern, Schlepper zu verfolgen und Menschen aus ihren Ländern aus Europa wieder zurückzunehmen. Wer mitmacht, bekommt Entwicklungshilfe - mitunter auch technisches Equipment zur Grenzkontrolle. Wer nicht kooperiert kriegt die Negativ-Konsequenzen zu spüren – gedacht ist an Aussetzung von Handelserleichterungen oder Hilfsgeldern.
Doch wer sitzt eigentlich am längeren Hebel? So richtig kooperationsbereit scheinen die „afrikanischen Partner“ in der Migrationspolitik dann doch nicht. Am Ende ist es vielleicht immer noch eine Beziehungsfrage. Die Kanzlerin sprach vielleicht deshalb vor der Reise auch davon: „Wir haben durch Kolonialismus sehr dazu beigetragen, dass manches in Afrika heute schwer möglich ist.“